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Totenkult weltweit
Mit dem Tod auf Du und Du

Bernd Schaarmann ist Sohn eines Bestatters und hat sich auch in seinem letzten Film, "Nice Places To Die", mit dem Tod auseinandergesetzt. Die mit dem Max-Ophüls-Preis ausgezeichnete Dokumentation zeigt vier Weltgegenden, in denen die Menschen auf verschiedene Weise eng und völlig unverkrampft mit den Verstorbenen zusammenleben.

Von Josef Schnelle |
    Ein Engel liegt auf einem Grab auf dem Hauptfriedhof in Frankfurt am Main, aufgenommen am 17.04.2009.
    Ein Engel liegt auf einem Grab auf dem Hauptfriedhof in Frankfurt am Main. (picture alliance / dpa / Wolfram Stein)
    "Wie lebt es sich mit dem Tod als Weggefährten. Ich dachte, dass meine Eltern und ich ziemlich eng mit dem Tod zusammengelebt haben. Doch, glauben Sie mir: Es geht enger, viel enger. An einigen Orten dieser Welt hält man es mit der Nähe zu den Toten etwas anders. Da fahren Menschen Leichen tausende von Kilometern weit, wohnen auf Friedhöfen, oder leben Jahrelang mit ihren Verstorbenen zusammen im selben Haus. Wie fühlt sich das an mit dem Tod hautnah auf Du und Du. Das möchte ich herausfinden: Ich bin Bernd und ich bin ein Bestatterkind."
    Das Leben in der Bestatterfamilie hatte der Dokumentarist Bernd Schaarmann, dessen Stimme Sie hören, in seinem vorigen Film "Leben und Sterben in Castrop-Rauxel" ausführlich beleuchtet. Mit diesem neuen Film begibt er sich auf eine Reise um die Welt und findet auf drei verschiedenen Kontinenten ungewöhnliche Bestattungsformen. Eigentlich ist der Titel seines Films "Nice Places To Die" nicht ganz richtig. Es geht eher um "Nice Places To Be Dead", also um Orte, an denen die Toten im Leben der Menschen noch eine bedeutende Rolle spielen. Durch die Geschichten vom Totenkult führt "Der Bestatter". Der Fahrer des Leichenwagens in Argentinien fährt seine Toten im Sarg oft viele hundert Kilometer über Land bis zu ihrem Geburtsort, an dem sie begraben werden sollen, bringt ihnen mit der Gitarre ein Ständchen. "Als ich mit dieser Arbeit angefangen habe, machten Freunde und Bekannte immer Witze: Der Bestatter. Da kommt er."
    Leben über Gräbern
    Für Ricardo ist der Tod allgegenwärtig in seinem Leben und so hat er ein unbekümmertes, fast heiteres Verhältnis zu ihm. Auch in der Kairoer Totenstadt Al´Quarafa in Sichtweite zu den großen Pyramiden leben die Menschen mit den Toten. Sie wohnen über Gruften und in Mausoleen, die sie angemietet haben. Auf den ersten Blick kann man gar nicht erkennen, dass dieses quirlige Viertel der ägyptischen Hauptstadt mit seinen 100.000 Bewohnern eigentlich ein Friedhof ist. Es gibt hier sogar Schulen, Buslinien und einen Markt. Manchmal werden die Bodenplatten entfernt, und ein Begräbnis findet statt. Manch einer ist hier geboren und rechnet damit, auch hier zu sterben. Dass sie inmitten einer Totenstadt leben, verändert das Leben der Bewohner, die aus Armutsgründen hier gelandet sind, kaum. Doch ist eine gewisse besondere Gelassenheit zu spüren. "Ich habe mich daran gewöhnt, mit dem Tod zu leben. Ich bin sogar auf die Welt gekommen bei den Toten."
    Auch für die Menschen auf Manilas Hauptfriedhof ist die Armut der Grund für ihren ungewöhnlichen Wohnort. Sie zahlen für den Platz auf dem Friedhof keine Miete und das Leben ist hier weniger gefährlich, weil für die Diebe und Gangster hier viel zu wenig zu holen ist. Manche schlafen direkt auf Grabplatten. Das mitteleuropäische Konzept vom Friedhof, der die Lebenden von den Toten strikt trennt, ist ihnen fremd. Bernd Schaarmann hat alle diese Menschen zum Reden gebracht. Man spürt seine Neugier und auch das Vertrauen, das ihm seine Gesprächspartner entgegenbringen. Das muss man erst einmal erringen, dann ist es das wichtigste Kapital eines Dokumentarfilmers.
    Mit den Toten leben
    Am weitesten geht in Schaarmanns Film der Totenkult der Toraja auf der indonesischen Insel Suwalesi. Sie leben mit ihren in Formalin konservierten Toten oft jahrelang in ihren typischen Spitzhäusern, bis sie endlich bereit sind, sie gehen zu lassen. Erst dann gibt’s ein großes Abschiedsfest. So kann es passieren, dass ein Sohn erst zusammen mit seiner Mutter begraben wird. Der Film schildert diese Fakten betont heiter und unterhaltsam. Und man muss vielleicht wissen, dass der Regisseur dessen Uraufführung auf dem Max–Ophüls-Festival im Frühjahr nicht mehr erlebt hat. Er starb mit nur 46 Jahren. Und so ist der Film seine höchst persönliche Variante des Weiterlebens geworden, das er bei den Toraja auf ganz andere Weise zu entdecken geglaubt hatte.
    Ist Marilyn Monroe etwa vergangen, John Wayne in den ewigen Jagdgründen oder Humphrey Bogard unrettbar verloren? Nein, wir können sie weiterhin sehen und ihnen zuhören. Ebenso wie Bernd Schaarmann, der fast am Ende seines Films ein bewegendes Fazit zieht. "Und am Ende wird mir klar, die Toraja haben Leben und Tod so eng miteinander verknüpft, dass es eigentlich keine Grenze gibt."