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Tolle Idee! Was wurde daraus?
Energie aus der Kraft der Meereswellen

Die Wellen auf den Weltmeeren enthalten so viel Energie, dass sie den Stromverbrauch der Menschheit decken könnten – zumindest im Prinzip. Um das Jahr 2010 gab es einen Wettlauf bei der Entwicklung von Wellenkraftwerken. Doch dann machte sich schnell Ernüchterung breit.

Von Frank Grotelüschen | 23.02.2021
Eine Wellenkraftanlage vom Typ Pelamis in britischen Gewässern im Leith Port, Edinburgh, im Mai 2010
Eine Wellenkraftanlage vom Typ Pelamis in britischen Gewässern im Leith Port, Edinburgh, im Mai 2010 (imago stock&people)
"Wir sind im Nordwesten Dänemarks, in Hanstholm. Hier haben wir viel Wind und Wellen. Und zwar manchmal sehr, sehr hohe Wellen."
Herbst 2010. Laurent Marquis stapft über eine ehemalige Hafenmole zu einem flachen Metallbau auf vier Stelzen, 300 Meter vor der Küste. Aus der Seite ragen zwei große Kugelbojen und bewegen sich im Seegang auf und ab. Wavestar, so heißt der Prototyp eines Wellenkraftwerks.

"Die Bojen sind an Armen an der Plattform befestigt. Jeder Arm ist mit einem Hydraulikzylinder verbunden. Wenn die Boje im Seegang wogt, bewegt sie den Zylinder auf und ab. Der treibt eine Pumpe an, und die erzeugt über einen Generator Strom."
Heute, gut zehn Jahre später, ist der Prototyp demontiert, die Firma pleite. Ingenieur Marquis arbeitet längst woanders, er hat die Branche gewechselt, tüftelt jetzt an Industrierobotern. Ähnlich ging es auch anderen Projekten zur Stromernte im Meer: Pelamis etwa, eine Art Seeschlange, deren tonnenartige Glieder sich relativ zueinander im Seegang bewegten, eine Hydraulik setzte das in Strom um. Oder Oyster, die künstliche Auster – eine riesige Klappe, die von der Brandung auf- und zugeklappt wurde. Doch all diese Anlagen kamen über das Prototyp-Stadium nie hinaus. Und das, obwohl vor zehn Jahren alles ganz vielversprechend aussah.
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Wellenkraftwerke sind technologisch nicht ausgereift

"Es gab ja durchaus Pläne für große Wellenenergie-Parks innerhalb Europas, insbesondere an den Atlantikküsten. Von Norwegen bis Spanien, aber auch auf den britischen Inseln, in Irland," erzählt Jochen Bard vom Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik in Kassel.
Große Konzerne hatten damals in die Wellenenergie investiert, EON zum Beispiel und Siemens. Aber: "Von diesen geplanten Wellenenergie-Parks ist kein einziger realisiert worden. Letztendlich sind die Projekte daran gescheitert, dass die Technologie noch nicht ausreichend ausgereift war, um wirklich eine größere Anlagenanzahl zu bauen und sicher betreiben zu können."
Die Anlagen lieferten schlicht zu wenig Strom, als dass sie sich rentiert hätten. Und: Bei heftigen Stürmen gingen sie allzu oft zu Bruch. Um das zu verhindern, müsste man sie so stabil auslegen, dass sie selbst ausgesprochene Riesenwellen überleben würden.
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Das Problem: "Die mechanische Auslegung geht mit relativ hohen Kosten einher. Wenn ich sehr stabil, sehr robust baue und auf Betriebsbedingungen auslegen muss, die nur sehr selten auftreten, habe ich eine Anlage, die mit einem hohen technischen Aufwand und damit auch hohen Kosten einhergeht."
Dennoch versuchen sich nach wie vor junge Firmen an der Wellenenergie und tüfteln an Prototypen. Die sollen deutlich widerstandfähiger gegenüber der rauen See sein und zugleich wirtschaftlicher. Manche haben den Härtetest bereits bestanden.
"Die Firma Wello aus Finnland hat ihre Technologie bei uns getestet. Und das System namens Pinguin hat ein paar wirklich schwere Stürme überstanden," sagt Matthew Finn vom European Marine Energy Centre in Schottland, dem weltweit größten Testzentrum für die Wellenenergie.
Der finnische Pinguin sieht aus wie ein unförmiges, geschlossenes Boot. In seinem Inneren versetzt der Seegang eine Schwungmasse in Rotation, ein Generator macht daraus Strom. Demnächst werden zwei weitere Konzepte auf hoher See getestet: Mocean, so heißt das eine.
"Es ist eine Art Scharniersystem. Die Wellen betätigen die Scharniere, und diese Bewegung wird dazu genutzt, um Strom zu erzeugen. Das andere System, AWS, ist ein Druckbehälter, der knapp unter der Oberfläche taucht. Wenn die Wellen kommen, wird der Druckbehälter auf und ab bewegt. Und diese Bewegung lässt sich dann ebenfalls in Strom umwandeln."

Nischentechnik statt großer Visionen

Die Vision, große Parks mit vielen Anlagen zu installieren, steht aktuell aber nicht mehr so im Fokus. Stattdessen geht der Trend zur Nische: Die Wellenkraft könnte überall dort nützlich sein, wo sich ein Stromanschluss nicht lohnt, meint Jochen Bard.
"Das können Insellagen sein, das können isolierte Küstenstandorte sein oder auch Blue-Economy-Anwendungen, im Bereich der Offshore-Industrie und Fischzucht, wo menschliche Aktivitäten auf See einer Stromversorgung bedürfen."
Und Matthew Finn sieht noch eine weitere Nische: So wie es aussieht, wird es bald mehr und mehr schwimmende Windräder geben, montiert auf riesigen Bojen. Da sie sowieso im Seegang schwanken, wäre es doch clever, auch gleich Wellengeneratoren zu integrieren – so die Idee.
"Durch die Kombination könnten sich beide die Infrastruktur teilen, etwa die Anschlusskabel. Und die Wellenkraftwerke könnten auch dann noch Energie liefern, wenn der Wind längst weg ist. Denn der Seegang hängt dem Wind stets hinterher."
Manche Wirtschaftlichkeitsanalysen kommen allerdings zu einem eher ernüchternden Resultat: Demnach sieht es nicht danach aus, als würde sich der technische Aufwand für die Kombination aus Windrädern und Wellengeneratoren lohnen. Wo letztere auf lange Sicht ihre Nische finden können, bleibt also abzuwarten.