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Tolle Idee! Was wurde daraus?
Künstliche Minimal-Mikroben für die Biotechnologie

Das erste künstliche Lebewesen, das ein Team um den US-Genforscher Craig Venter 2016 geschaffen hatte, erwies sich als nicht voll funktionsfähig. Der sogenannte Minimalorganismus hatte Probleme bei der Zellteilung. Mit sieben zusätzlichen Genen konnten Forschende aus den USA das Problem beheben.

Von Michael Lange | 04.05.2021
Petrischalen mit Nährlösung
Bei der Suche nach dem Minimal-Genom haben noch ein paar Erbanlagen gefehlt (picture alliance / dpa)
2016 konstruierte ein Team um den Genforscher Craig Venter einen Minimalorganismus. Ein Bakterium der Gattung Mycoplasma, allerdings ohne jeden unnötigen genetischen Schnickschnack. Vorbild war ein Bakterium, das in der Natur Ziegen infiziert. Aus dessen Genom entfernten die Wissenschaftler alles, was aus damaliger Sicht nicht unbedingt nötig zum Überleben schien. 473 Gene blieben übrig, das sogenannte Minimalgenom.
John Glass war damals mit dabei. Er leitet die Arbeitsgruppe "Synthetische Biologie und Bioenergie" am J. Craig Venter-Institute in La Jolla, Kalifornien:
"Dieses einfache System hat zehnmal weniger Gene als das Darmbakterium Escherichia Coli. Mit dem Minimalorganismus lässt sich viel leichter herausfinden, wie etwas funktioniert."
Der Genforscher und Biotechnologe Craig Venter
Venter erschafft künstliche Minimalzelle
2016 hat der Wissenschaftler Craig Venter nach mehr als zehn Jahren Forschung im Labor einen Organismus hergestellt, der nur die Gene enthält, die absolut überlebensnotwendig sind.

Minimal, aber nicht funktional

Das minimalistische Bakterium vermehrte sich, und alles schien in Ordnung. Doch der Schein trog, erklärt Elizabeth Strychhalski vom National Institute of Standards and Technology: "Die Zellen wachsen zu größeren Gruppen heran. Ganz normal. Sie bilden Kolonien, die aussehen wie bei Mycoplasmen üblich. Aber, wenn man sich die einzelnen Zellen genauer anschaut, sieht man: Sie sind unterschiedlich groß und haben verschiedene Formen."
Neben den üblichen runden Zellen schwimmen auch größere Gebilde und lange Schläuche durch die Nährlösung. Statt eines Genoms enthalten diese zellartigen Vesikel gleich mehrere. Um sie zu untersuchen, verwendete James Pelletier, Physiker am M.I.T. in Cambridge, Massachusetts, winzige Kammern mit etwas Flüssigkeit. Sie sehen aus wie Miniaquarien. Darin konnte er mit einem Mikroskop live verfolgen, wie die Zellen sich teilten.
"Entscheidend sind die Abläufe während der Zellteilung. Wenn sich neue Zellen bilden, schnüren sich die Membranen ab und bilden unterschiedlich große, verschieden geformte Zellhüllen. Wir wollten herausfinden, warum das so ist."
Offenbar war der medial gefeierte Minimalorganismus aus dem Jahr 2016 zu minimalistisch. Ihm fehlten einzelne Gene, die für die korrekte Zellteilung unverzichtbar sind. In jahrelanger Kleinarbeit konnte die Molekularbiologin Lijie Sun am Craig-Venter-Institut nachweisen, dass der Organismus sich normal teilt, wenn 19 zusätzliche Gene die Zellteilung unterstützten.

Ersatzteile für den kleinsten Organismus

Der Leiter ihrer Arbeitsgruppe, John Glass, hatte sofort einen Verdacht, welche der 19 Gene unverzichtbar sein könnten: "Aha, da gibt es zwei Gene, die bei der Zellteilung eine Rolle spielen. Und ich wettete darauf, wenn wir diese Gene dem Minimalorganismus hinzufügten, würden sich die Zellen gut teilen und normal aussehen. Aber zu unserem Erstaunen änderte sich nichts."
Die beiden Kandidaten-Gene bilden eine Art Gürtel, mit dem die Zellen sich so abschnüren, dass aus einer Zelle zwei entstehen. Aber die beiden Gene schafften es nicht alleine. Das Team musste weitersuchen und konnte schließlich fünf weitere Gene ausfindig machen, die ebenfalls für die Zellteilung unerlässlich sind. Ihre Funktion ist noch unbekannt.
Nun konnte Elizabeth Strychalski vom National Institute of Standards and Technology die Teilung der Mini-Bakterien erneut unter dem Mikroskop überprüfen: "Mit den zusätzlichen sieben Genen funktionierte die Zellteilung normal. Jede Zelle hatte genau die Größe und die Form, wie sie typisch ist für diese Art von Mycoplasmen."

Nützlich für die Wissenschaft, nutzlos für die Biotechnologie

Genetisch betrachtet ist der Minimalorganismus damit etwas größer geworden. Sieben weitere Gene haben sich als unverzichtbar herausgestellt. Aus 473 überlebensnotwendigen Genen wurden 480. Viel wichtiger aber ist: Die Forschung hat dazu beigetragen, die Zellteilung von Bakterien besser zu verstehen. Und weitere Erkenntnisse werden folgen, denn weltweit arbeiten 44 Forschergruppen mit den winzigen Zellen, darunter auch Teams in Marburg und Dresden.
Die ursprüngliche Vision, mithilfe von Minimal-Organismen neue Werkzeuge für die Biotechnologie herzustellen, hat sich allerdings nicht erfüllt. Für praktische Anwendungen spielt das Mini-Bakterium bis heute keine Rolle, räumt John Glass ein: "Es ist ein sehr empfindlicher Organismus, geradezu kümmerlich. Und er benötigt ein sehr teures Medium zum Wachsen. Ungeeignet, um große Mengen von irgendetwas herzustellen."