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Tödlich attraktiv

Biologie. - Warum Spinnen mit ihren Netzen so erfolgreich Insekten fangen, beschäftigt Wissenschaftler schon lange. Sie haben die Mikrostruktur der Fäden untersucht und wie sie im Wind schwingen oder nach einem Zusammenhang zwischen Webmuster der Netze und dem Erfolg der Spinne gesucht. Wie ein amerikanischer Biologe jetzt gezeigt hat, nutzen Spinnen eine Eigenschaft von Fluginsekten, die sie auf tödliche Weise anziehend macht.

Von Joachim Budde | 08.08.2013
    Bienen, Fliegen, Blattläuse – Fluginsekten erleichtern es Spinnen, sie zu erbeuten. Und zwar unfreiwillig, allein, weil sie fliegen. Darauf ist der Biologe Victor Ortega von der University of North Carolina nicht etwa im Labor, sondern beim Spielen mit seiner Tochter gestoßen.

    "Ich wollte ihr zeigen, wie Elektrostatik funktioniert. Dazu habe ich ein Spielzeug gekauft. Einen magischen Zauberstab, der sich statisch aufladen lässt. Die Kinder können damit wie auf magische Weise kleine Gegenstände anheben. Als wir den Stab an ein Spinnennetz hielten, wurde es erstaunlich stark angezogen. Da wurde mir klar, dass auch Insekten Spinnennetze statisch anziehen können."

    Denn beim Fliegen reiben die Insekten ihre Flügel an den geladenen Teilchen, die in der Luft enthalten sind, und sammeln auf diese Weise ein elektrisches Potenzial an. Die Spinnennetze wiederum hängen meist an Pflanzen und sind ihrerseits neutral oder sogar negativ geladen. Um herauszufinden, wie die elektrische Ladung das Zusammenspiel von Insekt und Netz beeinflusst, sammelte Victor Ortega Spinnennetze sowie tote Bienen, Fliegen und Blattläuse. Er lud die Insekten minimal auf, ließ sie auf ein Spinnennetz fallen und filmte das mit einer Hochgeschwindigkeitskamera.

    "Das beeindruckende ist: Schon mit einer sehr kleinen Ladung – ich habe gerade einmal 200 Pikocoulomb gemessen – wird das Spinnennetz unglaublich angezogen. Die erstaunliche Entdeckung sieht man auf den Videos: Eine Biene zieht die klebrigen Fäden des Spinnennetzes bereits an, wenn sie noch eine halbe Körperlänge davon entfernt ist."

    Nicht alle Fäden des Netzes reagieren gleichermaßen auf die Insekten: Die stabilen Fäden, die wie Speichen eines Rades von der Mitte nach außen verlaufen und dem Netz die Festigkeit verleihen, bleiben ruhig. Lediglich die klebrigen elastischen Fäden, die spiralförmig verlaufen, werden angezogen. So als greife das Netz nach der Beute – eine tödliche Anziehung. Victor Ortega glaubt, dass der Effekt in Wirklichkeit noch größer ist, weil er lediglich zweidimensionale Bewegungen der Fäden berücksichtigt hat. Was den Spinnen bei Insekten hilft, macht ihnen bei anderen Objekten, die durch die Luft schweben, Arbeit, sagt der Biologe.

    "In meinen Experimenten haben auch Wassertropfen die Spinnfäden angezogen. Regentropfen laden sich ja statisch auf, wenn sie vom Himmel fallen. Sie bewegen die Fäden, lassen sie zusammenkleben und beschädigen das Netz, zum Beispiel, indem sie die Maschen weiten."

    Noch schlimmer sind kleine Partikel wie Pollen in der Luft. Auch sie sind positiv geladen, das macht die Netze zu sehr effektiven Staubfängern. Jeder kennt das aus seinem Keller oder Schuppen. Insekten erbeutet eine Spinne mit solch einem Netz jedoch nicht mehr. Das ist die Kehrseite der Medaille und könnte erklären, warum Spinnen ihre Netze täglich erneuern.