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Tod eines "treuen Askari" im KZ Sachsenhausen

Sie galten bis zum Ende des ersten Weltkriegs als zuverlässige Stützen der deutschen "Schutztruppe" in Ostafrika - die einheimischen "Askari", die als Träger, Fährtenleser und Hilfssoldaten im Sold des Kaisers standen. Einer von ihnen, Bayume Mohamed Hussein, genannt "Mahjub", schlug sich nach Kriegsende durch nach Deutschland. Als die Nationalsozialisten an die Macht kamen, geriet der ehemalige Kämpfer für die deutsche Sache in die tödlichen Mühlen der Rassenpolitik. Unter dem Titel "Treu bis in den Tod - von Deutsch-Ostafrika nach Sachsenhausen" hat die Kölner Afrikanistin Marianne Bechhaus-Gerst die erschütternde Lebensgeschichte Mahjubs recherchiert. Günter Beyer hat das Buch gelesen.

01.10.2007
    Der Mythos der kaiserlichen Kolonialarmee in Afrika - der so genannten 'Schutztruppe' - ist zäh.

    Zu diesem Mythos gehört die Beschwörung der guten Kameradschaft zwischen den deutschen Soldaten und den schwarzen, vor Ort rekrutierten Hilfskräften, die als 'Träger und Askari' verpflichtet wurden. 1891 wurde die 'Schutztruppe' gegründet; in 'Deutsch-Ostafrika', dem heutigen Tansania, bildeten 600 in Ägypten angeworbene sudanesische Söldner den Kern der schwarzen Streitmacht unter der schwarz-weiß-roten Flagge.

    "Wo man einen Sudanesen hinstellte, da blieb er stehen, bis ein Gegenbefehl kam..."

    ... rühmte ein zeitgenössisches Buch die soldatischen Tugenden.

    Die erschütternde Biografie eines dieser Askari-Krieger hat nun die Kölner Afrikanistin Marianne Bechhaus-Gerst recherchiert. Durch Zufall war sie im Bundesarchiv auf einen Brief gestoßen. Darin ging es um einen Mann namens Bayume Mohamed Husen, der 1941 ins Konzentrationslager Sachsenhausen eingeliefert wurde.

    "Und dieser Brief hat mich aufgrund des seltsamen Namens neugierig gemacht, der hat meine Recherchen ausgelöst eigentlich. Ich wollte wissen: Wer war dieser Mann, und ist er noch mal aus dem KZ Sachsenhausen herausgekommen, und daraufhin habe ich angefangen nachzuforschen."

    Bayume Mohamed Husen, genannt Mahjub, ist der Sohn eines jener Askari, die die Deutschen in Ostafrika angeworben hatten. 1904 in Daressalam geboren, arbeitet er bereits mit neun Jahren als Schreiber in einer Textilfabrik. Bei Kriegsausbruch 1914 meldet sich der Vater erneut zu den Waffen - und bringt seinen Sohn gleich mit.

    "Er war zehn Jahre. Er war tatsächlich im wahrsten Sinne ein Kindersoldat. Und er war nicht der einzige. Es gab eine nicht unbeträchtliche Zahl von solchen Kindersoldaten, die eben auch häufig aus Soldatenfamilien kamen. Die also sich freiwillig, mehr oder weniger freiwillig, meldeten und dort zum Beispiel als so genannte "Signalschüler" eingesetzt wurden oder als Waffenträger."

    Die deutschen Truppen unter General Paul von Lettow-Vorbeck liefern sich heftige Gefechte mit den Briten. Im dritten Kriegsjahr wird Mahjub verletzt und gerät in Gefangenschaft.

    1918 ist der Krieg zu Ende. Allein in Ostafrika hat er eine halbe Million Menschen das Leben gekostet. Opfer beklagt vor allem die Zivilbevölkerung, aber auch 100.000 schwarze Träger kommen ums Leben. Nach den Bestimmungen des Versailler Vertrages muss Deutschland seine sämtlichen überseeischen Besitzungen abgeben. Die weißen Überlebenden der Schutztruppe kehren zurück nach Deutschland. Und Mahjub? Der Krieg hat ihn entwurzelt, seine Landsleute stehen den ehemaligen Söldnern oft feindselig gegenüber.

    "Für die einheimische Bevölkerung waren das zum Teil wirklich Angstfiguren. Denn die hatten ja im Grunde die deutsche Sache vor allem gegenüber der einheimischen Bevölkerung vertreten. Und das unter beträchtlicher Gewaltanwendung."

    Mahjub verlässt Ostafrika. Da er lesen und schreiben kann, zudem Deutsch spricht, heuert er als Steward an auf deutschen Schiffen, die zwischen Afrika und Europa verkehren. Von einem Landgang in Hamburg kehrt er jedoch nicht zurück.

    "Vermutlich deshalb, weil er gehört hatte, dass die Deutschen noch ausstehende Löhne an ihre ehemaligen Soldaten auszahlen würden oder auszahlten. Und vermutlich in der Hoffnung, davon etwas abzubekommen, ist er an Land gegangen und nach Berlin gereist, um dort diesen ausstehenden Lohn für sich und seinen inzwischen verstorbenen Vater einzufordern."

    Tatsächlich hatte eine deutsch-britische Kommission ausstehenden Sold an ehemalige Angehörige der Schutztruppe in Ostafrika gezahlt. Als jedoch Mahjub seine Forderungen in Berlin anmeldet, werden die Ansprüche als verjährt zurückgewiesen. Der ehemalige Kindersoldat jedoch gibt nicht auf. Er bleibt in Berlin und torpediert die Behörden mit seinen Anträgen. Er fordert auch das Frontkämpfer-Abzeichen für seine militärischen Leistungen - vergebens.

    Trotz dieser Misserfolge - Berlin gefällt ihm. Er findet eine Anstellung als Kellner im Vergnügungspalast "Haus Vaterland". Als Kollegen ihn wegen einer angeblichen Unterschlagung denunzieren, wird er entlassen. Doch bald tun sich dem findigen Afrikaner neue Möglichkeiten auf. Mahjub ergattert eine kleine Anstellung an der Universität als Sprachlehrer für Kisuaheli.

    Bayume Mohamed Hussein, der sich fortan treudeutsch Husen nennt, schlägt sich durch als Lebenskünstler, hat enormen Erfolg bei Frauen, bisweilen unterhält er mehrere sexuelle Beziehungen gleichzeitig. Anfang 1933 heiratet er die sudetendeutsche Schneiderin Maria Schwandner, die von ihm schwanger ist. Aber auch eine andere Frau erwartet ein Kind von ihm. Da sie das Kleine nicht aufziehen will, sorgt Mahjub dafür, dass das Baby in seiner Familie unterkommt.

    Der Machtantritt des Nationalsozialismus jedoch bringt immer mehr Entrechtungen für Schwarze. Afrikaner, die nicht aus ehemaligen deutschen Kolonien stammen, werden abgeschoben. Mahjub - und sogar seine Frau - müssen ihre Papiere abgeben und erhalten befristete Fremdenpässe.

    "Das bedeutete natürlich ein ständiges Vorstelligwerden bei den Ämtern, um diese Pässe, die ja mit einer Aufenthaltsgenehmigung verbunden waren, wieder verlängern zu lassen. Und das für Menschen, also auch für Mahjub, die davon überzeugt waren, Deutsche zu sein."

    Während die Nürnberger Rassegesetze von 1935 Juden die deutsche Staatsbürgerschaft generell absprechen, Ehen zwischen Juden und Nichtjuden verbieten und sexuelle Beziehungen als so genannte "Rassenschande" verfolgt werden, bleibt der rechtliche Status von Menschen mit schwarzer Hautfarbe unklar. Zwar sollen die neuen Bestimmungen die so genannte "Reinheit des deutschen Blutes" gewährleisten, aber Afrikaner und andere Nichtweiße bleiben unerwähnt. Marianne Bechhaus-Gerst vermutet dahinter ein Kalkül. Denn mit dem Machtantritt des Nationalsozialismus witterten all jene Morgenluft, die die Kolonien wiederhaben wollten.

    "Die Schriftwechsel der Behörden, sind voll von Befürchtungen, dass das negative Konsequenzen haben würde, wenn man die Afrikaner aus den ehemaligen Kolonien nun irgendwie schlecht behandeln würde in Deutschland."

    Kolonialvölker, die aus vollem Herzen nach der Knute rufen - das sind noch immer die überzeugendsten Gewährsleute für neokoloniale Ansprüche. Mahjub selber entspricht vollauf diesem Bild: Als "Vorzeige-Askari" tritt er bei revanchistischen Veranstaltungen in phantastischen Uniformen aus dem Militaria-Handel auf. Schauspielerisches Talent besitzt er ohnehin und spielt als Kleindarsteller in zwei Dutzend Filmen mit, die die deutsche Kolonialvergangenheit verklären. In dem Streifen "Die Reiter von Ostafrika" darf er den Satz sagen:

    "Mustapha nicht bleiben bei Engländern!"

    Bei Kriegsbeginn 1939 bittet Mahjub um Aufnahme in Hitlers Wehrmacht. Vergebens. Seine zweifellos positive Einstellung zum deutschen 'Barras' bewahrt ihn jedoch nicht vor dem Verhängnis. 1941 wird er wegen "Rassenschande" denunziert, als eine Münchnerin ein Kind von ihm zur Welt bringt. Man wirft ihn ins Berliner Gestapo-Gefängnis, macht ihm den Prozess, aber zu einer Verurteilung kommt es nicht. Statt dessen wird er als Häftling Nummer 39604 ins Konzentrationslager Sachsenhausen überführt. Was er dort alles hat erleiden müssen, ist unbekannt. Am 24. November 1944 stirbt der "treue Askari" im Lager. In seinen Papieren findet sich kein Hinweis auf die Todesursache.

    Mit großer Sorgfalt hat Marianne Bechhaus-Gerst den ebenso bizarren wie erschütternden Lebensweg des Bayume Mohamed Husen spannend nachgezeichnet und ein völlig unbekanntes Kapitel über den nationalsozialistischen Rassenwahn aufgeschlagen.

    Marianne Bechhaus-Gerst: Treu bis in den Tod. Von Deutsch-Ostafrika nach Sachsenhausen. Eine Lebensgeschichte.
    Ch. Links Verlag Berlin 2007. 208 Seiten, EUR 24,90