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Tödliche Delikatesse

Teure Delikatessen werden für viele Menschen in den ärmeren Ländern zur tödlichen Falle: Langusten und Garnelen. Hunderte von Tauchern, so zeigen Untersuchungen der Weltbank und der Hilfsorganisation Subocean Safety, kommen jährlich bei Unterwassergängen ums Leben. Das gilt auch für die Langustentaucher von Brus Laguna, einem abgelegenen Ort in Rio Platano in Honduras, einem der größten Naturschutzgebiete Mittelamerikas.

Von Monika Hoegen |
    Das Haus von Francisco Grannuel liegt ein bisschen außerhalb des kleinen Örtchens von Brus Laguna - mitten im Biosphärenreservat von Rio Platano in Honduras, ein Gebiet, das für seine Naturschönheit, aber auch für die Armut der Menschen hier bekannt ist. Francisco Grannuel geht freudestrahlend, aber langsam auf jeden zu, der ihn besuchen kommt. Bis vor wenigen Wochen noch konnte der 53jährige sich fast gar nicht fortbewegen - zumindest nicht ohne das metallene Gestell, das jetzt an der Küchenwand seines kleinen Holz-Häuschens lehnt. Zehn Jahre lang hat Francisco als Taucher gearbeitet, hat in der Lagune und weiter draußen im Meer nach Langusten und Schnecken gesucht, um sich und seiner Familie ein bescheidenes Einkommen zu sichern. Nur die Mutigsten unter den Männern wollten den Job überhaupt machen. Denn es gab Haifische, vor denen sich die Taucher nur retten konnten, indem sie sich flach auf den Grund des Wassers legten und zu tarnen versuchten. Allerdings: Die wirkliche Gefahr für die Taucher lag ganz woanders, wie auch Francisco erfahren musste.

    " Also in den ersten drei bis vier Jahren haben wir uns um Sauerstoff keine Sorgen gemacht. Ich bin ohne Ausrüstung getaucht, in einer Tiefe von drei oder vier Metern. Ich tauchte höchstens mal fünfzehn Fuß tief. Aber dann wurden die Langusten und Schnecken immer weniger. Da habe ich dann schon einen Sauerstofftank benutzt, als ich dreißig bis vierzig Fuß tief tauchen musste, um unter Wasser atmen zu können. Damit sind wir dann so fünf, sechs Jahre getaucht - jedes Mal mussten wir für unseren Fang ein bisschen tiefer runtergehen. Siebzig Fuß war normal. Da ist bei einem Tauchgang noch nichts passiert. Aber als wir dann bis zu neunzig und hundertzehn Fuß tief tauchten, fing es an mit Lähmungen. Einige sind gestorben. "

    Besonders wenn die Taucher mit ihren unzulänglichen Ausrüstungen zu schnell nach oben kommen, wird es gefährlich - auf den Körper hat das ungefähr den Effekt einer zu schnell geöffneten, unter Druck stehenden Sprudelflasche. Francisco und seine Kameraden wussten um die Gefahren, aber sie machten weiter. Was hätten sie auch anderes arbeiten sollen? Landwirtschaft oder andere Einkommensalternativen gab es in Brus Laguna kaum. Als Langustentaucher stand man noch vergleichsweise gut da - bis sich die Unfälle häuften. Eines Tages erwischte es auch Francisco. Als er nach einem Tauchgang ins Boot klettern wollte, fühlte er einen stechenden Schmerz im ganzen Körper. Er konnte sich nicht mehr bewegen. Nur mit Mühe zogen die Kameraden Francisco ins Boot und brachten ihn auf die weiter entfernte Insel Roatán. Dort wurde er erst einmal in eine Spezialkabine zum Druckausgleich gesteckt. Dann folgte ein monatelanger Aufenthalt im Krankenhaus.
    " Ich konnte nicht gehen, nicht aufstehen, mich nicht entleeren. Drei Monate lang konnte ich nicht urinieren. Dann war ich drei Monate in Therapie, das half mir, aufzustehen und mich erst einmal hinzusetzen. Dann lernte ich mit den Übungen mich hinzustellen, und dann fing ich an zu laufen. Aber alles sehr langsam, Stück für Stück. Aber meine Frau hat mir geholfen und mich zu den Hilfsstellen gebracht. "

    Bis heute weiß die Familie nicht so recht, wovon sie jetzt leben soll. Immerhin: Ehefrau Maricela verkauft selbstgebackenes Brot, der Eigentümer des Unglücksbootes gibt Geld für Medikamente. Eine Versicherung oder staatliche Rentenleistung gibt es für Francisco nicht. Dennoch hat er im Vergleich zu anderen noch Glück gehabt. Mehrere seiner Kameraden blieben für immer gelähmt, fünf von ihnen hat er sogar selbst sterben sehen. Diese Männer lassen Frauen und oft mehrere Kinder zurück - eine schreckliche Situation für die Witwen, wie etwa die 50 Jahre alte Adriana Sabala. Sie hat sechs Kinder zu versorgen. Eine Entschädigung bekam sie nach dem Tod ihres Mannes von dem Bootseigentümer nicht. Nun versucht Adriana, sich mit Wäsche waschen über Wasser zu halten. Wieder heiraten will sie auf keinen Fall - aus Angst vor Aids, das auch in Honduras' abgelegenen Regionen grassiert. Stattdessen kämpft Adriana um staatliche Unterstützung. Einmal kam sogar die honduranische Umweltministerin nach Brus Laguna, und Adriana brachte ihr Anliegen vor.
    " Wir sprachen davon, dass es Stipendien für unsere Kinder geben könnte. Denn manchmal brauchen wir Geld für Essen oder für die Schuluniformen. Dabei soll uns die Regierung helfen. Die Ministerin hat gesagt, dass sie das Problem in der Hauptstadt Tegucigalpa zur Sprache bringen wird, und dass sie uns dann vielleicht etwas schicken. Aber ich habe da so meine Zweifel. Aber vielleicht, wenn Gott es will, helfen sie uns doch. "

    Bis dahin, so sagt Adriana, bleibt nur, die junge Generation vor dem gefährlichen Taucher-Job zu warnen. Besser sei es, eine andere Arbeit auszuüben - irgendwie. Dieser Meinung ist inzwischen auch Francisco.

    " Den Jungen gebe ich den Rat: Schaut uns an, schaut die Taucher an, die nur noch im Bett liegen können. Ich sage Ihnen: Lasst das bleiben mit dem Tauchen. Das ist mein Rat. "