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Tolle Daten, aber keiner kommt ran

Forschungspolitik. – In Wien laufen die Fäden des internationalen Überwachungsnetzes zusammen, das die Einhaltung des Atomwaffenteststopp-Abkommens überprüft. Die Daten dieses großen Lauschangriffs wären eigentlich auch für die Wissenschaft interessant. Doch ihre Freigabe für die Forschung ist knifflig.

Von Ralf Krauter | 21.09.2006

    Robert Horner ist Rasterfahnder im Dienste der Rüstungskontrolle. Der kanadische Seismologe sitzt im 6. Stock eines Bürogebäudes der UNO-City in Wien und lauscht dem Pulsschlag des Planeten. Das Bild auf seinem Monitor erinnert an eine komplexe Partitur. Gut 20 gezackte rote Linien sind da untereinander angeordnet - Daten des weltumspannenden Sensornetzes, das die UN-Unterorganisation zur Überwachung des umfassenden Verbotes von Nuklearversuchen, kurz CTBTO, aufbaut und betreibt. Robert Horners Job ist es, verräterische Muster aufzuspüren, die auf heimliche Kernwaffentests hindeuten könnten:

    "”Das Spannende an diesem globalen Sensornetz ist, dass es so etwas in dieser Komplexität noch nie zuvor gegeben hat. Das heißt, wir entdecken Dinge, die wir nie zuvor gesehen haben. Deshalb ist es richtig aufregend, die Daten auszuwerten. Denn wir lernen eine Menge darüber, wie sich Schallwellen in der Erde, im Wasser und in der Luft ausbreiten.""

    321 Messstationen, verteilt rund um den Globus, soll das internationale Monitoring-System einmal umfassen. 70 Prozent davon liefern bereits kontinuierlich Daten nach Wien. Seismometer registrieren unterirdische Sprengungen, Unterwassermikrofone hören Explosionen in den Ozeanen, Infraschall-Antennen lauschen dem Grummeln der Atmosphäre und Radionuklid-Detektoren messen verräterische radioaktive Elemente. 14 Gigabyte Daten werden täglich per Satellit in die Wiener Zentrale übertragen. Die einzigen Kernwaffentests, die die Rasterfahnder bislang registriert haben, waren die von Indien und Pakistan im Jahr 1998. Dafür geht den Nuklear-Detektiven jeden Tag eine Menge anderer spannender Dinge ins Netz. Egal ob sich über dem Atlantik ein Wirbelsturm zusammenbraut, über Feuerland ein Meteorit in die Atmosphäre eintritt, oder irgendwo in der Südsee ein Vulkan ausbricht – Robert Horner und seine Kollegen sehen es auf ihren Monitoren.

    "”Es ist unbestritten, dass man mit unseren Daten viele Dinge machen kann, die mit unserem Vertragszweck nichts zu tun haben.""

    Der österreichische Diplomat Bernhard Wrabetz arbeitet in der Chefetage der CTBTO in Wien. Sein Ziel ist es, künftig auch vermehrt Wissenschaftler dafür zu sensibilisieren, was der große Lauschangriff so alles möglich macht. Wrabetz:

    "Und das geht von Tsunami-Warnsystemen, über rein wissenschaftliche Forschung im geophysischen Bereich bis zur Klimaforschung – es ginge im Prinzip sogar, dass wir Walgesänge aufnähmen und damit die Migrationsbewegungen der Wale überprüfen. Das sind Dinge, die weitgehend unerforscht sind von der Wissenschaftswelt und da versuchen wir jetzt auszuloten, was dieses Potenzial ist."

    So wären etwa auch Warnungen vor Vulkanausbrüchen oder Wirbelstürmen denkbar. Auch die verraten sich teils frühzeitig durch charakteristische Muster im Pulsschlag des Planeten. Doch die Einspeisung der Daten aus Wien in regionale Frühwarnsysteme ist knifflig - und zwar nicht technisch, sondern juristisch. Da die Informationen aus Wien als sicherheitsrelevant gelten, sind viele Vertragsstaaten dagegen, sie zeitnah freizugegeben. Für die Rüstungskontrolleure an der Donau bedeutet das: Sie müssen diplomatische Tricks anwenden, um Teile ihres Datenschatzes verfügbar zu machen. Beispiel Tsunami-Frühwarnung. Seit einiger Zeit speisen die Wiener Experten ihre Daten in die großen Warnsysteme im Pazifik und Nordpazifik ein. Offiziell zwar nur zu Testzwecken, doch der Nutzen ist greifbar. Wrabetz:

    "Zum Vergleich: Unsere Daten kommen etwa nach 30 bis 40 Sekunden dort an, wo sie hin sollen. Die nächsten schnellsten Daten sind dann eineinhalb Minuten später verfügbar. Das ist nicht viel in absoluten Maßstäben. In relativen aber schon, weil Zeit ein kritisches Element ist in der Tsunami-Warnung - also zwei Minuten früher oder später vom Strand wegzukommen, spielt eine Rolle."