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Tod einer Ärztin

Rebellionen finden heute nur noch in privatem Rahmen statt. Und in Kriminalromanen. Meistens in privatem Rahmen in Kriminalromanen. Die Rebellen heissen da Wallander, Montalbano, oder Carvalho. Ihre Rebellion richtet sich gegen die moderne Gesellschaft im Allgemeinen und gegen den modernen Menschen im Besonderen, also gegen die Formel jung-flexibel-zukunftsorientiert. Ihre Waffen sind diskrete Insubordination und konsequentes hinter der Zeit her Humpeln. Die Leser lieben sie, eben weil sie in nichts dem Ideal entsprechen, das Human Ressource Manager beim Erstellen von Anforderungsprofilen im Kopf haben. Die Heimat dieser an Georges Simenons Maigret geschulten Antihelden ist Europa. Die oben erwähnten Versionen stammen aus Schweden (Henning Mankells Kurt Wallander), Italien (Andrea Camilleris Salvò Montalbano) und Spanien (Manuel Vásquez Montalbáns Pepe Carvalho).

Sacha Verna |
    In der Schweiz gibt es Hansjörg Schneiders Kommissär Hunkeler. Wie seine Kollegen hat er seine besten Jahre schon hinter sich, er ist ein Dickkopf, leicht depressiv und manchmal ein wenig sentimental. Zu Beginn seines vierten Falls schwitzt der Kommissär, und ganz Basel schwitzt mit ihm. Es ist Hochsommer, und Hunkelers Hausärztin liegt erstochen in ihrer Praxis. Für Hunkeler, der sich wie üblich lieber auf sein Gefühl verlässt als auf graue Zellen, steht bald fest: ein Beziehungsdelikt. Jedenfalls, da ist er sich sicher, waren es nicht die "Drögeler³, die von Dr. Christa Erni Methadon erhielten und nun natürlich von allen verdächtigt werden. Schliesslich erweist sich die Mehrheit der Beteiligten als lesbisch, impotent oder sonstwie neben den Schuhen, der Täter wird entlarvt und die Welt dadurch nicht besser.

    Man braucht es gar nicht so genau zu wissen. Viel interessanter als Frau Doktors verwickelte Familienbande, als falsche Alibis und richtige Lügen sind nämlich Fragen wie: Zu was für romantischen Tiefsinnigkeiten wird die Nacht mit Hedwig im gemeinsamen Elsässer Wochenendhaus Hunkeler diesmal verführen? Wie lange wird der klapprige Stuhl noch friedlich vor sich hin quietschen, den Hunkeler von zuhause ins verhasst neue Büro geschleppt hat? Und welche Farbe wird Staatsanwalt Suters Gesicht annehemen, wenn Hunkeler wieder mal eine halbe Stunde zu spät zum Rapport erscheint und sich mit Würstchen und Kartoffelsalat entschuldigt, die er zwecks Anregung der Denktätigkeit haben verspeisen müssen? Was zählt, ist Hunkelers "So muss man¹s machen, aber anders geht¹s auch³-Methode, es sind seine stillen Alltagsaufstände und die Details. Sie schaffen Atmosphäre, auf Äckschen verzichtet man gern. Ihretwegen verzeiht man dem Autor den reichlich konstruierten Plot. Ihretwegen verlangt man nicht nach plausiblen Erklärungen, sondern glaubt blind an Hunkelers phänomenalen Instinkt. Und beinahe würde man ihretwegen auch stilistische Patzer übersehen nur beinahe, weil holprige Dialoge und die auffällig häufige, meistens so unnötige wie unpassende Verwendung des Terminus "Arschloch³, weil Wiederholungen von Blasen-Sätzen wie "Da klingelte das Telefon, er hob ab³ auf Dauer halt doch etwas stören.

    Tod einer Ärztin ist kein Krimi, den man lesen muss. Aber einer den, man lesen kann, ohne es zu bereuen, zumal sich Stärken und Schwächen darin ungefähr die Waage halten. Man erfährt eine Menge über Gartenwirtschaften in Basel und Sonnenuntergänge im Elsass. Doch vor allem: Eine Figur wie Kommissär Hunkeler erinnert einen daran, wie befriedigend und unspektakulär subversives Benehmen manchmal ist. In den Rhein zu hüpften, anstatt mit einem Vorgesetzten herumzustreiten beispielsweise. Oder Löcher in die Luft zu gucken, anstatt Computersysteme zu studieren. Rebellionen finden nur noch in privatem Rahmen in Kriminalromanen statt. Sie verdienen Unterstützung.