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Tony Blair in Erklärungsnöten

Der Druck auf Tony Blair wächst. Dieser Tage gelang es dem britischen Premier noch mit knapper Not, eine parlamentarische Untersuchung zum Irak-Krieg abzuwenden. Nun schickte er eine öffentliche Erklärung hinterher. Martin Zagatta analysiert die britische Stimmungslage.

    Mit seiner Irak-Politik hat sich Tony Blair zum unbeliebtesten Premierminister aller Zeiten gemacht - laut Meinungsforschern. Der Regierungschef musste auf Druck aus seiner Labour-Partei zustimmen, binnen eines Jahres zurückzutreten, und dennoch bringt der umstrittene Truppeneinsatz den 53-Jährigen jetzt noch weiter in Bedrängnis. Eine Mehrheit für den Rückzug britischer Soldaten findet sich zwar noch nicht im Unterhaus, aber die Regierung ist einer Abstimmungsniederlage nur entgangen, indem sie eine parlamentarische Untersuchung der britischen Beteiligung an dem Feldzug in Aussicht gestellt hat.

    Die Regierung schließe eine solche Untersuchung nicht aus - aber jetzt sei nicht der richtige Zeitpunkt dafür - sonst würden Großbritanniens Verbündete und die irakische Regierung vor den Kopf gestoßen und die Gegner im Irak ermutigt, so Tony Blair gestern im Unterhaus. Zu dieser Klarstellung sah sich der Premierminister veranlasst, nachdem laut jüngsten Umfragen nun schon 56 Prozent der Bevölkerung die baldige Heimkehr der eigenen Soldaten fordern. Dem nachzukommen, dafür treten im Unterhaus neben Regionalparteien aus Schottland und Wales bisher nur die Liberaldemokraten ein und einige Abweichler in der Labour-Partei. Doch das Regierungslager kommt unter Druck, weil nun auch die konservative Opposition darauf drängt, die Irak-Politik von einem Untersuchungsausschuss beleuchten zu lassen. Die Tories, Befürworter des Feldzuges, machen so erstmals gemeinsame Sache mit den Kriegsgegnern im Parlament, mit der Schottischen Nationalisten Partei etwa. Deren Chef Alex Salmon, hält nichts von dem Argument der Regierung, dass ein solcher Ausschuss höchst überflüssig sei, weil es schon mehrere solcher Untersuchungen gegeben hat.

    "All diese Untersuchungen wurden entweder von der Regierung ausgesucht oder auf einen ganz bestimmten Bereich beschränkt. Worum es aber geht, ist parlamentarische Aufklärung , vom Parlament kontrolliert und nicht um eine staatsgelenkte und vom Premierminister vorgegebene Untersuchung."

    Gemeint sind damit die von Tony Blair eingesetzten Kommissionen, die der Regierung zwar bescheinigt haben, bei der Entscheidung für die Truppenentsendung falschen Geheimdienstinformationen über angebliche Massenvernichtungswaffen aufgesessen zu sein, ihr aber auch zugestanden, die Öffentlichkeit nicht bewusst getäuscht zu haben und auch nicht für den Selbstmord des in die Enge getriebenen Waffenexperten David Kelly verantwortlich zu sein.

    Den Tories dagegen geht es vor allem um eine Überprüfung der derzeitigen Strategie, nachdem der britische Generalstabschef Richard Dannat die Irak-Politik grundsätzlich in Frage gestellt hat. Blairs Wunsch, im Irak eine freiheitliche Demokratie zu etablieren, sei naiv gewesen, so der General, und die Anwesenheit britischer Truppen verschlimmere die Sicherheitsprobleme.

    "Meine Partei unterstützt den Einsatz der Truppen im Irak", so David Cameron, der Vorsitzende der Konservativen, "aber wir verlangen vom Premierminister offene und aufrichtige Angaben über die Situation im Irak". Die Tories werfen der Regierung vor, das wahre Ausmaß der Schwierigkeiten und der Bedrohung zu verschleiern. Sie gehen davon aus, dass Tony Blair noch weiter unter Druck kommt nach der absehbaren Niederlage seines amerikanischen Partners George Bush bei den Kongresswahlen. Die britische Opposition jedenfalls will die Irak-Politik zum zentralen Thema machen bei den Regionalwahlen im Frühjahr in Schottland und Wales. Angesichts des sich abzeichnenden Wahldebakels dürften dann auch in der Labour-Partei wieder Forderungen laut werden nach einem schnellen Truppenabzug aus dem Irak und einem noch schnelleren Rücktritt von Tony Blair.