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Tom Sachs in New York
Missgeburten aus dem Hobbykeller

Tom Sachs gehört zu den international erfolgreichsten Heimwerkern unter den zeitgenössischen Künstlern. Seit zwanzig Jahren parodiert der Amerikaner mit Objekten der Marke Eigenbau die westliche Konsum- und Unterhaltungskultur. Das Brooklyn Museum zeigt nun eine Retrospektive auf seine Langzeit-Serie von Ghettoblastern.

Von Sacha Verna |
    Das Rad brauche nicht neu erfunden zu werden, heisst es oft. Tom Sachs ist da entschieden anderer Meinung:
    "For me the reason why I make these things is because if I don’t do it, no one else will."
    Wenn er es nicht tue, tue es niemand. Bisher hat der 50-jährige Amerikaner vom Rad zwar die Finger gelassen. Doch sind diverse andere Schöpfungen der Menschheit von ihm gründlich überholt worden. Ghettoblaster zum Beispiel:
    "I’ve been making boomboxes since high-school. My first show "Boomboxes” was in 1998. Where I showed four of them."
    Symbole des Konsums aus Müll
    Tom Sachs fabriziert seit seiner Schulzeit solche Tonmaschinen. 18 davon hat das Brooklyn Museum nun für eine Retrospektive in der Eingangshalle versammelt. Und wie alles, was aus Sachs’ Werkstatt stammt, schauen diese Gebilde aus Styropor, Spanplatten und Ähnlichem aus wie Missgeburten aus dem Hobbykeller.
    Tom Sachs ist ein Bastler. "Haute Bricolage" nennt er seine Beschäftigung, "gehobenes Friemeln". Mit Müll und Material aus dem Baumarkt rekonstruiert und dekonstruiert er Symbole des Konsums und der Kultur, von Hello Kitty-Figuren und McDonald’s-Filialen bis zum Traumhaus von Le Corbusier.
    "Wenn Sie sich Ihr Aufnahmegerät oder Ihr Telefon anschauen, sehen Sie fünfhundert Jahre Handwerkskunst, die es darauf anlegt, alle Spuren des Handwerks zu tilgen. Ich hingegen zeige die Schweissnaht, die Schrauben, alles. Diese Art der politischen Transparenz vertrete ich beharrlich. Unsere Konsumkultur basiert auf versteckten Mechanismen, auf Werbung, die unser Handeln und Denken steuert, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Mein Werk soll Ihnen zeigen, wie es gemacht ist und wie es funktioniert."
    Entsprechend unkonventionell präsentieren sich die Ghettoblaster. Die eine Apparatur hat anstatt eines Griffs einen Wischmopp, eine andere krönt ein Samurai-Schwert. Eine dritte gleicht einer Raumkonsole und war in der Tat Teil einer gigantischen Installation, in der Sachs 2012 in der New Yorker Park Avenue Armory eine Landung auf dem Mars simulierte. Besagte Mission ins All erregte damals trotz Spektakel und Trara freilich weit weniger Gemüter als die Mini-Version eines Konzentrationslagers, die Sachs aus einer Hutschachtel von Prada hergestellt und 2002 im Jewish Museum in New York gezeigt hatte.
    Gesellschaftskritik mit Mimikri und Leimpistole
    Ob Mars, Massenware oder Massenmord: Tom Sachs suggeriert Gesellschaftskritik mit Mimikri und Leimpistole. Über unsere Labelhörigkeit mokiert er sich, indem er jedes seiner Produkte mit seinem eigenen unverkennbaren Logo in Schnörkelschrift versieht. Sein Markenzeichen sind die Do-it-yourself-Ästhetik und, wohl eher unfreiwillig, die Zaunpfahlmetaphorik.
    Dröhnende Ghettoblaster gehörten in den 1970er und 1980er Jahren zur Standardausrüstung der rebellischen Jugend. Heute bestaunen die Bürger, die einst darüber erschrecken sollten, sie im Museum. Jedenfalls solange "Tom Sachs" darauf steht und sie über die erforderlichen Metaebenen gehievt worden sind.
    Dieser Boombox-Reigen im Brooklyn Museum wirkt wie eine Mischung aus Preisschau des lokalen Tüftler-Vereins und Lobby-Dekoration vom Flohmarkt plus Beschallung. Der Aufwand, der dafür betrieben worden ist, wird nur noch von der Belanglosigkeit dieses künstlerischen Unterfangens an sich übertroffen.
    Brooklyn Museum, New York: "Tom Sachs: Boombox Retrospective 1999-2016". Bis 14. August.