
"Seit dem 19. Jahrhundert sind die Stimmen sehr laut, dass der Tod zunehmend verdrängt würde, dass er aus den Familien hinaus in die Krankenhäuser verdrängt werde, dass niemand über ihn spreche, dass er zum Tabu würde, eben. Eine Entwicklung, die wir bis in die fünfziger, sechziger Jahre erleben, die bei Vielen heute noch weiter klingt. Gleichzeitig haben wir seit den sechziger Jahren eine ganze Reihe von Entwicklungen, Bewegungen, die sich dagegen stemmen geradezu."
Die Hospizbewegung oder die Entwicklung der Palliativmedizin, deren Ziel die Aufrechterhaltung der Lebensqualität bei unheilbar Kranken und Sterbenden ist, sind beispielsweise Bewegungen, die Sterben und Tod ganz bewusst mehr statt weniger Aufmerksamkeit widmen. Der Soziologe Professor Hubert Knoblauch von der Technischen Universität Berlin sieht hier Hinweise für einen gesellschaftlichen Wandel im Umgang mit dem Tod:
"Das gilt auch für andere öffentliche Formen, wie zum Beispiel Ausstellungen, zum Beispiel die Körperwelten Ausstellung, in denen der Tod auf eine sehr sichtbare Weise thematisiert wird - und zwar auf eine so sichtbare Weise, dass uns scheint, dass die Bezeichnung Tabuisierung überhaupt nicht mehr zutrifft auf diese Formen."
Die umstrittene, aber sehr erfolgreiche Wanderausstellung mit dem Namen "Körperwelten" zeigt seit über zehn Jahren einer neugierigen Öffentlichkeit tote Körper, die der Anatom Gunther von Hagens mit einer speziellen Methode konserviert, "plastiniert" hat.
Auch bei einem breiten Fernsehpublikum lässt sich seit geraumer Zeit ein zunehmendes Interesse am Sezieren beobachten. Charakterlich besonders auffällig inszenierte Pathologen sorgen als Gerichtsmediziner im Schlepptau diverser Kommissare auf allen Kanälen für hohe Einschaltquoten.
"Sie hat eine Hirnblutung erlitten?"
"Glotz nicht so, Frau Kommissarin, das steht dir nicht."
"Warum hast du sie nicht sofort entdeckt?"
"Weil sie nur etwa Linsengroß ist, im Stammhirnbereich, und weil man sie deshalb nur bei der Präparation entdecken kann."
"Wir nehmen diese Formen auch als hypothetische Hinweise auf eben grundlegende Wandlungen im Verhältnis zum Tod und wollen genau das thematisieren, weil es bisher nur einige, auch nicht systematisch erforschte Hinweise gibt."
Die Sektion oder Obduktion steht daher zunächst im Mittelpunkt des Forschungsprojekts. Die Wissenschaftler unterscheiden dabei deutlich die Öffnung eines Leichnams im Auftrag der Gerichtsmedizin von der klinischen Sektion. Die Soziologin Antje Kahl:
"Also klinische Sektion ist das, was im Krankenhaus stattfindet. Bei allen natürlichen Todesfällen, die im Krankenhaus stattfinden wird eine bestimmte Rate obduziert, einfach um die Diagnose der Todesursache verifizieren zu können, um bestimmte Anhaltspunkte über Krankheitsverläufe zu bekommen, also für die Forschung."
In diesem Fall müssen die Angehörigen der Obduktion im Dienst der Wissenschaft zustimmen. Von ihrem Verhältnis zum toten Körper ist die Freigabe des Leichnams abhängig. Auf der anderen Seite stehen die Ärzte, die über die Konzentration auf die Heilung der Lebenden hinaus auch ein Interesse am toten Körper mitbringen müssen. Bei einem ersten, näheren Hinsehen auf die klinische Sektion stoßen die Wissenschaftler im Projekt "Tod und toter Körper" bereits konkret auf widersprüchliche Entwicklungen. Hubert Knoblauch:
"Wir haben Hinweise darauf, dass eine zunehmende Maschinisierung hier geschieht, dass also auch eine zunehmende Distanz der Mediziner zum toten Körper in dieser Hinsicht zu beobachten ist. Gleichzeitig haben wir auch eine abnehmende Sektionsrate, also offenbar sind auch die Laien sehr stark von einer Tabuisierung, könnte man sagen, des Körpers gekennzeichnet. Zugleich aber, und das ist das Eigenartige bei diesem Phänomen der Sektion, finden wir eine unglaubliche Ausbreitung der öffentlichen Wahrnehmung."
Die beliebten Rechtsmediziner aus den Kriminalfilmen können für die Fernsehzuschauer nämlich gar nicht genug Leichen auseinandernehmen. Hat das vielleicht eine Wirkung auf die Realität? Und wenn ja, welche? Antje Kahl:
"Diese Serien, die man seit 2000 ungefähr vermehrt im Fernsehen sehen kann, wo also der tote Körper und auch der sezierte tote Körper zum zentralen Thema gemacht wird, wird also der Bestandteil der Untersuchungen sein, weil gerade hier ja auch das Laienwissen sich verändert, also auch der tote Körper, gerade der sezierte tote Körper ist ja was, was unter normalen Umständen im Laienwissen gar nicht vorhanden ist, worüber man sich auch eigentlich keine Gedanken machen will - und hier plötzlich aber damit konfrontiert wird, was höchstwahrscheinlich auch die Einstellung dann auch zu Sektionsfragen dann verändern wird."
Antje Kahl, Stipendiatin im Projekt, will daher mehr über die Umstände rund um die klinische Sektion herausfinden. Ihr Interesse gilt dabei vor allem den Hintergründen von Entscheidungen für oder gegen eine Obduktion nach einem natürlichen Tod. Welche kulturell geprägten und persönlichen Perspektiven und Einstellungen gegenüber dem toten Körper bringen sowohl die Ärzte als auch die Angehörigen mit? Und welche Konflikte oder Chancen ergeben sich daraus?
Dass es in so heiklen Situationen nicht leicht sein wird, eine Datengrundlage zu bekommen, ist allen Forschern im Projekt klar. Aber mit Hilfe von Kooperationspartnern, die sowohl im klinisch-pathologischen als auch im gerichtsmedizinischen Bereich an zentralen Stellen arbeiten, hofft die Wissenschaftlerin auf die Chance zu nachträglichen Interviews mit Beteiligten und gegebenenfalls sogar auf die Erlaubnis zur Teilnahme an Gesprächssituationen.
"Das Projekt ist jetzt auf vier Teilprojekte angelegt. Wir haben vier Disziplinen beteiligt, nämlich zum einen wir als Soziologie, die wir, wenn Sie so wollen, mit dem faktischen, realen Umgang mit dem Tod beschäftigen, auch die mediale Darstellung hier berücksichtigen, den Diskurs sozusagen. Wir haben ein medizinhistorisches Projekt, in dem es sehr stark um die Frage geht natürlich, wie sich die Sektion und das Verhalten zur Sektion im Laufe der Zeit geändert hat. Wir haben dann etwa ein juristisches Projekt, weil natürlich der juristische Umgang mit dem toten Körper eine ganz zentrale Frage ist, eine im Übrigen sehr, sehr, sehr umstrittene Frage."
... die schließlich international unterschiedlich beantwortet wird. So ist im juristischen Projekt auf lange Sicht auch vorgesehen, verschiedene Rechtssysteme und ihren Einfluss auf die klinische Sektionsrate zu vergleichen.
Und wir haben ein philosophisches Projekt, dass die Grundfragen des Verhältnisses zum Körper und dem toten Körper, Körper in der Ich-Perspektive, Körper in der Du-Perspektive und in der anonymen Perspektive zum Gegenstand machen will, um dann daraus eben eine Art von verallgemeinerbarer Aussage treffen zu können, ob sich ein grundlegender Wandel im Verhältnis zum toten Körper abspielt. 24''
Die gegenwärtige Konzentration auf die Sektion im Projekt "Tod und toter Körper" ist schließlich nur ein erster Schritt auf dem Weg, das Verhältnis unserer Gesellschaft zum Tod zu erforschen.
"Unser Wunsch und unser geplantes Ziel ist, die Fragestellung auf andere Formen auch auszuweiten, nachdem wir ein bisschen ein Bild uns über die klinische Sektion gemacht haben, um eben dann die Spezifik des Falles, dieses Beispielfalles zu vergleichen mit anderen Phänomenen um den Tod. Wobei wir die Ausweitung noch etwas offen lassen wollen von den Ergebnissen, die wir im ersten Fall gewinnen werden."
Die Hospizbewegung oder die Entwicklung der Palliativmedizin, deren Ziel die Aufrechterhaltung der Lebensqualität bei unheilbar Kranken und Sterbenden ist, sind beispielsweise Bewegungen, die Sterben und Tod ganz bewusst mehr statt weniger Aufmerksamkeit widmen. Der Soziologe Professor Hubert Knoblauch von der Technischen Universität Berlin sieht hier Hinweise für einen gesellschaftlichen Wandel im Umgang mit dem Tod:
"Das gilt auch für andere öffentliche Formen, wie zum Beispiel Ausstellungen, zum Beispiel die Körperwelten Ausstellung, in denen der Tod auf eine sehr sichtbare Weise thematisiert wird - und zwar auf eine so sichtbare Weise, dass uns scheint, dass die Bezeichnung Tabuisierung überhaupt nicht mehr zutrifft auf diese Formen."
Die umstrittene, aber sehr erfolgreiche Wanderausstellung mit dem Namen "Körperwelten" zeigt seit über zehn Jahren einer neugierigen Öffentlichkeit tote Körper, die der Anatom Gunther von Hagens mit einer speziellen Methode konserviert, "plastiniert" hat.
Auch bei einem breiten Fernsehpublikum lässt sich seit geraumer Zeit ein zunehmendes Interesse am Sezieren beobachten. Charakterlich besonders auffällig inszenierte Pathologen sorgen als Gerichtsmediziner im Schlepptau diverser Kommissare auf allen Kanälen für hohe Einschaltquoten.
"Sie hat eine Hirnblutung erlitten?"
"Glotz nicht so, Frau Kommissarin, das steht dir nicht."
"Warum hast du sie nicht sofort entdeckt?"
"Weil sie nur etwa Linsengroß ist, im Stammhirnbereich, und weil man sie deshalb nur bei der Präparation entdecken kann."
"Wir nehmen diese Formen auch als hypothetische Hinweise auf eben grundlegende Wandlungen im Verhältnis zum Tod und wollen genau das thematisieren, weil es bisher nur einige, auch nicht systematisch erforschte Hinweise gibt."
Die Sektion oder Obduktion steht daher zunächst im Mittelpunkt des Forschungsprojekts. Die Wissenschaftler unterscheiden dabei deutlich die Öffnung eines Leichnams im Auftrag der Gerichtsmedizin von der klinischen Sektion. Die Soziologin Antje Kahl:
"Also klinische Sektion ist das, was im Krankenhaus stattfindet. Bei allen natürlichen Todesfällen, die im Krankenhaus stattfinden wird eine bestimmte Rate obduziert, einfach um die Diagnose der Todesursache verifizieren zu können, um bestimmte Anhaltspunkte über Krankheitsverläufe zu bekommen, also für die Forschung."
In diesem Fall müssen die Angehörigen der Obduktion im Dienst der Wissenschaft zustimmen. Von ihrem Verhältnis zum toten Körper ist die Freigabe des Leichnams abhängig. Auf der anderen Seite stehen die Ärzte, die über die Konzentration auf die Heilung der Lebenden hinaus auch ein Interesse am toten Körper mitbringen müssen. Bei einem ersten, näheren Hinsehen auf die klinische Sektion stoßen die Wissenschaftler im Projekt "Tod und toter Körper" bereits konkret auf widersprüchliche Entwicklungen. Hubert Knoblauch:
"Wir haben Hinweise darauf, dass eine zunehmende Maschinisierung hier geschieht, dass also auch eine zunehmende Distanz der Mediziner zum toten Körper in dieser Hinsicht zu beobachten ist. Gleichzeitig haben wir auch eine abnehmende Sektionsrate, also offenbar sind auch die Laien sehr stark von einer Tabuisierung, könnte man sagen, des Körpers gekennzeichnet. Zugleich aber, und das ist das Eigenartige bei diesem Phänomen der Sektion, finden wir eine unglaubliche Ausbreitung der öffentlichen Wahrnehmung."
Die beliebten Rechtsmediziner aus den Kriminalfilmen können für die Fernsehzuschauer nämlich gar nicht genug Leichen auseinandernehmen. Hat das vielleicht eine Wirkung auf die Realität? Und wenn ja, welche? Antje Kahl:
"Diese Serien, die man seit 2000 ungefähr vermehrt im Fernsehen sehen kann, wo also der tote Körper und auch der sezierte tote Körper zum zentralen Thema gemacht wird, wird also der Bestandteil der Untersuchungen sein, weil gerade hier ja auch das Laienwissen sich verändert, also auch der tote Körper, gerade der sezierte tote Körper ist ja was, was unter normalen Umständen im Laienwissen gar nicht vorhanden ist, worüber man sich auch eigentlich keine Gedanken machen will - und hier plötzlich aber damit konfrontiert wird, was höchstwahrscheinlich auch die Einstellung dann auch zu Sektionsfragen dann verändern wird."
Antje Kahl, Stipendiatin im Projekt, will daher mehr über die Umstände rund um die klinische Sektion herausfinden. Ihr Interesse gilt dabei vor allem den Hintergründen von Entscheidungen für oder gegen eine Obduktion nach einem natürlichen Tod. Welche kulturell geprägten und persönlichen Perspektiven und Einstellungen gegenüber dem toten Körper bringen sowohl die Ärzte als auch die Angehörigen mit? Und welche Konflikte oder Chancen ergeben sich daraus?
Dass es in so heiklen Situationen nicht leicht sein wird, eine Datengrundlage zu bekommen, ist allen Forschern im Projekt klar. Aber mit Hilfe von Kooperationspartnern, die sowohl im klinisch-pathologischen als auch im gerichtsmedizinischen Bereich an zentralen Stellen arbeiten, hofft die Wissenschaftlerin auf die Chance zu nachträglichen Interviews mit Beteiligten und gegebenenfalls sogar auf die Erlaubnis zur Teilnahme an Gesprächssituationen.
"Das Projekt ist jetzt auf vier Teilprojekte angelegt. Wir haben vier Disziplinen beteiligt, nämlich zum einen wir als Soziologie, die wir, wenn Sie so wollen, mit dem faktischen, realen Umgang mit dem Tod beschäftigen, auch die mediale Darstellung hier berücksichtigen, den Diskurs sozusagen. Wir haben ein medizinhistorisches Projekt, in dem es sehr stark um die Frage geht natürlich, wie sich die Sektion und das Verhalten zur Sektion im Laufe der Zeit geändert hat. Wir haben dann etwa ein juristisches Projekt, weil natürlich der juristische Umgang mit dem toten Körper eine ganz zentrale Frage ist, eine im Übrigen sehr, sehr, sehr umstrittene Frage."
... die schließlich international unterschiedlich beantwortet wird. So ist im juristischen Projekt auf lange Sicht auch vorgesehen, verschiedene Rechtssysteme und ihren Einfluss auf die klinische Sektionsrate zu vergleichen.
Und wir haben ein philosophisches Projekt, dass die Grundfragen des Verhältnisses zum Körper und dem toten Körper, Körper in der Ich-Perspektive, Körper in der Du-Perspektive und in der anonymen Perspektive zum Gegenstand machen will, um dann daraus eben eine Art von verallgemeinerbarer Aussage treffen zu können, ob sich ein grundlegender Wandel im Verhältnis zum toten Körper abspielt. 24''
Die gegenwärtige Konzentration auf die Sektion im Projekt "Tod und toter Körper" ist schließlich nur ein erster Schritt auf dem Weg, das Verhältnis unserer Gesellschaft zum Tod zu erforschen.
"Unser Wunsch und unser geplantes Ziel ist, die Fragestellung auf andere Formen auch auszuweiten, nachdem wir ein bisschen ein Bild uns über die klinische Sektion gemacht haben, um eben dann die Spezifik des Falles, dieses Beispielfalles zu vergleichen mit anderen Phänomenen um den Tod. Wobei wir die Ausweitung noch etwas offen lassen wollen von den Ergebnissen, die wir im ersten Fall gewinnen werden."