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Tolle Idee! – Was wurde daraus?

Technik. - Nach den Anschlägen vom 11. September in New York präsentierte eine israelische Firma ihre Idee, Hochhausbewohner im Katastrophenfall über eine röhrenförmige Rutschbahn rasch zu evakuieren. Inzwischen wurden erste Modelle bereits ausgeliefert.

Von Ralf Krauter | 25.07.2006
    Auf das große Geschäft wartet man zwar noch. Aber immerhin: Rund 50 Stück ihrer faltbaren Rettungsrutsche hat die kleine israelische Firma Advanced Evacuation Systems AES bereits verkauft: 750 Mal sei er bereits durch den röhrenförmigen Fluchtärmel gerutscht, sagt Marketingleiter Udi Nir – als Versuchskaninchen. Angst empfinde er keine dabei, und selbst ungeübten Benutzern gehe es nicht anders.

    "Wenn sie oben in die Fluchtröhre steigen, können sie weder nach links, rechts, oben oder unten schauen, denn der Stoff ist undurchsichtig. Sie steigen einfach in einen dunklen Schlauch mit 80 Zentimetern Durchmesser, setzen sich hin und rutschen los. Sie bekommen keinerlei Gefühl dafür, wie hoch über dem Boden sie gerade sind."

    Mit Tempo 30 geht es schräg abwärts aus der Gefahrenzone – etwas langsamer als bei einer Wasserrutsche. Eine Spiralfeder aus Edelstahl hält den parabelförmig gespannten Fluchtschlauch aus High-Tech-Textilien in Form. Auf den ersten Metern schützen feuerfeste Materialien vor Rauch und Flammen. Kurz vor dem Boden bremst ein flacher Auslauf, ein Luftkissen dämpft den Aufprall. Weil die rasante Rutschpartie kein aktives Eingreifen erfordert, taugt die Evakuierungsmethode selbst für alte, verletzte oder bewusstlose Menschen.

    "Unser erstes Modell ist für die Installation an der Außenwand von Hochhäusern gedacht. Wenn es brennt, rutscht sein unteres Ende an einem zuvor gespannten Stahlseil zu Boden. Nachdem der Fluchtärmel dort verankert wurde, kann die Evakuierung beginnen – im Normalfall also etwa drei Minuten nach Auslösung des Systems. Das zweite Modell ist für den mobilen Einsatz bei Feuerwehren gedacht. Das haben wir bereits nach China, Indien und Südkorea verkauft. Die dritte Variante, an der wir gerade arbeiten, ist für sehr extreme Bedingungen gedacht: für Produktionsanlagen der petrochemischen Industrie. "

    Dazu hat die israelische Firma AES kürzlich Aufträge aus Kanada erhalten. Der Hintergrund: Eine neue Verordnung der Regierung zwingt die kanadischen Betreiber von Ölförderplattformen, effizientere Evakuierungsverfahren zu installieren, die Mitarbeiter schnell aus der Gefahrenzone bringen. Die faltbare Rettungsrutsche gilt dabei als Methode der Wahl. Bei Bürogebäude und Wohnhäuser dagegen steht der große Markterfolg noch aus – nicht zuletzt, weil die dazu nötige Änderung der Bauvorschriften in jedem Land erneut ein langwieriger Prozess ist. Schnelleren Erfolg versprechen sich Udi Nir und seine Leute deshalb bei der mobilen Variante für Feuerwehren, die sie 2005 auf der Fachmesse Interschutz in Hannover präsentierten. Der fahrbare Fluchtärmel wird auf einem Anhänger zum Einsatzort gebracht und dort am Boden verankert. Eine Teleskop-Plattform zieht das obere Ende dann zu einem Fenster oder Balkon, wo es ein geschulter Feuerwehrmann befestigt.

    "Die mobile Rettungsrutsche ist einfach zu bedienen und sie erlaubt höhere Evakuierungsgeschwindigkeiten als alle anderen Methoden. Wir können aus 70 bis 80 Metern Höhe 20 bis 30 Menschen pro Minute in Sicherheit bringen. Auf diese Weise lässt sich innerhalb von drei Minuten ein ganzes Stockwerk evakuieren."

    Professor Reinhard Ries, der Direktor der Feuerwehr in Frankfurt am Main, hat das System bereits testen lassen und findet die Technologie überzeugend. "Wenn ich das Geld hätte, würde ich es kaufen", erklärt der Mann auf Nachfrage am Telefon. Auf der Prioritätenliste stehe die Rettungsrutsche derzeit aber nicht. Die strengen deutschen Brandschutzvorschriften schreiben bei Hochhäusern zwei unabhängige bauliche Rettungswege vor. Nur wenn beide blockiert sind, käme der Fluchtärmel als letzte Option neben dem Sprungtuch in Frage. Kein besonders häufiges Szenario also, was das Marktpotenzial in Deutschland stark begrenzt. In Ländern mit laxeren Sicherheitsauflagen könnte der Fluchtärmel aus Israel aber tatsächlich einmal helfen, Leben zu retten.