Angeblich war es Schillers Schädel, der Johann Wolfgang von Goethe zu folgenden Zeilen inspirierte.
Im ernsten Beinhaus war’s, wo ich beschaute / Wie Schädel Schädeln angeordnet paßten, / Die alte Zeit gedacht ich, die ergraute. / Sie stehn in Reih geklemmt, die sonst sich haßten.
Ähnlich wie in einem Beinhaus ruht auch im schummrigen Licht des Gottorfer Ausstellungssaals Schädel neben Schädel. Eine schaurig-schöne Inszenierung des menschlichen Umgangs mit Leben und Tod durch die Jahrtausende. Eine interdisziplinäre Reise durch die Kultur- und Kunstgeschichte der Menschheit, sagt Dr. Ralf Bleile, stellvertretender Direktor der Stiftung Schleswig Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf.
"Es gibt eigentlich zwischen Archäologie und Kunst- und Kulturgeschichte gar keine Grenzen mehr, weil sich im Grunde die Gedanken und die Emotionen hinter der Verwendung von Schädeln und Köpfen in der Menschheitsgeschichte seit der Altsteinzeit bis heute kaum geändert haben. "
Auch den Universalgelehrten Leonardo da Vinci faszinierten menschliche Schädel. Einhundert Blätter mit Schädelstudien hat er hinterlassen. Und aller Wahrscheinlichkeit nach auch einen filigranen Miniaturschädel aus Alabaster. Von innen beleuchtet, thront er gewissermaßen unter Glas. Etwa fünf Zentimeter groß und doch mit exakter Anatomie, sagt die Archäologin und Kunsthistorikerin Corinna Endlich, die die Ausstellung mit verantwortet.
"In der Religion und in der Wissenschaft damals hat man sich mit Geist beschäftigt, dem Sitz der Seele, all dies war in der Forschung und in der Kunst Thema. Deswegen auch die Bohrungen der Augenlöcher, die sich verjüngend im Schädelinneren treffen, wo der Sitz der Seele markiert wird."
Dank des Auges verweilt die Seele zufrieden im Gefängnis des Körpers, denn ohne das Auge ist das leibliche Gefängnis ihre Marter.
Schrieb Leonardo über seine Schädelforschungen. Der Kopf als oberes, alles überragendes Körperteil des Menschen war und ist prädestiniert für vielerlei mystische Interpretationen, Vermutungen und Zuschreibungen, resümiert Corinna Endlich.
"Der Kopf ist nun mal auch der Sitz vieler Sinne. Des Sehens, des Hörens, des Schmeckens, des Sichversorgens. Die Nahrungsaufnahme über den Mund. Und hinzu die ganz individuelle Ausprägung eines jeden Menschen ist das Gesicht mit seiner Mimik und seiner Physiognomie."
Das älteste Exponat der Ausstellung stammt aus dem heutigen Israel. Es ist neuntausend Jahre alt. Ein Schädel aus dem frühen Neolithikum. Mit Lehm und Gips ist er übermodelliert, hat wieder menschliche Züge. Man glaubt in das Gesicht eines in sich versunkenen Menschen zu sehen, der über den Sinn des Lebens nachdenkt. Als ersten Ursprung der Entwicklung zum Portrait interpretiert die Kunsthistorikerin Dr. Uta Kuhl diesen Schädel.
"Das zeigt, dass der Tod Anstoß gab für diese Bildgestaltung. Und wir haben eben hier die Darstellung eines konkreten Menschen. Und das macht diesen Schädel zu etwas ganz Besonderem Und wenn man weiter schaut, findet man das eben auch in anderen Kulturen. Und man kann mit dem Bildhauer Hans Wimmer sagen, ohne Tod keine Kunst."
Uta Kuhl ist die Kuratorin der Ausstellung. Der Schädel galt schon immer als Sitz der Lebenskraft und des Verstandes, sagt sie. Jeder der hier ausgestellten, künstlerisch gestalteten Schädel dokumentiere die einschneidende Bedeutung des Todes für die Lebenden.
"Jeder Mensch weiß im Gegensatz zum Tier, dass er sterblich ist. Heidegger hat gesagt, unser Leben ist ein Leben zum Tode hin. Und dennoch ist die Todesfurcht etwas, was in jedem Menschen steckt. Und wenn man einen echten Schädel sieht, weiß man auch, man steht einem menschlichen Individuum gegenüber. Es ist ein Mensch. Und die großen Grundfragen unseres Denkens, unserer Philosophie sind doch, was ist der Mensch. Woher kommt er, wohin geht er?"
In vielen Kulturen ehrten die Menschen ihre Ahnen, indem sie deren Schädel in einem Ritual präparierten und in ihren Häusern aufbewahrten. Bei den Asmat, einem Volksstamm im Süden Neuguineas, dienten die künstlerisch aufbereiteten Schädel sogar als Kopfstütze beim Schlafen. Uta Kuhl.
"Es ist die Vergegenwärtigung des Verstorbenen in der Vorstellung, dass er noch präsent ist. Dass er in dem Schädel noch präsent ist. Dass in dem Schädel die Lebensenergie, die Kraft, die Fähigkeit auch die Gemeinschaft zu schützen präsent ist. Diese Ahnen sind so etwas wie Schutzgeister. "
Seit dem 15. Jahrhundert wurde der Totenschädel in Teilen Europas zu einem weitverbreiteten Symbol des Alltags. Auf Dosen, Schmuckstücken und Rosenkränzen grinste er den Menschen entgegen. Und gemahnte. Memento mori: Bedenke, dass du sterblich bist.
"Es gibt Totentänze auch des Schädels seit dem ausgehenden Mittelalter, wo es das Erlebnis großer Epidemien gab. Und es kommt zu einer Verbreitung besonders in der Zeit des Barock. Im Grunde zur Zeit des 30jährigen Krieges, wo also Krieg, Verheerung, Tod Epidemien ja zu einer unglaublichen Reduzierung der Bevölkerung geführt haben. Wo der Tod allgegenwärtig war."
Der Schädel steht für den Tod, den die Menschen besonders im Spätbarock fast sehnsüchtig erwarteten. Beispiel: ein um 1736 von Johann Sebastian Bach komponiertes Lied.
Komm, süßer Tod, komm sel'ge Ruh ! / Komm führe mich in Friede, / weil ich der Welt bin müde, / ach komm, ich wart auf dich. / Komm bald und führe mich.
Seit dem 18.Jahrhundert wurden Schädel interessant für die Wissenschaft. Insbesondere dienten sie der Bestimmung menschlicher Rassen. Schädel wurden zu einem begehrten Sammelobjekt für Naturforscher, erzählt Uta Kuhl.
"Es gab sehr viele solcher Schädelsammlungen. Die Freiburger Schädelsammlung hat aus seinem Forschungsanliegen heraus z. T. solche Schädel in den Kolonien in Auftrag gegeben. Und man kann davon ausgehen, dass auch gemordet wurde, um solche Schädel zu bekommen."
Schädel faszinieren uns bis heute. Auch Künstler wie den Maler Horst Jansen. Von ihm kann man mehrere Bilder sehen.
"Dieses Selbstporträt wie ein Januskopf. Auf der einen Seite sein Gesicht, auf der anderen Seite der Schädel. Unter dem Titel: Ich sterbe nicht, ich BIN der Tod."
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Im ernsten Beinhaus war’s, wo ich beschaute / Wie Schädel Schädeln angeordnet paßten, / Die alte Zeit gedacht ich, die ergraute. / Sie stehn in Reih geklemmt, die sonst sich haßten.
Ähnlich wie in einem Beinhaus ruht auch im schummrigen Licht des Gottorfer Ausstellungssaals Schädel neben Schädel. Eine schaurig-schöne Inszenierung des menschlichen Umgangs mit Leben und Tod durch die Jahrtausende. Eine interdisziplinäre Reise durch die Kultur- und Kunstgeschichte der Menschheit, sagt Dr. Ralf Bleile, stellvertretender Direktor der Stiftung Schleswig Holsteinische Landesmuseen Schloss Gottorf.
"Es gibt eigentlich zwischen Archäologie und Kunst- und Kulturgeschichte gar keine Grenzen mehr, weil sich im Grunde die Gedanken und die Emotionen hinter der Verwendung von Schädeln und Köpfen in der Menschheitsgeschichte seit der Altsteinzeit bis heute kaum geändert haben. "
Auch den Universalgelehrten Leonardo da Vinci faszinierten menschliche Schädel. Einhundert Blätter mit Schädelstudien hat er hinterlassen. Und aller Wahrscheinlichkeit nach auch einen filigranen Miniaturschädel aus Alabaster. Von innen beleuchtet, thront er gewissermaßen unter Glas. Etwa fünf Zentimeter groß und doch mit exakter Anatomie, sagt die Archäologin und Kunsthistorikerin Corinna Endlich, die die Ausstellung mit verantwortet.
"In der Religion und in der Wissenschaft damals hat man sich mit Geist beschäftigt, dem Sitz der Seele, all dies war in der Forschung und in der Kunst Thema. Deswegen auch die Bohrungen der Augenlöcher, die sich verjüngend im Schädelinneren treffen, wo der Sitz der Seele markiert wird."
Dank des Auges verweilt die Seele zufrieden im Gefängnis des Körpers, denn ohne das Auge ist das leibliche Gefängnis ihre Marter.
Schrieb Leonardo über seine Schädelforschungen. Der Kopf als oberes, alles überragendes Körperteil des Menschen war und ist prädestiniert für vielerlei mystische Interpretationen, Vermutungen und Zuschreibungen, resümiert Corinna Endlich.
"Der Kopf ist nun mal auch der Sitz vieler Sinne. Des Sehens, des Hörens, des Schmeckens, des Sichversorgens. Die Nahrungsaufnahme über den Mund. Und hinzu die ganz individuelle Ausprägung eines jeden Menschen ist das Gesicht mit seiner Mimik und seiner Physiognomie."
Das älteste Exponat der Ausstellung stammt aus dem heutigen Israel. Es ist neuntausend Jahre alt. Ein Schädel aus dem frühen Neolithikum. Mit Lehm und Gips ist er übermodelliert, hat wieder menschliche Züge. Man glaubt in das Gesicht eines in sich versunkenen Menschen zu sehen, der über den Sinn des Lebens nachdenkt. Als ersten Ursprung der Entwicklung zum Portrait interpretiert die Kunsthistorikerin Dr. Uta Kuhl diesen Schädel.
"Das zeigt, dass der Tod Anstoß gab für diese Bildgestaltung. Und wir haben eben hier die Darstellung eines konkreten Menschen. Und das macht diesen Schädel zu etwas ganz Besonderem Und wenn man weiter schaut, findet man das eben auch in anderen Kulturen. Und man kann mit dem Bildhauer Hans Wimmer sagen, ohne Tod keine Kunst."
Uta Kuhl ist die Kuratorin der Ausstellung. Der Schädel galt schon immer als Sitz der Lebenskraft und des Verstandes, sagt sie. Jeder der hier ausgestellten, künstlerisch gestalteten Schädel dokumentiere die einschneidende Bedeutung des Todes für die Lebenden.
"Jeder Mensch weiß im Gegensatz zum Tier, dass er sterblich ist. Heidegger hat gesagt, unser Leben ist ein Leben zum Tode hin. Und dennoch ist die Todesfurcht etwas, was in jedem Menschen steckt. Und wenn man einen echten Schädel sieht, weiß man auch, man steht einem menschlichen Individuum gegenüber. Es ist ein Mensch. Und die großen Grundfragen unseres Denkens, unserer Philosophie sind doch, was ist der Mensch. Woher kommt er, wohin geht er?"
In vielen Kulturen ehrten die Menschen ihre Ahnen, indem sie deren Schädel in einem Ritual präparierten und in ihren Häusern aufbewahrten. Bei den Asmat, einem Volksstamm im Süden Neuguineas, dienten die künstlerisch aufbereiteten Schädel sogar als Kopfstütze beim Schlafen. Uta Kuhl.
"Es ist die Vergegenwärtigung des Verstorbenen in der Vorstellung, dass er noch präsent ist. Dass er in dem Schädel noch präsent ist. Dass in dem Schädel die Lebensenergie, die Kraft, die Fähigkeit auch die Gemeinschaft zu schützen präsent ist. Diese Ahnen sind so etwas wie Schutzgeister. "
Seit dem 15. Jahrhundert wurde der Totenschädel in Teilen Europas zu einem weitverbreiteten Symbol des Alltags. Auf Dosen, Schmuckstücken und Rosenkränzen grinste er den Menschen entgegen. Und gemahnte. Memento mori: Bedenke, dass du sterblich bist.
"Es gibt Totentänze auch des Schädels seit dem ausgehenden Mittelalter, wo es das Erlebnis großer Epidemien gab. Und es kommt zu einer Verbreitung besonders in der Zeit des Barock. Im Grunde zur Zeit des 30jährigen Krieges, wo also Krieg, Verheerung, Tod Epidemien ja zu einer unglaublichen Reduzierung der Bevölkerung geführt haben. Wo der Tod allgegenwärtig war."
Der Schädel steht für den Tod, den die Menschen besonders im Spätbarock fast sehnsüchtig erwarteten. Beispiel: ein um 1736 von Johann Sebastian Bach komponiertes Lied.
Komm, süßer Tod, komm sel'ge Ruh ! / Komm führe mich in Friede, / weil ich der Welt bin müde, / ach komm, ich wart auf dich. / Komm bald und führe mich.
Seit dem 18.Jahrhundert wurden Schädel interessant für die Wissenschaft. Insbesondere dienten sie der Bestimmung menschlicher Rassen. Schädel wurden zu einem begehrten Sammelobjekt für Naturforscher, erzählt Uta Kuhl.
"Es gab sehr viele solcher Schädelsammlungen. Die Freiburger Schädelsammlung hat aus seinem Forschungsanliegen heraus z. T. solche Schädel in den Kolonien in Auftrag gegeben. Und man kann davon ausgehen, dass auch gemordet wurde, um solche Schädel zu bekommen."
Schädel faszinieren uns bis heute. Auch Künstler wie den Maler Horst Jansen. Von ihm kann man mehrere Bilder sehen.
"Dieses Selbstporträt wie ein Januskopf. Auf der einen Seite sein Gesicht, auf der anderen Seite der Schädel. Unter dem Titel: Ich sterbe nicht, ich BIN der Tod."
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