Vor Parfümkaraffen und dem Kristallzerstäuber mit einer Kugel aus goldener Seide träumt sie als eine amerikanische Provinzschönheit vom Großstadtleben, von Reisen und einem Aufstieg zum Star, nach dem Vorbild ihrer Lieblingsschauspielerin Marilyn Monroe. Für den Kostümwettbewerb zum Nationalfeiertag schneidert sie ihren Töchtern Steptanzhosen aus fuchsienrotem Satin und klebt ihnen mit Glitter die Worte "Miss America" auf die Bauchschärpen.
Es ist das Amerika der fünfziger Jahre, in dem die Autorin Jacki Lyden, die älteste Tochter von Dolores, mit einer Mutter aufwächst, die ihr klare Lektionen in Sachen Weiblichkeit erteilt. Dort, vor der Frisierkommode, so die spätere Journalistin Jacki Lyden, formten ihre Träume die meinen wie ein Orakel, das spricht: "Was immer es gibt, es ist da draußen, nicht hier".
Jackis Mutter Dolores lässt sich nach einem Unfall ihres Mannes von ihm scheiden und macht auf die ihr einzig mögliche Art den ersehnten gesellschaftlichen Aufstieg: Sie heirtet den Arzt des kleinen Ortes. Dolores und ihre Töchter, so scheint es zumindest, haben es geschafft. Geld und Status des Ehemannes sollen der Familie Schutz gewähren vor den Unwägbarkeiten des Lebens. Doch dieser Arzt hat nicht nur die Macht über das Leben seiner Patienten. Vor den verbalen Demütigungen und physischen Übergriffen des despotischen Stiefvaters ist Jacki niemals sicher, wie sie sehr bald lernt. Seine Frau sieht der angesehene Mediziner als hübsches Schmuckstück, die ihm lächelnd und modisch gekleidet nach einem langen Arbeitstag abends das Essen serviert. Nach außen bietet das Paar das Bild einer perfekten Ehe. Die ersten Risse nimmt niemand wahr.
Eines Tages steht Jackis Mutter in Tücher gehüllt vor ihrer Tochter und erklärt: "Ich bin die Königin von Saba." Mit dem Eyeliner hat sie Hieroglyphen auf ihre Arme gemalt. Eine schier unbegreifliche Situation für ein zwölfjähriges Mädchen, dessen Welt plötzlich aus den Fugen gerät, weil ihre Mutter sich mit Mitte dreißig auf eine Reise in den Wahnsinn begeben hat.
"Nervenzusammenbruch" lautet die hilflose Diagnose im Jahr 1966, als die Großmutter Jacki Lyden mitteilt: "Deine Mutter ist in der Klapsmühle". "Wie bei einem Auto, wenn die Bremsen kaputt sind", erklärt die lebenspraktische Großmutter ihrer erschrockenen Enkelin. "Man verliert die Kontrolle. Sie ist erschöpft, mit den Nerven am Ende. Sie braucht Ruhe. Sie weiß nicht wer sie ist."
Jacki Lyden hat sich als älteste Tochter immer für die Mutter verantwortlich gefühlt und ist als phantasiebegabtes Kind von deren wilden Visionen und unberechenbaren Aktionen zeitweise auch durchaus angezogen. Auch als Erwachsene sieht Jacki Lyden die Vorteile, die ihre Mutter sich durch die ständigen Identitätswechsel verschafft: "Sie kann alles tun, überall hingehen, jeder sein. Und sie muss nicht einmal von zu Hause wegfahren, um das zu tun," schreibt die Autorin.
Die Reisen, die ihre kranke Mutter in ihrer Phantasie unternehmen musste, hat die Tochter später real umgesetzt. Hektisch und ruhelos hat Jacki Lyden viele Länder bereist, ohne an einem Ort heimisch werden zu können.
"Geht weg von hier, macht was!" forderte Dolores ihre drei Töchter auf und Jacki verstand diesen Satz auch als Herausforderung. Nicht umsonst sagt sie: "Ich habe so ziemlich alles gemacht." Angeregt, aber auch angetrieben von den Visionen ihre Mutter, war Jacki Lyden in ihren Entscheidungen niemals wirklich frei.
Eine künstlich geschaffene Dramatik bestimmt den Ton des Buches über weite Strecken. Ärgerlich ist dabei für den Leser, dass die Autorin bei der Schilderung ihrer Abenteuer zu Übertreibungen neigt. Hier hätte man dem Buch , dem einige Kürzungen gut getan hätten, ein gründlicheres Lektorat gewünscht.
Mehr als zwanzig Jahre sollte es dauern, bis Jackis Mutter mit der Diagnose "manisch-depressiv" in die Psychiatrie eingewiesen wird. Die Notwendigkeit einer Behandlung hatte Dolores selbst immer bestritten, die Hilfsangebote ihrer Tochter lehnte sie ab. Eine Einweisung, so die gesetzliche Regelung, ist erst möglich, wenn Jackis Mutter eine deutliche Bedrohung für sich selbst oder andere darstellt. Nach dem Angriff auf einen Richter wird Dolores 1988 in eine Klinik eingewiesen und kann dort eine erfolgreiche Behandlung beginnen - der kräftezehrende Kampf zwischen Mutter und Tochter ist zu Ende.
Jacki Lyden hat eine poetische Sprache gefunden für die Welt ihrer Mutter Dolores, die sich nach dem Scheitern ihrer zweiten Ehe ein Schattenreich schuf, in das sie sich immer häufiger zurückzog. Die Bilder, die Jacki Lyden für Farben, Gerüche und Stoffe findet und mit denen sie Natur und Menschen im Nahen Osten schildert, wo sie als Radio-Reporterin arbeitet, sind von bestechender Präzision und erstaunlicher Einfühlsamkeit. Jacki Lydens Erinnerungen an ein Familienleben jenseits aller Normen haben sicher nur einen begrenzt dokumentarischen Wert. Dennoch sind sie ein kraftvolles Zeugnis des Überlebens. "Ich habe jeden Tag und jede Stunde Angst; diese Angst ist ein Metronom, das ganz hinten auf dem Regal vor sich hin tickt", schreibt die Autorin. Das Buch lässt spüren, dass sie gegen diese Angst angeschrieben hat.
Es ist das Amerika der fünfziger Jahre, in dem die Autorin Jacki Lyden, die älteste Tochter von Dolores, mit einer Mutter aufwächst, die ihr klare Lektionen in Sachen Weiblichkeit erteilt. Dort, vor der Frisierkommode, so die spätere Journalistin Jacki Lyden, formten ihre Träume die meinen wie ein Orakel, das spricht: "Was immer es gibt, es ist da draußen, nicht hier".
Jackis Mutter Dolores lässt sich nach einem Unfall ihres Mannes von ihm scheiden und macht auf die ihr einzig mögliche Art den ersehnten gesellschaftlichen Aufstieg: Sie heirtet den Arzt des kleinen Ortes. Dolores und ihre Töchter, so scheint es zumindest, haben es geschafft. Geld und Status des Ehemannes sollen der Familie Schutz gewähren vor den Unwägbarkeiten des Lebens. Doch dieser Arzt hat nicht nur die Macht über das Leben seiner Patienten. Vor den verbalen Demütigungen und physischen Übergriffen des despotischen Stiefvaters ist Jacki niemals sicher, wie sie sehr bald lernt. Seine Frau sieht der angesehene Mediziner als hübsches Schmuckstück, die ihm lächelnd und modisch gekleidet nach einem langen Arbeitstag abends das Essen serviert. Nach außen bietet das Paar das Bild einer perfekten Ehe. Die ersten Risse nimmt niemand wahr.
Eines Tages steht Jackis Mutter in Tücher gehüllt vor ihrer Tochter und erklärt: "Ich bin die Königin von Saba." Mit dem Eyeliner hat sie Hieroglyphen auf ihre Arme gemalt. Eine schier unbegreifliche Situation für ein zwölfjähriges Mädchen, dessen Welt plötzlich aus den Fugen gerät, weil ihre Mutter sich mit Mitte dreißig auf eine Reise in den Wahnsinn begeben hat.
"Nervenzusammenbruch" lautet die hilflose Diagnose im Jahr 1966, als die Großmutter Jacki Lyden mitteilt: "Deine Mutter ist in der Klapsmühle". "Wie bei einem Auto, wenn die Bremsen kaputt sind", erklärt die lebenspraktische Großmutter ihrer erschrockenen Enkelin. "Man verliert die Kontrolle. Sie ist erschöpft, mit den Nerven am Ende. Sie braucht Ruhe. Sie weiß nicht wer sie ist."
Jacki Lyden hat sich als älteste Tochter immer für die Mutter verantwortlich gefühlt und ist als phantasiebegabtes Kind von deren wilden Visionen und unberechenbaren Aktionen zeitweise auch durchaus angezogen. Auch als Erwachsene sieht Jacki Lyden die Vorteile, die ihre Mutter sich durch die ständigen Identitätswechsel verschafft: "Sie kann alles tun, überall hingehen, jeder sein. Und sie muss nicht einmal von zu Hause wegfahren, um das zu tun," schreibt die Autorin.
Die Reisen, die ihre kranke Mutter in ihrer Phantasie unternehmen musste, hat die Tochter später real umgesetzt. Hektisch und ruhelos hat Jacki Lyden viele Länder bereist, ohne an einem Ort heimisch werden zu können.
"Geht weg von hier, macht was!" forderte Dolores ihre drei Töchter auf und Jacki verstand diesen Satz auch als Herausforderung. Nicht umsonst sagt sie: "Ich habe so ziemlich alles gemacht." Angeregt, aber auch angetrieben von den Visionen ihre Mutter, war Jacki Lyden in ihren Entscheidungen niemals wirklich frei.
Eine künstlich geschaffene Dramatik bestimmt den Ton des Buches über weite Strecken. Ärgerlich ist dabei für den Leser, dass die Autorin bei der Schilderung ihrer Abenteuer zu Übertreibungen neigt. Hier hätte man dem Buch , dem einige Kürzungen gut getan hätten, ein gründlicheres Lektorat gewünscht.
Mehr als zwanzig Jahre sollte es dauern, bis Jackis Mutter mit der Diagnose "manisch-depressiv" in die Psychiatrie eingewiesen wird. Die Notwendigkeit einer Behandlung hatte Dolores selbst immer bestritten, die Hilfsangebote ihrer Tochter lehnte sie ab. Eine Einweisung, so die gesetzliche Regelung, ist erst möglich, wenn Jackis Mutter eine deutliche Bedrohung für sich selbst oder andere darstellt. Nach dem Angriff auf einen Richter wird Dolores 1988 in eine Klinik eingewiesen und kann dort eine erfolgreiche Behandlung beginnen - der kräftezehrende Kampf zwischen Mutter und Tochter ist zu Ende.
Jacki Lyden hat eine poetische Sprache gefunden für die Welt ihrer Mutter Dolores, die sich nach dem Scheitern ihrer zweiten Ehe ein Schattenreich schuf, in das sie sich immer häufiger zurückzog. Die Bilder, die Jacki Lyden für Farben, Gerüche und Stoffe findet und mit denen sie Natur und Menschen im Nahen Osten schildert, wo sie als Radio-Reporterin arbeitet, sind von bestechender Präzision und erstaunlicher Einfühlsamkeit. Jacki Lydens Erinnerungen an ein Familienleben jenseits aller Normen haben sicher nur einen begrenzt dokumentarischen Wert. Dennoch sind sie ein kraftvolles Zeugnis des Überlebens. "Ich habe jeden Tag und jede Stunde Angst; diese Angst ist ein Metronom, das ganz hinten auf dem Regal vor sich hin tickt", schreibt die Autorin. Das Buch lässt spüren, dass sie gegen diese Angst angeschrieben hat.