Heuer: Die Unesco hat gestern bei der Tagung auf Mauritius gesagt, ein Tsunami-Warnsystem für den indischen Ozean sei ab 2006 möglich. Wie sicher sind Sie, dass es zu diesem Zeitpunkt auch wirklich eingerichtet sein wird?
Töpfer: Ich glaube das ist keine zu optimistische Aussage, aber man muss eines ganz deutlich hinzufügen: Wir brauchen dieses Warnsystem natürlich nicht nur für den indischen Ozean; wir brauchen es weltweit. Wir brauchen es eben nicht nur - so wichtig das ist - für die Tsunami-Warnung, sondern für die Warnung vor anderen Naturkatastrophen. Gerade die kleinen Inselstaaten haben ja im letzten Jahr drastische Naturkatastrophen erleben müssen, ob es die großen Hurrikan-Katastrophen in Grenada oder Haiti waren oder ob es die vergleichbaren wirklich schlimmen Entwicklungen im Pazifik waren. All das muss ebenfalls in ein solches Warnsystem eingebunden werden.
Heuer: Sind diese Naturkatastrophen einfach über die Staaten hereingebrochen oder hat das auch etwas damit zu tun, wie die Menschen in dieser Welt wirtschaften?
Töpfer: Es ist ganz ohne Zweifel nicht mehr zu bestreiten, dass die Anzahl und die Schwere solcher Naturkatastrophen auch ein gutes Stück von Menschen gemacht ist. Es ist kein Zweifel - das haben uns ja auch die Wissenschaftler vorhergesagt -, dass mit dem Anstieg der Welttemperatur auch ein Anstieg der Zahl und der Schwere von extremen Wettersituationen verbunden ist. Das sehen wir weltweit. Sie können sich bei den Versicherungsunternehmen erkundigen. Es gab vor der Katastrophe, die wir jetzt in Asien erleben und bearbeiten müssen, bereits einen neuen Rekord an Schäden aus Naturkatastrophen. Also man kann nicht mehr einfach sagen das ist eine Naturkatastrophe, sondern es ist auch eine von Menschen mit verstärkte Katastrophe.
Heuer: Die kleinen Inselstaaten, zum Beispiel die Malediven, befürchten, dass sie in diesem Jahrhundert einfach untergehen werden, weil der Meeresspiegel ansteigt. Ist es für manche Inseln schon zu spät?
Töpfer: Es ist in der Tat eine ebenso sichere Aussage der Wissenschaft, dass mit der Erwärmung der Meeresspiegel ansteigt. Er steigt ja bereits an. Das ist eigentlich Prognose für die Zukunft. Und es ist ganz sicher richtig, dass solche Inselstaaten, die nur sehr gering über dem Meeresspiegel liegen, etwa wie im Pazifik oder eben die Malediven im indischen Ozean, in hohem Maße wirklich existenziell bedroht sind, dass sie untergehen können. Es kommt aber natürlich hinzu, dass etwa mit einer Veränderung der Wettersituation ja auch die Schutzsysteme gefährdet sind. Mehr denn je haben wir wieder erlebt, wie bedeutsam intakte Ökosysteme sind, etwa Mangrovenwälder, Mangrovensümpfe oder die wirkliche Stabilität von Korallenriffen, um eine noch so drastische Bewegung der Naturkatastrophe zumindest zu mindern. Wir müssen sehr viel stärker wieder daran zurückdenken, dass solche naturbezogenen Abwehrsysteme stabilisiert werden müssen. Das gilt jetzt in besonderer Weise auch für die Aufbauphase in Asien, aber es gilt natürlich auch in einer klaren Überprüfung, wie sich etwa die Landnutzung, wie sich solche Ökosysteme, die ich genannt habe, Korallenriffe, Mangrovensümpfe, aber auch Seegrasbestände in den kleinen Inseln und in anderen Küstenländern verändert, verschlechtert haben, um damit wirklich vorbeugende Sicherheitspolitik zu machen. Ein Frühwarnsystem ist unumgänglich notwendig, aber auch darauf vorbereitet sein, die Natur und die Landnutzung so ausgerichtet zu haben, dass Katastrophen abgemildert werden können, mit einer Verbindung zur Frühwarnung. Das halten wir für unumgänglich notwendig.
Heuer: All diese Maßnahmen, Herr Töpfer, kosten ja sehr viel Geld. Nun haben die Geberländer die Entwicklungshilfe für die kleinen Inselstaaten im vergangenen Jahrzehnt um ein Viertel gesenkt. Glauben Sie jetzt kommt es zu einer Kehrtwende?
Töpfer: Ich glaube alle die hier sind gehen fest davon aus, dass aus drei Bereichen heraus diese notwendige Hilfe für diese kleinen Inselstaaten kommen muss: einmal aus ihrer eigenen Aktivität heraus. Mehr und mehr sieht man natürlich, dass das Hauptkapital dieser kleinen Inseln die Natur ist. Sie sind Anbieter von Urlaubsmöglichkeiten. Sie sind in hohem Maße auf eine stabile Natur in vielen ihrer wirtschaftlichen Aktivitäten angewiesen. Also da wird in den Inselstaaten selbst vieles zusätzlich zu tun sein und ich glaube jeder sieht das hier ein.
Es ist zweitens überhaupt keine Frage, dass auch die Solidarität verstärkt werden muss. Die großartige Erfahrung der Solidarität im Rahmen dieser noch nie da gewesenen Katastrophe des Tsunami zeigt ja, dass solche weltweiten Solidaritäten in der Reaktion auf Katastrophen möglich sind. Wir sollten sie weiterführen, wir sollten sie ausdehnen auch auf die Prävention, auf eine vorsorgende Handlung. Ich glaube auch das ist hier deutlich geworden und wird auch wohl weitere Wirkung haben, wobei man das nicht quantifizieren kann.
Drittens geht es darum, dass wir alle wieder etwas stärker einsehen müssen, dass eine bessere Verbindung zur Natur eine nicht irgendwie elitäre Angelegenheit ist, sondern dass der Mensch sich eben nicht von der Natur nur abkoppeln kann, sondern dass er mitwirken muss. Diese Dekade der Erziehung für nachhaltige Entwicklung, die wir bei den Vereinten Nationen gerade jetzt beginnen, ist dafür eine wirklich großartige Chance, dass wir mehr augenöffnende Arbeit haben, dass jeder einzelne auch mitwirkt. - Das sind die drei Bereiche, wo dann auch die Zivilgesellschaft, wo die Nichtregierungsorganisationen eine ganz wichtige Rolle spielen.
Heuer: Wo aber auch der Staat, die Staaten, die Industriestaaten nämlich, eine wichtige Rolle spielen. Wenn wir die Prävention noch mal herausgreifen und die Kosten, die sie verursacht. Reicht es aus, wenn die Entwicklungshilfe in Deutschland zum Beispiel von heute 0,28% bis 2005 auf 0,7% des Bruttoinlandsproduktes erhöht wird? Ist das nicht zu wenig und zu spät?
Töpfer: Man kann natürlich immer sagen, früher wäre besser gewesen, aber das ist ja wirklich akademisch. Entscheidend ist jetzt, dass wir bei diese Dingen nicht in der Bewältigung der Katastrophe verharren, so wichtig das ist und so sehr ich mich freue, dass die Vereinten Nationen in großartiger Weise unterstützt von vielen Menschen hier koordiniert helfen. Großes Lob für meinen Kollegen Jan Eggelund, der diese Arbeit vorantreibt. Wir alle sind uns aber bewusst, in die Aufbauphase hinein, die ja kommen muss, damit die Menschen dort wieder Perspektive haben und wir alle diese gewaltige Herausforderung bestehen können, müssen wir eben mehr die Bereiche einbinden, die im Entwicklungsprozess bisher vielleicht etwas zu kurz gekommen sind. Das ist eine mehr auch die Natur einbindende Aufgabe. Ich sage das noch einmal mit großem Nachdruck. Dies ist auch gerade von Kofi Annan in seiner Rede an diese Konferenz deutlich gemacht worden, dass dies eben nicht luxuriöse Dinge sind, sondern dass sie notwendig sind, dass sie hohe ökonomische Werte haben. Jeder Euro mehr für eine Entwicklungszusammenarbeit ist eine gute Investition in eine gemeinsame friedliche Zukunft in der globalisierten Welt. Deswegen sollte man nicht sagen man hätte früher, sondern man sollte sagen wir sind jetzt wieder gefordert, und ich freue mich zu sagen, dass diese Solidarität mich bestätigt hat.
Heuer: Der Pariser Club, Herr Töpfer, hat den vom Tsunami betroffenen Staaten gestern ein Schuldenmoratorium angeboten. Wäre ein Schuldenerlass besser gewesen?
Töpfer: Ich glaube dieses Moratorium ist eine sehr, sehr gute Entwicklung, denn es entlastet ja diese Staaten unmittelbar. Das lässt weitere Entwicklungen ja jederzeit zu. Aber ich glaube man sollte diese Industrieländer wirklich zunächst einmal dafür loben, dass sie diesen Schritt gegangen sind und damit unmittelbare Entlastung in den Budgets dieser Länder erreicht haben. Es ist natürlich zu hoffen, dass damit mehr Spielraum gegeben ist, um wirklich gezielte, auch für die Zukunft vorsorgende Aufbaupolitik zu betreiben.
Heuer: Alle Welt schaut im Moment auf die vom Tsunami betroffenen Staaten. Das ist sicher sehr schön. Es birgt aber auch die Gefahr, dass andere Staaten, Menschen, die ebenfalls bittere Not leiden, leicht übersehen werden. Stimmen Sie zu?
Töpfer: Natürlich gibt es die eine oder andere Sorge, dass etwa jetzt die großen bleibenden strukturellen Herausforderungen, denen wir uns etwa in Afrika gegenüber sehen, etwas zurücktreten. Ich bin nicht der Meinung, dass dies der Fall sein wird. Man kann Premierminister Blair ja nur dafür loben, dass er für seine Präsidentschaft in der G8 und die Präsidentschaft in der Europäischen Union sich diese beiden Schwerpunkte gesetzt hat: der Schwerpunkt auf Afrika und der Schwerpunkt auf den Klimawandel. Dies sind bleibende Herausforderungen und ich glaube, dass deswegen jede Überlegung, man könne das jetzt zurücksetzen, ganz sicherlich die falsche Reaktion wäre und den vielen Opfern, die dieser Tsunami gebracht hat, wirklich überhaupt nicht gerecht würde. Wir haben gesehen, welche Verbindung besteht zwischen Anmut und Verletzlichkeit. Dies sind Dinge, die ja nicht herbeigeredet sind, sondern wir sehen das sehr deutlich. Und wenn Sie hier etwa mit der Ministerin von Grenada sprechen, die diesen gewaltigen Hurrikan über sich haben ergehen lassen müssen, dann wissen Sie auch diese Zusammenhänge zu würdigen und zu werten. Das gehört mit in eine vorsorgende Politik und deswegen bin ich sehr davon überzeugt, dass die Schwerpunkte sich nicht so verändern dürfen, dass das was strukturell notwendig ist zu kurz kommt.
Heuer: Letzte Frage Herr Töpfer. Sind die Industriestaaten durch den Tsunami aufgewacht, aufgeweckt worden? Sind sie jedenfalls wacher für die Probleme geworden als zuvor?
Töpfer: Ganz sicherlich hat diese Katastrophe eines deutlich gemacht, dass man eben die Natur nicht völlig zähmen kann, dass sie sich immer wieder eine gewaltige Reaktion heraufbeschwört, dass wir auch ein Stück wenn Sie so wollen bedachter sein müssen auf die Einbindung der Natur. Ich glaube, dass viele in dem Globalisierungsprozess vergessen haben, dass man eben nicht alles nur mit Technologien bewältigen kann, sondern dass man auch solche Dinge mit berücksichtigen muss, die die Natur uns auf einmal wieder aufzwingt, sich bemerkbar macht, uns zeigt, dass man eben mehr auch diese Vorsorge betreiben muss. Von daher gesehen glaube ich schon, dass sehr viele Menschen ihre Augen wieder ganz anders geöffnet haben und dass ganz andere Perspektiven mit ins Bild getreten sind, als wir sie vorher hatten.
Heuer: Klaus Töpfer, der Leiter des UN-Umweltprogramms. Ich danke Ihnen für das Gespräch Herr Töpfer. Auf Wiederhören!