Dienstag, 16. April 2024

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Titos Brille
Ein sehr persönlicher, fast intimer Film

Der Dokumentarfilm "Titos Brille" basiert auf dem gleichnamigen Buch, das Adriana Altaras vor ein paar Jahren veröffentlicht hat. Im Buch wie jetzt auch im Film begibt sie sich auf eine Reise in die Vergangenheit und erzählt die Geschichte ihrer jüdischen Eltern.

Von Susanne Luerweg | 11.12.2014
    "Ich bin Adriana Altaras. 1960 in Zagreb geboren. Mit drei Jahren hat man mich nach Italien geschmuggelt, mit sieben steckte man mich in ein Waldorfinternat in Deutschland. Mittlerweile lebe ich in Berlin. Ich bin Schauspielerin oder ich führe Regie und ich bin Jüdin."
    Reise in die persönliche und historische Vergangenheit
    Adriana Altaras: Klein, zierlich, energiegeladen wirbelt sie durch den Film von Regina Schilling. Gemeinsam sind sie drei Wochen lang gereist. Von Berlin, über Gießen, nach Slowenien, den Gardasee, ins heutige Kroatien und auf die Insel Rab, zur Gedenkstätte des ehemaligen Konzentrationslagers Kampor. Eine weite Reise, geprägt von persönlichen und historischen Ereignissen.
    "Mein Vater war ein Held. Das weiß ich, seit ich denken kann. Er vertrieb die Faschisten aus Jugoslawien. Meine Mutter war auch eine Heldin. Sie baute mit Tito das sozialistische Jugoslawien auf."
    Die Zeit bei den Partisanen, die Verehrung für Tito, die Liebe zur Heimat, die Flucht aus Jugoslawien und der Neuanfang in Gießen. "Titos Brille" lässt nichts aus und erfindet einiges dazu, was den Film umso charmanter macht. Ein Segen ist das Archivmaterial, wie Fotos der Mutter als engagierte Architektin und Bilder des Vaters im Kreis seiner Arzthelferinnen.
    Die Kamera blendet auch nicht ab, wenn Adriana Altaras mit Tränen in den Augen über ihre toten Eltern sinniert.
    "Es ist kein leichtes Erbe. Ich bin sicher, dass kein Therapeut weiß, wie man damit umzugehen hat. Im Grunde hilft am Ende wohl nur Nivea."
    Eindrucksvolle Bilder
    Es ist dieser leichtfüßige Ton, mit dem der Dokumentarfilm den Zuschauer fesselt. "Titos Brille" ist nie peinlich schwülstig, stellt seine Protagonistin nie bloß und findet für alles eindrucksvolle Bilder. Der Film verschweigt nicht den Horror des Krieges, zeigt aber auch die Versuche, sich danach ein vermeintlich normales Leben aufzubauen. Mit Dalia Lavi auf dem Plattenteller, Urlauben an der Adria und einer Super-8-Kamera im Gepäck. Die damit gedrehten Privataufnahmen waren ein Glücksfall für die Regisseurin Regina Schilling und ihren Film.
    "Man sieht ja, wie der Vater sich da inszeniert und darstellt mit Selbstauslöser, und er stellt das Stativ auf und filmt sich und seine Geliebte. Für mich ist der ja immer so eine Groucho-Marx-Figur, der ist ja so urkomisch in dem Super-8-Material."
    Bittere Erinnerungen
    Der facettenreiche Vater, die spröde Mutter und mittendrin das einzige Kind, das hin und hergeschoben wird. Die ersten Jahre lebt Adriana Altaras bei ihrer Tante Jele in Italien. Als sie auf ihrer Reise die Tante besucht, ist der Himmel blau, die Musik toll und die Stimmung gut. Die Erinnerungen sind allerdings manchmal bitter, und das hat nicht nur mit der jüdischen Vergangenheit zu tun.
    "- Die Arme. Nicht ein Wort deutsch konnte sie und musste in die Schule gehen. Hast du geweint?
    - Ich habe jede Nacht geweint.
    - Ich und meine Schwester haben immer gestritten. Ich konnte ihr nicht verziehen, dass sie sie nach Deutschland gebracht hat und dann ins Internat tat."
    "Ich glaube eben auch, dass es nicht nur das jüdische Thema ist, sondern es ist auch ein Generationsthema. Eine Generation von Eltern, auch eine Kriegsgeneration, die haben so viel erlebt im Krieg, dann haben die sich keine Gedanken gemacht, ob das Kind jetzt im Internat Heimweh hat."
    "Titos Brille" erzählt in Teilen auch deutsche Geschichte, beschreibt ein Nachkriegsdeutschland, wie es sich so oder ähnlich in vielen Familien abgespielt haben dürfte, und bleibt dennoch dicht am jüdischen Schicksal. Es ist ein sehr persönlicher, fast intimer Film, was sicher der Freundschaft von Adriana Altaras und Regisseurin Regina Schilling geschuldet ist.
    "Adriana hätte sich vermutlich niemand anderem so geöffnet, weil auch wenn sie erst mal so wirkt - ich erzähle immer allen alles -, ist da trotzdem eine Ebene, wo so ein gesundes Misstrauen ist und auch eine Scheu und eine Scham."
    "Titos Brille" hat viele berührende Momente und ist so, wie eine gute Dokumentation sein sollte: anrührend und anregend zugleich. Außerdem ist der Film ein Plädoyer für das Bewahren der kleinen Dinge, die oft so große Geschichten erzählen.
    "Wer zu viel wegwirft, ist ein Faschist, sagt meine Tante immer."