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Tod im Wasserkraftwerk

Das Stauwehr eines Wasserkraftwerkes, wie es Tausende in Deutschland gibt, ein Betonriegel im Flusslauf der Lenne im Sauerland.

Von Stefan Michel | 24.03.2003
    Wenige Meter oberhalb des Staudamms zweigt ein natürlich anmutendes Bächlein ab, das in weitem Bogen am Wehr vorbei in den Unterlauf hinabplätschert. Wanderfreudige Fische schwimmen und springen durch diesen Bachlauf aufwärts. Für diesen Fischaufstieg hat der Sauerländer Energieversorger Mark E einen sechsstelligen Betrag ausgegeben.

    In Gegenrichtung nützt den Tieren diese Umleitung aber nichts, denn flussabwärts orientieren sich die Fische instinktiv an der Hauptströmung. Und die führt in einen Kanal und auf das Kraftwerk zu.

    Vor den Turbinen steht ein Stahlgitter im Wasser, der Rechen, zwischen dessen Stäbe gerade einmal ein Zeigefinger passt. Wenn Fische an solch einem Gitter hängen bleiben, dann werden sie von einer Maschine zusammen mit Ästen und Unrat in einen Abfallcontainer befördert. Aber das passiere hier nur selten, sagt Roland Rüther von Mark E:

    Die Erfahrungen in der Vergangenheit zeigen, dass wir hier am Standort keine nennenswerten Verluste haben. Die Fische, die hier angelandet sind, sind im Prinzip vorher schon gestorben, verpilzte, kranke Fische, die angetrieben werden.

    Viele große Fische flüchten nach dem Zusammenstoß mit dem Gitter flussaufwärts zurück. Sie werden den Weg abwärts später erneut erfolglos suchen. Kleinere Fische dagegen, aber auch kapitale Aale von 80 Zentimeter Körperlänge zwängen sich zwischen den Stäben hindurch, weiß die Fischbiologin Beate Adam von vergleichbaren Anlagen:

    Das heißt, es würde mich nicht überraschen, wenn in einem Gewässer, in dem auch Aale vorkommen, trotzdem keine im Rechengutcontainer gefunden werden.

    Nicht nur die Energieversorger, auch Umweltbehörden und Umweltverbände sind auf einem Auge blind gewesen beim Schutz der Fische, so räumt Bettina Keite vom Naturschutzbund Deutschland ein:

    Viele, viele Jahre sind immer nur die Fischaufstiegsanlagen betrachtet worden. Und auf die Fischabstiegsanlagen wurde lange kein Wert gelegt, weil es gibt ja den Weg durch die Turbine.

    Doch der ist schon auf dem kurzen Abschnitt zwischen Rechen und Turbinenschaufeln für die Fische äußerst gefährlich. Biologin Adam:

    Dort werden sie durch Kollision geschädigt. Hämatome, Knochenbrüche. In der Turbine gibt es zum Beispiel ganz enorme Druckschwankungen. Das führt dazu, dass die Schwimmblasen reißen, dass es innere Rupturen an den Blutgefäßen gibt, Augenblutungen, Kiemenblutungen, Schuppenverletzungen, Flossenschäden, bis dann natürlich der direkte Einfluss einer Turbinenschaufel zur Durchtrennung eines Körpers eines Tieres kommen kann. Und schlussendlich, wenn sie dann endlich im Unterwasser angekommen sind, dann kommt ein biologisches Phänomen zum tragen, denn Raubfische wissen sehr wohl, dass es unter Wasserkraftanlagen `ne Menge zu fressen gibt.

    Dr. Adam hat mit anderen Wissenschaftlern und Ingenieuren alle verfügbaren Erkenntnisse darüber zusammen getragen, wie Fische vor dem Tod im Wasserkraftwerk bewahrt werden könnten. Die interdisziplinäre Arbeitsgruppe kommt in ihrem noch unveröffentlichten Bericht zu folgendem Fazit: Teure Fischaufstiege sind sinnlos, solange die Wasserkraftanlagen nicht gründlich umgebaut werden. Die Gitterstäbe vor den Turbinen müssen noch viel enger beieinander stehen als heute üblich, die Geschwindigkeit des anströmenden Wassers muss drastisch gesenkt werden. Und direkt vor dem Gitter müssen mehrere Wasserwege abzeigen, durch die wandernde Fische sicher in den Unterlauf treiben können. Das alles zusammen würde die Leistung der Wasserkraftwerke jedoch so sehr mindern, dass viele von ihnen trotz staatlicher Begünstigung nicht mehr rentabel wären. Dr. Adam:

    Den Aufstieg zu gewährleisten mit so genannten Fischaufstiegsanlagen ist im Verhältnis, den Abstieg zu gewährleisten, ja ein Kinderspiel.