Sonntag, 05. Mai 2024

Archiv


Tolle Idee! – Was wurde daraus?

Technik. - Das Einsprossen von Wurzeln in Rohre und in der Folge deren Sprengung verursacht Jahr für Jahr Millionenschäden. Auf der Suche nach den Mechanismen der grünen Kostenexplosion machten Experten eine verblüffende Entdeckung und raten zum Umdenken im Tiefbau.

Von Ralf Krauter | 16.05.2006
    Solange ein Wasserrohr dicht ist, wachsen auch keine Wurzeln hinein – das ist die bis heute vorherrschende Meinung in Tiefbauämtern und Ingenieurbüros.

    "Man hat früher immer gedacht, die Bäume wurzeln in Rohre hinein, weil es da drin Wasser gibt. Und Bäume brauchen Wasser, also holen sie sich das dort."

    Doch nachdem der Botanik-Professor Thomas Stützel vom Lehrstuhl für Spezielle Botanik der Universität Bochum gemeinsam mit Tiefbauexperten aus Gelsenkirchen mehrmals in die Röhre geschaut hatte, war ihm klar: Die Leckhypothese ist fragwürdig.

    "Wenn sie in Kanäle reingucken, kommen die Wurzeln da immer von oben oder von der Seite, aber nicht von dort, wo das Wasser herkommt. Das Wasser ist unten drin, also kann’s bloß unten rauslaufen. Und wenn die Wurzel da gar nicht rein kommt, kann das Leck auch gar nicht die Rolle spielen."

    Nach ersten Versuchen schlossen die Forscher 2003: Wurzeln wachsen dorthin, wo sie am leichtesten vorankommen. Sie bevorzugen den Weg des geringsten Widerstandes und der führt sie allzu oft in das lockere Füllmaterial um eine unterirdische Wasserleitung. Sind die Wurzeln erst einmal in solch eine Dichtefalle geraten, wachsen sie meist parallel zum Rohr weiter - bis zur nächsten Muffe. Wenn die dann einen kleinen Luftspalt bietet, scheint der Weg ins Rohr verlockend bequem – und das Desaster nimmt seinen Lauf. Um es zu verhindern, tüftelt der am Wurzelprojekt beteiligte Tiefbauingenieur Christoph Bennerscheidt an Verfahren, mit denen sich testen lässt, wie wurzelsicher handelsübliche Rohrverbindungen sind. Neben der Muffengeometrie untersucht er dazu auch die Widerstandskraft der Dichtungen.

    "Hier sind wir eigentlich genau, wo wir diese Scherlastversuche durchführen."

    In einer großen Halle des Instituts für Unterirdische Infrastruktur in Gelsenkirchen steht ein stählernes Gestell, in das die Rohre eingespannt werden.

    "...Hinten ist der Versuchstand. Wie man da recht gut sieht, wird der eine Teil des Rohres festgehalten und direkt im Muffenbereich wird dann eine Last aufgebracht, die so genannte Scherlast..."

    Mit druckempfindlichen Sensorfolien messen die Forscher, wie stark unsauberer Einbau den Anpressdruck der Dichtungen verringert.

    "Wir wollen schauen, wie die unterschiedlichen Rohrverbindungen auf den Wurzeleinwuchs reagieren. Und da ist natürlich auch interessant, welcher Anpressdruck vorlag, wenn Wurzeln einwachsen. Ob dort zu identifizieren wäre: Geringerer Anpressdruck auch höhere Wahrscheinlichkeit des Wurzeleinwuchses. Oder ob man vielleicht auch einen Anpressdruck findet, wo keine Wurzel mehr einwachsen kann. "

    Konkrete Empfehlungen kann Christoph Bennerscheidt bislang noch nicht geben. Das Zusammenspiel der einzelnen Faktoren ist komplex. Versuche in Australien belegen zwar: Je höher der Anpressdruck, desto seltener wachsen Graswurzeln in Dichtungen ein. Doch ob das bei Ahorn- oder Eichenbäume genauso ist, können nur zeitaufwändige Pflanzversuche verraten. Es dürften also noch Jahre ins Land gehen, bis die Erkenntnisse Einzug in die Praxis halten könnten. Dabei wäre Zeit in diesem Fall wirklich Geld. Experten schätzen, dass die Kommunen durch verschärfte Normen für Rohrmaterial und –verlegetechnik langfristig Millionen einsparen könnten, denn die Sanierung im Schadensfall ist teuer. Trotzdem müssen PVC- und Steingutrohre in Deutschland derzeit nur auf Dichtigkeit geprüft sein. Sofern die Dichtefallentheorie stimmt, sagt das aber rein gar nichts über die Resistenz gegen Wurzeleinwachs aus. Um die zu prüfen, wären zusätzliche mechanische Tests nötig, sowie idealerweise auch Pflanzversuche, etwa mit schnell wachsenden Weiden.

    "Realistisch wäre es nur dann, wenn es wirklich zeitlich abschätzbar wäre. Also Hinweise wäre schon schön, das mit mechanischen Versuchen hinzubekommen, die relativ kurzfristig sind. Die Pflanzversuche wären dann der nächste Schritt – und da ist dann die Frage, inwieweit die durchsetzbar sind."

    Die Rohrhersteller legen bislang keinen übermäßigen Eifer an den Tag, um auf das Plädoyer für eine geänderte Tiefbautechnik zu reagieren. Warum auch? Für Schäden durch Wurzeleinwachs muss bislang der Baumbesitzer aufkommen. Solange es keine verbindlichen Normen und Prüfverfahren für wurzelsichere Produkte gibt, haben die Hersteller deshalb keinen Anreiz, Geld in kostspielige Neuentwicklungen zu stecken.