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Tolle Idee! - Was wurde daraus?
Brutkasten für Gewebe

Vor zehn Jahren schien der Traum vom Ersatzteillager für Organe ein gutes Stück näher gerückt zu sein: Fraunhofer-Forscher präsentierten damals einen Bioreaktor, in dem menschliche Zellkulturen gezüchtet werden und zu kompletten Organen heranwachsen sollten. Transplantiert wurden solche Zuchtorgane bisher noch nicht, aber sie helfen bei der Entwicklung von Medikamenten.

Von Anneke Meyer | 07.06.2016
    Regenerative Medizin: Die BioVaSc-TERM ist eine Trägerstruktur für das Tissue Engineering. Über die intakte Blutgefäßstruktur wird das Gewebe mit Nährstoffen versorgt.
    Möglichkeit der regenerativen Medizin: Über die intakte Blutgefäßstruktur wird das Gewebe mit Nährstoffen versorgt. (Fraunhofer IGB)
    Angefangen hatte alles mit einem Stück Darm. Genauer gesagt einem Stück Schweinedünndarm. Fraunhofer Forscher in Stuttgart hatten sich überlegt, den nicht in Wurstpelle zu verwandeln, sondern in menschliche Leber. Kein Zaubertrick, sondern eine Methode um eines der größten Probleme bei der Herstellung von künstlichen Geweben in den Griff zu bekommen, erklärt Jan Hansmann.
    "Die Schwierigkeit ist immer, Blutgefäße zur Verfügung zu stellen. Wir nehmen ein Stück biologisches Gewebe, was im Tier schon gewachsen ist, entfernen das unter chirurgischen Bedingungen und dezellularsieren das. Das heißt, wir entfernen die Zellen vom Tier."
    Übrig bleibt eine leere Gefäßhülle, die Matrix. So wie in ein leer stehendes Haus wieder Menschen einziehen können, ist es möglich diese Matrix mit neuen Zellen zu besiedeln. Auf dieses Weise entsteht ein künstliches Gewebe, das einem Patienten transplantiert, oder auch für Medikamententests benutzt werden kann.
    Wie aber sorgt man dafür, dass so ein künstliches Gewebe wächst und gedeiht, wenn es keinen Körper hat, der es mit Sauerstoff und Nahrung versorgt?
    "Das können wir uns im Labor mal angucken. Das ist jetzt so ein typischer Aufbau. Hier wächst Haut, vaskularisierte Haut, da können wir mal rein gucken.
    Haut aus dem Bioreaktor
    Jan Hansmann öffnet einen der zahlreichen Plexiglaskästen, die sich dicht an dicht entlang der Wände und in der Mitte des Labors reihen. Er zeigt auf einen mit Schläuchen versehenen Edelstahlbehälter. Unter seiner gläsernen Haube schimmert ein daumennagelgroßes Stück Haut zartrosa. Es wird wie "echte Haut" über Arterien und Venen versorgt, mit dem kleinen Unterschied, dass Nährmedium statt Blut fließt.
    "Der Bioreaktor stellt im Prinzip die physiologischen Bedingungen nach, wie wenn es im Körper wäre. Im Falle der Haut kontrollieren wir den Druck in der Arterie, wir kontrollieren den pH-Wert und wir kontrollieren die Temperatur. Das ist die Oberfläche von dieser Haut und man sieht jetzt leicht eingebettet diese Blutgefäßstrukturen. Und die Arterie und die Vene, die dieses ganze Gewebe versorgt, die endet hier unten und wird dann über diese Druckflasche mit Nährmedium perfundiert."
    Zehn Jahre ist es her, dass Jan Hansmann, als Diplomand am Stuttgarter Fraunhofer-Institut für Grenzflächen- und Bioverfahrenstechnik, die Mutter dieses Gefäßes entwickelt hat: Einen computergestützten Brutkasten für Gewebe. Eine tolle Idee, für die er 2006 die Fraunhofer-Auszeichnung für Nachwuchsforscher erhielt, den Hugo-Geiger Preis.
    Mittlerweile gibt es den Bioreaktor in vielfachen Ausfertigungen. Optimiert für die Zucht unterschiedlichster Gewebearten.
    "Damit Haut zum Beispiel diese Hornschicht, wie man sie jetzt sehen kann, bekommt, muss man die Haut an der Grenzfläche zwischen Medium und Luft kultivieren und das macht der Bioreaktor in dem Fall auch."
    Technik im Ausland begehrt
    Mehr als einhundert Gewebebrutkästen sind alleine am Lehrstuhl für Tissue Engineering der Uni-Klinik Würzburg in Benutzung, wo Jan Hansmann inzwischen forscht. Die Entwicklung des bastelbegeisterten Wissenschaftlers und seiner Kollegen ist aber auch anderswo nachgefragt. Forscher in Österreich, Norwegen und Saudi-Arabien benutzen die Technik.
    "Hier wachsen jetzt gerade Herzgewebe, aber die zucken noch nicht, die sind noch zu frisch. Da ist eine kleine Lunge, die da drin wächst. Hier oben ist die Trachea. Da unten ist eine Membran drin, die wird dann über einen Regelkreis entsprechend gesenkt um eine physiologische Atmung zu imitieren. Und dann expandiert die Lunge irgendwann auch."
    Zu transplantationsfertigen Spenderorganen wachsen aber weder Lunge noch Herz heran. Komplete Organe in ihrer ganzen Komplexität zu produzieren ist noch Zukunftsmusik. Die allermeisten Zucht-Gewebe die im Hansmannschen Bioreaktor heranreifen sind als Testsysteme gedacht, die langfristig Tierversuche ersetzen sollen.
    "Wir können zum Beispiel Tumoren in der Lunge wachsen lassen, um dann ein Medikament zu geben, um zu beobachten, ob der Tumor auf das Medikament anspricht oder nicht."
    Kunstgewebe repariert Organe
    Die Leber, mit der alles angefangen hat, ist inzwischen als toxikologisches Testsystem etabliert. Die Zucht-Haut wird unter anderem dazu benutzt, Infektionskrankheiten zu untersuchen. Auch wenn die Wissenschaftler noch nicht so weit sind komplette Organe zu ersetzen - Manche der kleinen Kunstgewebe können schon benutzt werden um beschädigte Organe zu reparieren.
    "Was im Patienten angekommen ist, ist dieser Luftröhrenpatch, der einem Patienten das Leben gerettet hat. Wir bereiten jetzt gerade alles vor, damit man das über ein entsprechendes Zulassungsverfahren auch mehreren Leuten anbieten kann."
    Einen kommerziellen Vertrieb der Plattformtechnologie hat Jan Hansmann bisher nicht geplant. Er stellt seine Entwicklung anderen Wissenschaftlern in Kooperationen zur Verfügung und bastelt ansonsten lieber weiter. Zum Beispiel an einer platzsparenden Einweg-Variante des Bioreaktors aus Plastikbeuteln. Ein solches System würde die Zulassung von seriellen Medikamententests vereinfachen.