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Todeszonen in der Ostsee

Ostseeforscher haben den Schlamm des Binnenmeeres untersucht. Sie wollten wissen, wie es zu extrem sauerstoffarmen Gebieten im Meer kommt – den sogenannten Todeszonen, in denen Leben abstirbt. Ein Phänomen, das es auch anderswo gibt - und nicht nur mit dem Klimawandel zu tun hat.

Von Almut Knigge | 23.07.2012
    1986 zogen im Kattegat, dem Meeresarm zwischen Dänemark und der schwedischen Westküste, die Langustenfischer nur noch tote Krebse aus dem Wasser. Bald stellte sich heraus: In der küstennahen Ostsee herrschte chronischer Sauerstoffmangel. Eine "Todeszone" war entstanden – ein Ozeangebiet, in dem die Überlebenschancen für höher entwickelte Tiere rapide absinken. Doch nicht allein die Einträge von Autoabgasen oder von Phosphat und Nitrat als Bestandteile landwirtschaftlichen Düngers fördern die Entstehung von Todeszonen im Meer, wie man bisher glaubte. Auch der Klimawandel führt erheblich zur Ausweitung. Der Beweis liegt im Schlamm, erklärt Karoline Kabel, die am Leibniz-Instituts für Ostseeforschung in Rostock-Warnemünde, kurz IOW, promoviert.
    "Man sieht ja einmal solche feinen-gestreifte, laminierten Bereiche und solche, die dunkler sind; und dann solche helleren Bereiche, die einheitlich grau sind."

    Die 28-Jährige hat zusammen mit ihren Kollegen aus dem westlichen Gotlandbecken Sedimentproben genommen. Hier ist die Ostsee fast 500 Meter tief, tiefer geht es nicht.

    " ... und in den gestreiften Bereichen hatten wir eine ungestörte Ablagerung ... es war wahrscheinlich kein Sauerstoff vorhanden – das heißt, es gab keine Würmer, die das Ganze durchwühlt hätten und die feinen Lagen zerstört hätten."

    Das Innere des halbierten Bohrkerns auf dem Labortisch verrät den Forschern vieles über Meeresumwelt vor Tausenden von Jahren. Der Kern hat eine ureigene Musterung. Feine, unterschiedlich dunkle Linien wechseln sich ab mit größeren, grauen Lagen.

    "Und in diesen hellgrauen homogenen Bereichen, da war Sauerstoff vorhanden, sodass dort Würmer gelebt haben und das Ganze durchwühlt haben. Das ist quasi unser Zeichen für Sauerstoffmangel oder kein Sauerstoffmangel."

    Die Rostocker Wissenschaftler sind zuständig für die Überwachung der Meeresumwelt der deutschen Ostseegewässer und erfüllen damit die Verpflichtungen, die Deutschland mit den Ostsee-Verträgen im Rahmen der Helsinki-Kommission eingegangen ist.

    "Bisher ist das Hauptaugenmerk auf die Eutrophierung gerichtet gewesen und die Erwärmung nicht so stark berücksichtigt worden. Mit dem Blick in die Vergangenheit können wir sagen, dass die Temperatur einen wichtigen Einfluss hat, offenbar."

    Mit einem sogenannten Paläothermometer hat Karoline Kabel in Zusammenarbeit mit niederländischen Forschern erstmals die Temperatur der letzten 1000 Jahre in der Ostsee rekonstruiert. Das Ergebnis: Schon vor 1000 Jahren war das Klima wärmer, aber zeitgleich - das verrät nun der Sedimentskern - treten in diesen wärmeren Zeiten Sauerstoffmangelgebiete auf. Sauerstoffmangel parallel zum Temperatureffekt stützt die These, dass die Temperatur einen viel größeren Einfluss hat auf den Zustand der Meere als bis dato angenommen, fasst Thomas Neumann, Ozeangraph am IOW, zusammen:

    "Wir sind uns jetzt ziemlich sicher über den Zusammenhang 'Temperatur und Sauerstoffbedingungen'. Das haben auch schon andere Untersuchungen angedeutet, aber wir haben jetzt einen profunden Nachweis dafür, dass es diesen Zusammenhang tatsächlich gibt."

    Diese Erkenntnis ist für die Ostsee besonders bedeutsam. Diese ist als Binnenmeer gerade mal 8000 Jahre alt und nur durch eine Meerenge mit der salzreichen Nordsee und den Ozeanen verbunden, für einen vollständigen Wasseraustausch mit dem offenen Meer braucht es rund 40 Jahre. Auch deshalb wird das Ostseewasser selten und nur bei starken Winden durchmischt. Sauerstoff kann also sowieso nur sehr schwer vom leichten Oberflächenwasser, das weniger salzhaltig ist, also eine geringere Dichte aufweist, in die Tiefe gelangen. Aber die Wissenschaftler wissen noch nicht, was stärker die Todeszonen begünstigt: ob die Klimaerwärmung oder die zusätzliche Nährstoffbelastung aus Landwirtschaft und Verkehr.

    "Im Moment ist eben die Wahrscheinlichkeit, dass diese beiden Effekte besonderen Druck auf die Ostsee ausüben. Aber was können wir quantitativ dazu sagen, wie groß können die Todeszonen tatsächlich werden, und welche Maßnahmen können ergriffen werden, um dem natürlichen und auch dem Eutrophierungseffekt entgegenzuwirken?"

    Gehandelt werden muss, glauben die Experten, denn die Überdüngung – Eutrophierung – begünstigt die Ausbreitung der wärmeliebenden Algenblüten - zum Beispiel der giftigen Blaualgen. Deren absinkende Reste führen wiederum dazu, dass im Tiefenwasser noch mehr Sauerstoff aufgezehrt und Lebensraum im Meer zerstört wird – mit der Folge, dass in den Netzen der Fischer nur noch tote Krebse und Fische landen. Und die Todeszonen wären tödlich für die Einkommensquelle Tourismus. Da Blaualgen giftig seien, wären im Hochsommer "Strandsperrungen nicht ausgeschlossen", warnen jetzt auch Politik und Wirtschaft.