Sie haben einen unbändigen Willen zur Macht. "Nach oben zu kommen", lautet ihre bedrohliche Maxime, um möglichst lang dort zu bleiben. Helmut Kohl häufte Macht über seine Partei an, Gerhard Schröder entwickelte sie im Gleichklang mit den Medien, und Angela Merkel fiel sie in einer glücklichen Situation zu, als ihre Partei darniederlag. Die vorliegende Machtmenschen-Vergleichsstudie stammt von einem Autor, der von sich selber sagt, dem Faszinosum Macht auch zeitweise erlegen gewesen zu sein. Als Leiter der Bonner Vertretung der EU-Kommission und Geschäftsführer der Konrad-Adenauer-Stiftung hat Gerd Langguth die Kohl-Jahre aus der nächsten Nähe erlebt und durchlitten. Über drei Säulen der Macht hätte der Rekordkanzler in seinen unangefochtenen Jahren verfügt:
Die Partei als Basis, die Bundestagsfraktion als Netzwerk und das Kanzleramt als das Zentrum. Kohls Erfolgsgeheimnis war, dass er lange Zeit virtuos diese drei Säulen zum Ausbau seiner Machtfülle nutzte. Es gelang ihm, die Kanzlermacht mit der Macht eines Parteiführers synergetisch zusammenzuführen.
Hinzu kam freilich noch eine weitere machtorientierte Rolle:
"Für Kohl war die Geschichtshaltung schon ein Machtinstrument, weil ja gerade eher konservative Wählerschichten davon angesprochen werden. Konservative Menschen wollen ein Weltbild vermittelt haben durch die Führerfiguren, an die sie glauben, und das verstand Kohl doch in gewisser Weise ziemlich perfekt, wenn auch manches Mal mit sehr stark gegensätzlichen Äußerungen. Er konnte also in der gleichen Rede den Vertriebenen gegenüber Positives sagen, er konnte den Bürgerrechtlern in der DDR aber auch denjenigen, die sich teilweise angepasst hatten in der DDR ebenso freundliche Botschaften mit auf den Weg geben."
Doch die Liste des Machtmissbrauchs von Helmut Kohl kann sich ebenso sehen lassen: eine "absolut autokratische Führung" der Union und eine wachsende Missachtung des Institutionellen, zum Beispiel des Prinzips der Ministerverantwortlichkeit im Kabinett, die Entpolitisierung von Parteigremien und die Anhäufung von Chefsachen; zum Schluss eine Bunkermentalität im Kanzleramt.
"Jeder Machtmensch ist im Laufe der Zeit in der Gefahr von der Realität sich abzukoppeln. Das hängt mit dem täglichen Geschehen zusammen, dass man nicht mehr die Möglichkeit hat, mit Freunden, mit normalen Menschen gleicherweise zu kommunizieren. Ein Machtmensch spricht normalerweise immer nur mit Menschen, die was von ihm wollen. Und ein Machtmensch, der nicht mehr anonym durch die Straßen gehen kann, sondern sofort erkannt wird, reagiert anders und denkt auch - je länger er im Amt ist - anders. Und da ist natürlich auch die Gefahr des Machtmissbrauchs."
Gerhard Schröder wird die unverhohlenste "Lust auf Macht" nachgesagt - von der berühmten Szene des jungen Abgeordneten am Zaun des Kanzleramtes: "Ich will hier rein" bis zum letzten "suboptimalen" Aufbäumen in der Elefantenrunde am Abend der Neuwahl 2005. Andererseits hat er aus der Sicht der Vertreter der Kohlschen Machtlehre entscheidende Machtdefizite aufzuweisen, zum Beispiel sein Verhältnis zur eigenen Partei:
"Schröder wusste frühzeitig sich gegen seine eigene Partei zu profilieren, was ihm auch gute Umfragewerte in der Bevölkerung einbrachte. Aber wer auf Dauer nicht von der eigenen Partei akzeptiert wird, muss letztlich in Deutschland scheitern. Denn ich kam zu dem Ergebnis, dass in Deutschland die Quelle der Macht der Parteivorsitz ist. In dem Moment, als Gerhard Schröder gezwungen war, den Parteivorsitz an Franz Müntefering zu übergeben, hat das eigentlich das Ende seiner Macht eingeläutet."
Bei solchen Einschätzungen über eine notwendige Machtkonzentration von Regierungs- und Parteiamt zeigt sich, dass der Autor trotz aller Kritik Kohl indirekt zum Modellfall eines erfolgreichen Machtbewusstseins erhebt. Wenn nach Langguths Logik Macht nur in der Akkumulation von Spitzenämtern gelingen kann, dann muss ein Fehler im System liegen. Denn streng genommen ist ein ausgefüllter Bundeskanzler oder Ministerpräsident in seiner Doppelfunktion nur ein nomineller Parteichef. Auch als Situationist stellte der Hannoveraner den entgegengesetzten Machttypus dar im Vergleich zu seinem Pfälzer Vorgänger. Langguth skizziert den rot-grünen Kanzler als "Pragmatiker des Augenblicks", der auf kurzfristige Ereignisse spontan reagiert - von der Holtzmann-Insolvenz bis zu tödlichen Kampfhundebissen in St. Pauli. Dabei bewegte er sich häufig in einer "populistischen Grauzone".
Da Schröder Entscheidungen immer im Lichte der jeweiligen Situation traf, und zwar nicht zuletzt mit Blick auf die Börsenkurse der Machtpolitik, wirkten seine Entscheidungen gelegentlich sprunghaft. Sie wurden mit keiner Strategie, Ideologie, Philosophie in Verbindung gebracht. In der Politikwissenschaft wird Gerhard Schröder als "Beispiel für Richtung ohne Führung" bezeichnet.
Angela Merkel scheint von ihren Amtsvorgängern gelernt zu haben: von Kohl das lange Offenhalten von Optionen und von Schröder die mediale Umgänglichkeit. Und von ihrer ostdeutschen Sozialisation hat sie das Sphinxhafte: Was sich in der DDR aus der Not ergab, erweist sich in der geschwätzigen TV-Demokratie als Herrschaftsvorteil.
"Sie ist das Gegenteil von Helmut Kohl, was die Einschätzung der Geschichte angeht. Kohl, der Geschichtsdeuter. Sie ist eher die Problemlöserin, die sich an der Tagespolitik orientiert. Sie ist jemand, die unideologisch ist, die pragmatisch ist, und das ist einer der Gründe, warum sie auch so beliebt ist in der Bevölkerung. Sie ist übrigens diejenige die mit den modernen Informationstechnologien am offensivsten umgeht also beispielsweise auch, das Dirigieren ihrer Politik mit Hilfe von SMS spöttisch genannt "Short-Merkel-Service"."
Bei allem Bemühen um eine differenzierte Betrachtung des jeweiligen Regierungsstils bleibt der Autor doch immer auf den Maßstab Helmut Kohls fixiert, obwohl dieser uns nicht nur eine beispiellose Erfolgsgeschichte, sondern auch ein ebenso abschreckendes Kapitel an Machtfülle signalisiert. Immerhin zieht Gerd Langguth, vom Kohl-Bewunderer zum Kohl-Kritiker gewandelt, eine deutliche Konsequenz und tritt für eine Machtbeschränkung des Bundeskanzlers ein:
"Nachdem ich sechzehn Jahre Helmut Kohl studiert habe, und ich sagen muss, je länger jemand im Amt ist, umso mehr ist dann in der eigenen Partei die Schwierigkeit vorhanden, dass sich dort neue Konstellationen entwickeln, weil man sich ja immer an einem Vormann orientiert, bin ich schon zu der Auffassung gekommen, dass es gut wäre, die Amtszeit eines Bundeskanzlers auf acht oder auf zehn Jahre zu begrenzen."
In Gerd Langguths Buchs dominieren eine sensible Detailfixiertheit und ein unterkühlter technokratischer Blick. Die Frage, ob die Demokratie mit solchen Figuren auch gut fährt, bleibt dabei schicksalsgläubig ausgespart. Was wir aus der Studie dennoch lernen können? Dass Machtmenschen auch schwach sein können, nämlich feige und konfliktscheu, indem sie anstelle eines persönlichen Gesprächs unliebsame Leute vor vollendete Tatsachen stellen, Gereiztheiten und Intoleranzen gegenüber lästigen Journalisten pflegen, und am Ende immer einsamer werden. Insofern sind Machtmenschen nicht nur tolle Hechte, sondern auch arme Schweine.
Norbert Seitz über Gerd Langguth: Kohl, Schröder, Merkel - Machtmenschen, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2009, 18,90 Euro.
Die Partei als Basis, die Bundestagsfraktion als Netzwerk und das Kanzleramt als das Zentrum. Kohls Erfolgsgeheimnis war, dass er lange Zeit virtuos diese drei Säulen zum Ausbau seiner Machtfülle nutzte. Es gelang ihm, die Kanzlermacht mit der Macht eines Parteiführers synergetisch zusammenzuführen.
Hinzu kam freilich noch eine weitere machtorientierte Rolle:
"Für Kohl war die Geschichtshaltung schon ein Machtinstrument, weil ja gerade eher konservative Wählerschichten davon angesprochen werden. Konservative Menschen wollen ein Weltbild vermittelt haben durch die Führerfiguren, an die sie glauben, und das verstand Kohl doch in gewisser Weise ziemlich perfekt, wenn auch manches Mal mit sehr stark gegensätzlichen Äußerungen. Er konnte also in der gleichen Rede den Vertriebenen gegenüber Positives sagen, er konnte den Bürgerrechtlern in der DDR aber auch denjenigen, die sich teilweise angepasst hatten in der DDR ebenso freundliche Botschaften mit auf den Weg geben."
Doch die Liste des Machtmissbrauchs von Helmut Kohl kann sich ebenso sehen lassen: eine "absolut autokratische Führung" der Union und eine wachsende Missachtung des Institutionellen, zum Beispiel des Prinzips der Ministerverantwortlichkeit im Kabinett, die Entpolitisierung von Parteigremien und die Anhäufung von Chefsachen; zum Schluss eine Bunkermentalität im Kanzleramt.
"Jeder Machtmensch ist im Laufe der Zeit in der Gefahr von der Realität sich abzukoppeln. Das hängt mit dem täglichen Geschehen zusammen, dass man nicht mehr die Möglichkeit hat, mit Freunden, mit normalen Menschen gleicherweise zu kommunizieren. Ein Machtmensch spricht normalerweise immer nur mit Menschen, die was von ihm wollen. Und ein Machtmensch, der nicht mehr anonym durch die Straßen gehen kann, sondern sofort erkannt wird, reagiert anders und denkt auch - je länger er im Amt ist - anders. Und da ist natürlich auch die Gefahr des Machtmissbrauchs."
Gerhard Schröder wird die unverhohlenste "Lust auf Macht" nachgesagt - von der berühmten Szene des jungen Abgeordneten am Zaun des Kanzleramtes: "Ich will hier rein" bis zum letzten "suboptimalen" Aufbäumen in der Elefantenrunde am Abend der Neuwahl 2005. Andererseits hat er aus der Sicht der Vertreter der Kohlschen Machtlehre entscheidende Machtdefizite aufzuweisen, zum Beispiel sein Verhältnis zur eigenen Partei:
"Schröder wusste frühzeitig sich gegen seine eigene Partei zu profilieren, was ihm auch gute Umfragewerte in der Bevölkerung einbrachte. Aber wer auf Dauer nicht von der eigenen Partei akzeptiert wird, muss letztlich in Deutschland scheitern. Denn ich kam zu dem Ergebnis, dass in Deutschland die Quelle der Macht der Parteivorsitz ist. In dem Moment, als Gerhard Schröder gezwungen war, den Parteivorsitz an Franz Müntefering zu übergeben, hat das eigentlich das Ende seiner Macht eingeläutet."
Bei solchen Einschätzungen über eine notwendige Machtkonzentration von Regierungs- und Parteiamt zeigt sich, dass der Autor trotz aller Kritik Kohl indirekt zum Modellfall eines erfolgreichen Machtbewusstseins erhebt. Wenn nach Langguths Logik Macht nur in der Akkumulation von Spitzenämtern gelingen kann, dann muss ein Fehler im System liegen. Denn streng genommen ist ein ausgefüllter Bundeskanzler oder Ministerpräsident in seiner Doppelfunktion nur ein nomineller Parteichef. Auch als Situationist stellte der Hannoveraner den entgegengesetzten Machttypus dar im Vergleich zu seinem Pfälzer Vorgänger. Langguth skizziert den rot-grünen Kanzler als "Pragmatiker des Augenblicks", der auf kurzfristige Ereignisse spontan reagiert - von der Holtzmann-Insolvenz bis zu tödlichen Kampfhundebissen in St. Pauli. Dabei bewegte er sich häufig in einer "populistischen Grauzone".
Da Schröder Entscheidungen immer im Lichte der jeweiligen Situation traf, und zwar nicht zuletzt mit Blick auf die Börsenkurse der Machtpolitik, wirkten seine Entscheidungen gelegentlich sprunghaft. Sie wurden mit keiner Strategie, Ideologie, Philosophie in Verbindung gebracht. In der Politikwissenschaft wird Gerhard Schröder als "Beispiel für Richtung ohne Führung" bezeichnet.
Angela Merkel scheint von ihren Amtsvorgängern gelernt zu haben: von Kohl das lange Offenhalten von Optionen und von Schröder die mediale Umgänglichkeit. Und von ihrer ostdeutschen Sozialisation hat sie das Sphinxhafte: Was sich in der DDR aus der Not ergab, erweist sich in der geschwätzigen TV-Demokratie als Herrschaftsvorteil.
"Sie ist das Gegenteil von Helmut Kohl, was die Einschätzung der Geschichte angeht. Kohl, der Geschichtsdeuter. Sie ist eher die Problemlöserin, die sich an der Tagespolitik orientiert. Sie ist jemand, die unideologisch ist, die pragmatisch ist, und das ist einer der Gründe, warum sie auch so beliebt ist in der Bevölkerung. Sie ist übrigens diejenige die mit den modernen Informationstechnologien am offensivsten umgeht also beispielsweise auch, das Dirigieren ihrer Politik mit Hilfe von SMS spöttisch genannt "Short-Merkel-Service"."
Bei allem Bemühen um eine differenzierte Betrachtung des jeweiligen Regierungsstils bleibt der Autor doch immer auf den Maßstab Helmut Kohls fixiert, obwohl dieser uns nicht nur eine beispiellose Erfolgsgeschichte, sondern auch ein ebenso abschreckendes Kapitel an Machtfülle signalisiert. Immerhin zieht Gerd Langguth, vom Kohl-Bewunderer zum Kohl-Kritiker gewandelt, eine deutliche Konsequenz und tritt für eine Machtbeschränkung des Bundeskanzlers ein:
"Nachdem ich sechzehn Jahre Helmut Kohl studiert habe, und ich sagen muss, je länger jemand im Amt ist, umso mehr ist dann in der eigenen Partei die Schwierigkeit vorhanden, dass sich dort neue Konstellationen entwickeln, weil man sich ja immer an einem Vormann orientiert, bin ich schon zu der Auffassung gekommen, dass es gut wäre, die Amtszeit eines Bundeskanzlers auf acht oder auf zehn Jahre zu begrenzen."
In Gerd Langguths Buchs dominieren eine sensible Detailfixiertheit und ein unterkühlter technokratischer Blick. Die Frage, ob die Demokratie mit solchen Figuren auch gut fährt, bleibt dabei schicksalsgläubig ausgespart. Was wir aus der Studie dennoch lernen können? Dass Machtmenschen auch schwach sein können, nämlich feige und konfliktscheu, indem sie anstelle eines persönlichen Gesprächs unliebsame Leute vor vollendete Tatsachen stellen, Gereiztheiten und Intoleranzen gegenüber lästigen Journalisten pflegen, und am Ende immer einsamer werden. Insofern sind Machtmenschen nicht nur tolle Hechte, sondern auch arme Schweine.
Norbert Seitz über Gerd Langguth: Kohl, Schröder, Merkel - Machtmenschen, Deutscher Taschenbuch Verlag, München 2009, 18,90 Euro.