Freitag, 19. April 2024

Archiv

Tolle Idee! Was wurde daraus?
Spezialöl speichert Wasserstoff

Wasserstoff soll künftig Autos, Flugzeuge und Schiffe antreiben, Häuser beheizen und die Stahlproduktion nachhaltiger machen. Doch den Energieträger der Zukunft in Druck- oder Flüssigtanks zu speichern, ist aufwändig. Ein Unternehmen aus Erlangen will Wasserstoff deshalb chemisch zähmen.

Von Frank Grotelüschen | 08.12.2020
Leider liegt für dieses Bild keine Bildbeschreibung vor
Innovative Wasserstoff-Speichertechnologie: Prototyp der Anlage des Erlanger Start-Up-Unternehmens Hydrogenious (Frank Grotelüschen)
Eine Werkhalle in Erlangen, sie gehört zum jungen Unternehmen Hydrogenious. Chefingenieur Caspar Petz steht vor einem grauen Container mit High-Tech darin, der demnächst nach Finnland ausgeliefert werden soll: "Sie sehen hier unser Inbetriebnahme-Team, und hier unsere Automatisierungstechniker, die sich um die Software kümmern."
Ein Mitarbeiter hockt vor seinem Laptop und analysiert Messwerte. Im Inneren des Containers inspiziert sein Kollege ein Gewirr an Rohrleitungen, das diverse Tanks und Reaktoren verbindet. Die Zeit drängt, bald soll die Anlage auf ihre Reise nach Nordeuropa gehen, erklärt Caspar Paetz: "Die wird in Finnland eine Wasserstofftankstelle mit Wasserstoff versorgen. In vermutlich drei Wochen sind die Tests abgeschlossen. Und dann wird die ausgeliefert."
Die Vision: Wasserstoff effizent speichern
Die Anlage in dem grauen Container dient zur Speicherung von Wasserstoff. Für gewöhnlich wird das Gas in Drucktanks gelagert, oder verflüssigt bei minus 250 Grad Celsius. Doch beides ist mit hohem Aufwand verbunden und nicht gerade effizient, meint Caspar Paetz. Deshalb entwickelt seine Firma ein neues Konzept: Der Wasserstoff wird chemisch gespeichert - mithilfe sogenannter LOHC.
"LOHC steht für Liquid Organic Hydrogen Carriers, übersetzt: flüssige organische Wasserstoff-Träger. Wir nehmen Wasserstoff und binden ihn chemisch an diese Trägerflüssigkeit. Und diese Trägerflüssigkeit ist ein Öl. Die können sie wie jedes andere Öl lagern und transportieren."
Ein Spezialöl dient als Trägerflüssigkeit
Die Idee spukt zwar schon seit Jahrzehnten in der Fachwelt herum. Nur mangelte es an einem geeigneten Öl. Doch im Jahr 2009 nahm sich ein Doktorand der Uni Erlangen der Sache an. Sein Name: Daniel Teichmann, sagt Caspar Paetz: "Der hat organische Trägerflüssigkeiten identifiziert, die sich für den kommerziellen Einsatz auf großen Skalen sehr gut eignen. Mit diesen Trägerflüssigkeiten arbeiten wir heute noch."
2013 gründete Daniel Teichmann die Firma Hydrogenious. Neben dem richtigen Öl spielen aber noch weitere Faktoren eine Rolle – geeignete Katalysatoren etwa, also Reaktionsbeschleuniger. Einer ist nötig, um den Wasserstoff ans Öl zu binden. Ein anderer, um ihn wieder aus dem Öl herauszukriegen, erklärt Hydrogenious-Chefingenieur Paetz.
"Das ist der eigentliche Kernbereich unserer Technologie. Dabei wird sowohl der Wasserstoff in sehr hoher Reinheit freigesetzt als auch die Trägerflüssigkeit nicht zerstört. Denn würden wir sie zerstören, müssten wir die ständig austauschen, hätten nichts gewonnen."
Den Wasserstoff wieder freizusetzen, braucht viel Energie
Einige hundert Mal lässt sich das Spezialöl mit Wasserstoff be- und wieder entladen, sagt Paetz, erst dann muss es ausgetauscht werden. Doch es gibt ein Manko: Um den gespeicherten Wasserstoff aus dem Öl herauszubekommen, braucht es hohe Temperaturen, also viel Energie.
"Das ist etwa ein Drittel dessen, was ich in Form von Wasserstoff nachher erzeuge. Wir bieten verschiedene technische Konzepte dafür an: Entweder die Energie wird klassisch über Elektrizität bereitgestellt, natürlich am liebsten regenerativ. Wir können aber auch einen Teil des Wasserstoffs, den wir erzeugen, in speziellen Brenner-Einheiten verbrennen, um diese Energie bereitzustellen. Dann haben wir ein autarkes System, das keinen zusätzlichen Anschluss braucht."
Dafür wird beim Speichern des Wasserstoffs Wärme frei – Wärme, die sich nutzen lässt, etwa fürs Heizen. Der große Vorteil der Technologie ist die Speicherdichte, betont Caspar Paetz: "Das ist ungefähr ein Faktor fünf. Wir können im gleichen Volumen das Fünffache an Wasserstoff speichern wie mit Drucktechnologie."
Die Speicherdichte ist fünfmal höher als bei Drucktanks
In Zahlen: Um ein Kilogramm Wasserstoff zu speichern, braucht es bislang eine Druckflasche, die so groß und schwer ist wie ein Mensch. Bei der LOHC-Technologie reicht dafür ein tragbarer 20-Liter-Kanister. Zwar ist die Energiebilanz bei der Druckspeicherung günstiger, und sie ist dann von Vorteil, wenn relativ kleine Mengen über nicht allzu große Strecken transportiert werden. Doch bei großen Mengen und langen Transportwegen sei die LOHC-Technik wirtschaftlicher, meint Caspar Paetz. Denn das Speicheröl lässt sich platzsparend mit gewöhnlichen Tanklastern transportieren, oder auch mit Zügen und Schiffen.
Im Wasserstofftransport scheint also das interessanteste Einsatzfeld der Technologie zu liegen. Ein mögliches Einsatzszenario beschreibt Caspar Paetz so: "Ich habe eine Quelle. Da kann ich fünf bis zehn Tonnen Wasserstoff pro Tag bereitstellen, in das Material speichern und verteile es von da aus auf mehrere Abnehmer, zum Beispiel Tankstellen für Busflotten, die jeweils ein bis zwei Tonnen pro Tag brauchen."
"Es gibt ein wachsendes Interesse an unserer Technologie"
An jeder Tankstelle steht dann ein Aggregat wie jenes in Erlangen, das den Wasserstoff wieder aus dem Öl herausholt. Erste Pilotanlagen sind bereits installiert. Pro Tag können sie einige Dutzend oder auch ein paar hundert Kilogramm Wasserstoff bewältigen. Doch nun plant Hydrogenious deutlich größere Anlagen, mit Kapazitäten von einigen Tonnen. Die Zeichen stehen offenbar gut für Paetz und seine Leute. Denn in der Politik steht das Thema Wasserstoff derzeit hoch im Kurs, weiß Caspar Paetz: "Wir haben ja nicht nur eine nationale Wasserstoff-Strategie. Es gibt ja auch eine eigene bayrische Wasserstoff-Strategie. Es gibt ein wachsendes Interesse an unserer Technologie, aber auch am Thema Wasserstoff insgesamt."
Doch noch hat Hydrogenious ein paar Hausaufgaben zu erledigen: Neben der Hochskalierung der Anlagen stehen unter anderem die Katalysatoren im Fokus. Die nämlich sollen effizienter werden und damit wirtschaftlicher. Und mittlerweile tüfteln auch andere Firmen an der Technologie: So hat das Münchener Start-up H2-Industries die Entwicklung eines brennstoffzellenbetriebenen Binnenschiffs angekündigt, bei dem der Wasserstoff im Spezialöl gespeichert wird.