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Tod eines Terroristen

Der Theologe Friedrich Wilhelm Graf kann die Aufregung über eine Äußerung der Bundeskanzlerin zur Tötung Osama bin Ladens nicht nachvollziehen. Bei bin Laden habe es sich um einen Massenmörder gehandelt, der dem Westen und den Christen und anderen den Krieg erklärt habe, so der Münchner Ethikprofessor.

Friedrich Wilhelm Graf im Gespräch mit Karin Fischer |
    Karin Fischer: Die US-amerikanische "Kill Mission" in Pakistan hat einige Debatten ausgelöst: über die Rechtsstaatlichkeit, über das gerechte Töten, über die Figur Osama bin Ladens als Ikone und Märtyrer, über die Selbstinszenierung der amerikanischen Regierung und die schwerwiegenden Worte Präsident Obamas "Justice has been done". In Deutschland steht seit gestern Bundeskanzlerin Angela Merkel in der Kritik, die auf Nachfrage bei einer Pressekonferenz gesagt hat, sie freue sich, dass es gelungen sei, bin Laden zu töten. - Dazu der Philosoph Ottfried Höffe hier im Deutschlandfunk:

    "Wir haben das Recht, die Worte einer Bundeskanzlerin auf die Goldwaage zu legen. Trotzdem sollten wir den unstrittigen Kern nicht ganz vergessen. Dass der Chef einer grausamen Terrorgruppe gefasst worden ist, ist ein großer Erfolg, über den man sich freuen darf und wo man durchaus die Hauptbetroffenen, die US-Amerikaner, beglückwünschen darf. Man muss sich die Analogie überlegen: Das Attentat von Stauffenberg, mit dem man doch Adolf Hitler töten wollte, hat den Verschwörern viel Überlegung, viel Gewissensqual auch gekostet, und trotzdem ist niemand, der das verdammt, und wir wären doch eigentlich froh, wenn wir sagen können, wir freuen uns, dass es gelungen ist, Adolf Hitler zu töten."

    Fischer: Die Frage ging vor der Sendung an den Theologen Friedrich Wilhelm Graf. Herr Graf, ist dieser Vergleich für Sie berechtigt?

    Friedrich Wilhelm Graf: Ja, wir haben es ja mit einem Massenmörder zu tun, der dem Westen ganz pauschal und den Christen und auch anderen den Krieg erklärt hat. Wir denken immer an 9/11, wenn wir von Osama bin Laden reden; wir müssen aber auch die gewaltigen Mordaktionen sehen, die er in der islamischen Welt angezettelt hat. Insofern ist der Vergleich durchaus berechtigt. Ich kann die Aufregung über das Zitat der Bundeskanzlerin aber überhaupt nicht nachvollziehen und wir müssen in einem sehr wohlhabenden Land leben, wenn wir keine anderen Probleme haben.

    Fischer: Der Satz, "Du sollst nicht töten", ist ja nicht nur ein christliches Gebot, sondern ein einfacher Grundsatz der Menschlichkeit, und schon deshalb darf hier noch mal über das Wie dieses Vorgehens dieser Tötung nachgedacht werden. Osama bin Laden war nicht bewaffnet und Menschen wie er landen in der westlichen Welt normalerweise vor einem ordentlichen Gericht. Welche außer der göttlichen Gerechtigkeit beim jüngsten Gericht wünschten Sie sich hätte hier gegriffen, oder finden Sie das Vorgehen auch normal?

    Graf: Also man muss ja unterscheiden zwischen der rechtlichen Dimension und der ethischen Dimension. Inwieweit die Amerikaner Völkerrecht gebrochen haben, wird unter Juristen kontrovers diskutiert. Kriegsvölkerrecht ist eine extrem komplizierte Angelegenheit. Und es waren die Taliban und Al Kaida, die den Krieg aus Afghanistan nach Pakistan verlagert haben. Insofern ist das möglicherweise auch legal gewesen. Dass pakistanische Souveränitätsrechte verletzt wurden, steht auf einem anderen Blatt. Ethisch ist es eine ganz schwierige Sache. Natürlich sind wir dafür, dass es normale ordentliche Gerichtsverfahren gibt, aber ob es ein solches Verfahren hätte geben können, wie die Situation bei der Tötung Osama bin Ladens genau gewesen ist, wissen wir nicht. Insofern bin ich auch mit dem Begriff der "Kill Mission" ein bisschen vorsichtig. Wir wissen ja nicht genau, wie die einzelnen Umstände waren.

    Fischer: Der Autor und Forscher Robert Kaplan hat den Tod bin Ladens als einen entscheidenden Schub für die amerikanische Moral bezeichnet. Da stehen dann, wenn ich das richtig sehe, zwei unterschiedliche Begriffe von Moral zur Debatte: die Moral des Tötens, wenn es die überhaupt gibt, und die Moral einer gerechten Nation, wenn man das mal pathetisch formulieren will.

    Graf: Ja. Religion und Moral hat im amerikanischen politischen Diskurs, im amerikanischen Nationalismus immer eine ganz, ganz wichtige Rolle gespielt. Das hat was mit der Tradition des Einwandererlandes zu tun, das hat was mit der Tradition der Landnahme zu tun, also nach Westen zu gehen, denken Sie nur an alle Wildwestfilme, die Rolle, die der Sheriff dort spielt, oder der lokale Richter. Ganz entscheidend ist: Die Amerikaner sehen sich als Opfer in einem Kriege und sie finden nun, dass ihnen Genüge getan worden ist, zumindest symbolisch der entscheidende Täter bestraft worden ist. Nun, dann kann man auch anders argumentieren und kann sagen, Osama bin Laden hat eine bestimmte religiöse Vorstellungswelt immer verkündet, in der würde er dann jetzt vor seinen göttlichen Richter treten, und darüber kann man bekanntlich nichts sagen.