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Toni Kater
"Ich hatte das Gefühl, verdrängt zu werden"

Toni Kater hat ihr neues Album "Eigentum" genannt. Auch weil das Haus, in dem sie wohnt, luxussaniert wird - und deshalb immer wieder die Decke durchbrach. "Viele werden verdrängt, kriegen Abfindungen oder müssen halt aus ihren Wohnungen raus", sagte sie im DLF.

Toni Kater im Gespräch mit Anja Buchmann | 17.01.2015
    Die Berliner Sängerin Toni Kater
    Toni Kater auf einer Aufnahme aus dem Jahr 2006. (dpa / picture alliance)
    Anja Buchmann: Es hätte nicht blöder laufen können: Dreimal brach die Decke in ihrem Studio zuhause durch, weil über ihr ein Dachstuhl zu Luxuswohnungen ausgebaut wurde. Nur knapp konnte Toni Kater ihr Laptop vom Tisch retten und in einem befreundeten Studio in Kreuzberg unterkommen, um dort weiter zu produzieren. Das Ergebnis: große Melodien über zirpenden, gurgelnden und pluckernden Beats und Sounds, gespeist unter anderem durch einen frühen Synthesizer. Die erste Frage an Toni Kater war: Was genau ist passiert während ihrer Arbeit am neuen Album?
    Toni Kater: Also, es entspricht vollkommen der Wahrheit und war schlimmer, als es in Worten auszudrücken ist. Ich wohne im obersten Stockwerk eines Altbaus und da wurde, wie in vielen Häusern auch, der Dachstuhl ausgebaut zu Luxuswohnungen. Und ich hab auch dort mein Studio, in dem ich an der Platte gearbeitet hab. Also die Geschichten haben extrem viele in Berlin erlebt - die sind dann wirklich dreimal durch die Decke gebrochen. Der Boden wurde oben ausgehöhlt, da sind dann nur noch Holzbalken. Und da rutscht dann schon mal so ein Bauarbeiter ab. Oder ein Stahlträger fällt dann doch runter und das war wirklich schlimm.
    Buchmann: Aber der Bauarbeiter ist dann nicht direkt bei Ihnen durch die Decke?
    Kater: Also das Bett stand genau drunter, und ich habe auch einen Song vom anderen Album -Sie fiel vom Himmel" - und das war ein bisschen so: Er fiel vom Himmel direkt in mein Bett.
    Buchmann: Tatsächlich?
    Kater: Naja, er ist nicht durchgekommen, aber das Bein hing schon in der Luft. Jetzt, nachdem das Album erscheint und bei mir ein bisschen Ruhe einkehrt, wird auch meine Wohnung noch mal komplett renoviert.
    "Es ist ein zentrales Thema in meinem Leben gewesen"
    Buchmann: Haben Sie das zum Anlass genommen, noch mal mehr über die Bedeutung von Eigentum nachzudenken?
    Kater: Ja, das hat sicherlich damit zu tun, dass die Songs so geworden sind, wie sie auf dem neuen Album sind. Also es ist ein zentrales Thema in meinem Leben gewesen, dass ich das Gefühl hatte, verdrängt zu werden. Mein ganzer Freundeskreis hat ähnliche Erfahrungen gemacht - also man kommt um dieses Thema nicht mehr herum. Viele werden verdrängt, kriegen Abfindungen oder müssen halt aus ihren Wohnungen raus. Da ist auch Angst rum gegangen, weil man sich keine Wohnung mehr leisten kann in Berlin im Zentrum. Und das hat mich dann doch länger beschäftigt, sodass das Album so klingt, wie es klingt.
    Buchmann: Wo wohnen Sie in Berlin beziehungsweise wo ist auch ihr Studio?
    Kater: In Prenzlauer Berg.
    Buchmann: Und dann mussten Sie ausweichen - unter anderem haben Sie sich dann auch im Candybomber Studio rumgetrieben.
    Kater: Genau. Ich hab einmal ein kleines Studio von Freunden benutzen können in Kreuzberg, das heißt "Drei kleine Schweinchen". Und da hab ich einen Raum angemietet und konnte dort in Ruhe arbeiten. Denn es war ja auch vom Geräuschpegel her nicht möglich zuhause und ich hatte auch wirklich Angst um meinen Kopf.
    Und im Candybomber Studio hatte ich auch Gelegenheit mit meiner Kollegin Karin Bolage sehr viele Sachen auszuprobieren, Instrumente, die ich noch nie gesehen habe, zu spielen. Und wir haben dort ein bisschen herum gejammt, das ist sehr schön geworden.
    Buchmann: Und dort haben Sie unter anderem einen alten Synthesizer gefunden, der auch Einzug gehalten hat auf die Platte?
    Kater: Die Clavioline. Mir wurde immer gesagt, das sei ein Synthesizer aus den 30er-Jahren. Ich wurde inzwischen korrigiert von einem Journalisten, dass es die erste Clavioline wohl 1947 gegeben hat. Das ist ein alter Synthesizer. Der bei Stummfilmvorführen unter das Klavier, den Flügel geschraubt wurde und für Störgeräusche gesorgt hat. Er ist berühmt dafür, dass er ständig moduliert, knarzt, er hält nie die Stimmung. Und das fand ich spannend, weil ich teilweise erst mal glatte Arrangements habe - und dann freue ich mich, wenn da Störfaktoren Platz finden. Und das war prima zum Thema Baustelle, Eigentum, Heuschrecken.
    "Ich möchte mir mehr Zeit nehmen, mit Klängen rum zu experimentieren"
    Buchmann: Ist das eine Herangehensweise, die Sie auch gern ausführen - einfach spielerisch mit Sounds umgehen und gucken, was dann dabei raus kommt?
    Kater: Ja, sehr gern. Jedes Mal nach einer Platte denke ich mir: Ich muss es viel mehr machen. Auch durch das live spielen mit der Band habe ich wieder viele schöne Ideen. Wir interpretieren die Songs auch live noch mal anders. Ich möchte mir mehr Zeit nehmen, mit Klängen rum zu experimentieren.
    Buchmann: In welchen Songs ist diese Clavioline besonders zu hören?
    Kater: Sie ist bei "India" zu hören und bei "N.Y. Ist Tot", sie war noch in mehreren Songs, die dann aber nicht aufs Album gekommen sind. Aber in diesen beiden Songs fällt sie wirklich auf.
    Buchmann: Wie ist "India" entstanden? Das ist ein trauriges beziehungsweise ein wütendes Lied mit einem traurigen Thema - dass Frauen als Zweite-Klasse-Menschen bezeichnet werde - wie sind Sie auf das Thema gestoßen?
    Kater: Ich hatte das große Glück, vor zwei Jahren nach Indien zu fahren. Ich hatte dort mit einem anderen Projekt, "Moving silence", einen Auftritt. Das ist toll, wenn man in solchen Ländern arbeitet und Einblicke bekommt, die man als Tourist nicht so schnell bekommt. Ich war da zwei Wochen, habe natürlich nur einen ganz kleinen Ausschnitt dieses Landes kennengelernt. Das ist unglaublich faszinierend, aber es hat mich beschäftigt, dass da keine Frauen auf der Straße sind. Wir waren auch bei vielen Leuten privat und die Frauen waren einfach nicht da. Man wird da ständig gewarnt, du bist alleine als Frau unterwegs, pass auf und so. Ich will jetzt auch nicht ein negatives Bild unterstützen, was Indien sowieso schon hat. Das ist in andern Ländern genauso schlimm, glaub ich. Es geht einfach darum, dass es einfach scheiße ist, dass Frauen in vielen Ländern immer noch gar keine Rechte haben. Das macht mich wütend, es hat mich beschäftigt, danach wurden diese ganzen Vergewaltigungsvorfälle bekannt - und das hört bis heute nicht auf, diese Nachrichten. Das hat mich wirklich wahnsinnig traurig gemacht.
    Buchmann: Ist das ein Song, an den Sie wirklich vom Thema, vom Text her ran gegangen sind?
    Kater: Ja genau. Und das Lied war ursprünglich auf englisch, weil ich mich nicht getraut habe, das auf deutsch zu singen.
    Buchmann: Warum nicht? Ist das dann zu klar, zu deutlich?
    Kater: Ja, tatsächlich. Und ich hab dann auch so Worte benutzt, wie Jungfernhäutchen. Da kann man sich im Englischen noch mal kurz hinter verstecken. Aber mehrere Leute meinten: Bitte mach das auf deutsch. Das ist schon sehr eckig und direkt.
    "Ich bin ja auch bekannt für viele schöne Liebeslieder"
    Buchmann: Und da macht die Clavioline auch wirklich Sinn, wenn sie dann noch ihre Störgeräusche da rein bringt.
    Kater: Genau. Und da ist auch ein unglaublicher Frauenchor drauf. Das sind fünf Freundinnen von mir, die mich tatkräftig unterstützt haben in diesem Chorus. Auch wenn man es gar nicht so hört im letzten Mix, ist es gut zu wissen, dass da ...
    Buchmann: So eine Präsenz von Frauen?
    Kater: Ja, eine Präsenz von Frauen da ist, genau.
    Buchmann: Der Song "Heuschrecken" ist mir aufgefallen, da es ein Song über die "Wirtschafts-Heuschrecken" ist, diese Investoren, die kaufen, plündern und wieder wegwerfen. Wahrscheinlich durch Ihre eigene Situation mit bedingt, weil ja auch Luxuswohnungen über Ihrem Studio gebaut werden sollten. Ist das auch ein Song, der vom Text ausging oder eine Zusammenarbeit, wo Text und Melodie, Harmonien und Groove ineinandergreifen?
    Kater: Ich glaube, bei diesem Lied lief es wirklich ganz gut zusammen. Ich hatte schon lange ein Stück, was mich inspiriert hat, von Lou Reed und John Cale, so ein Lied wollte ich von der Haltung schon lange machen. Und dann las ich in der Zeitung über diese Immobilienblase und das Wort Heuschrecken fiel und da dachte ich: Das ist eine gute Kombination: Diese Aggressivität, die ich in dem Song musikalisch ausdrücken wollte, mit dem Thema zu kombinieren.
    Buchmann: Arbeiten Sie gern so, dass Sie die Musik im Gegensatz zu sehr kritischen Texten schon mal sehr ruhig und melodiös und schlicht und schön halten und darein einen sehr explizit wütenden Text verpacken? Stichwort "Brüche", und das beste Beispiel für mich dazu wäre der Song "Panzer" - klingt ja wie ein lustiges, kindliches Melodiechen, aber es geht um sehr ernste Themen.
    Kater: Ich glaube, das wollte ich schon immer mal ausreizen. Ich bin ja auch bekannt für viele schöne Liebeslieder, was auch ein wichtiges Thema ist und bleibt. Aber dadurch, dass ich einfach eine - jetzt muss ich mich mal selber loben - schöne, wohlklingende Gesangsstimme habe, und ich nicht so eine Punkattitüde, das krieg ich schwer aus mir raus, wenn ich wütend bin, versuche ich bewusst ein schönes Lied zu mache und dann eben mit einem ganz anderen Inhalt. Coco Rosie sind auch dafür bekannt, dass sie kindlich daher kommen, es plätschert so schön dahin, aber es sind bitterböse Texte teilweise. Und das finde ich gut.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.