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Totenlied als Musiktheater

Wolfgang Amadeus Mozart letztes Werk war das "Requiem", eine Totenmesse als Auftragsarbeit für den Grafen Franz von Walsegg, die unvollendet blieb und von zwei Mozart-Schülern vollendet wurde. Der Einar Schleef-Schüler Sebastian Baumgarten, der manchen als das kommende Talent im Musiktheater gilt und demnächst auch in Bayreuth arbeiten darf, hat sich des Requiems nun angenommen - nicht konzertant allerdings. An der "Komischen Oper" in Berlin brachte er einen inszenierten, leicht makaberen Abend heraus.

Von Georg-Friedrich Kühn |
    Schöner sterben. Mit dem faltbaren Pappsarg, den man mit einem kräftigen Ruck zur Not auch von innen öffnen kann, lässt sich dem Scheintot-Begraben-Werden vorbeugen. Mit derlei tröstlichen Branchentipps beglückt Sebastian Baumgarten sein Publikum an der Komischen Oper. Wie immer will er provozieren. Der Geschmack ist im freien Fall wie die Aktien bestimmter vor Überheblichkeit strotzender Börsen-Gurus.

    Ausgerechnet Mozarts "Requiem" hat er sich als Starthilfe erkoren. Jenes letzte Werk, über dem der Wolfgang Amadé verstarb. Und damit es auch zünftig zugeht, versickern die letzten Noten dieser Partitur unter Fotos vom Berg Sinai, vor dem die Choristen sich kollektiv den letzten Schuss geben, nachdem sie sich ordentlich in Totensäcke verpackt haben.

    Mit dem Eröffnungssatz und einer zum Talkshow-Geschwätz ausufernden Leichenrede beginnt dieser seltsame Abend, bei dem die einzelnen Teile des Mozartschen Requiems gemixt werden mit Gesprächen, die Armin Petras und Jan Kauenhowen in einem Sterbehospiz aufgenommen haben - hier "bühnentauglich" aufbereitet.

    Da poltert ein früherer Malermeister von seinem Lungenkrebs und den Bildern, die er noch gemalt hat und gern vererben möchte. Eine Anita erinnert sich der goldenen Jahre ihrer Kindheit, als sie als letztes Patenkind des deutschen Kaisers im Luxus lebte. Natürlich erscheint ihr der Kaiser noch mal als Gespenst und Partner zum Tango-Tanzen in Unterhosen und mit Helmschweif.

    Die Vorzüge der Verbrennung werden in einem Verkaufsgespräch erörtert, während das Förderband immer neue Verblichene in den Ofen spuckt. Oder eine Meute von Steinzeitmenschen quillt aus dem U-Bahnschacht Berlin-Hellersdorf, um mit chorischem Gebrüll à la Schleef den Erzählungen einer ehemaligen Krankenschwester mit nun multipler Sklerose zu folgen.

    Die Kostüm- und vor allem auch die Medienabteilung des Hauses kommen arg ins Schwitzen.

    Zumal mit dem Einspiel immer neuer wie Studentenscherze gedrehter Filmchen: wenn etwa von einer Witwe erzählt wird, die eigentlich den Leichnam ihres Mannes begraben will und sich dann voll auf einen Lebenden stürzt, der sich dort in der Grab-Höhle versteckt hält - derweil der Leichnam von Ehemann 1 sich quasi selbst entsorgt.

    Oder unterm Stichwort "das Erbe" werden mit den Hinterlassenschaften einer Verstorbenen Umzugskisten gestapelt, die - krach, bumm - die Tochter auf den Boden fallen lässt. Und das ganze schöne handbemalte Porzellan klirrt zu Bruch. Mit Irm Hermann kann Baumgarten da immerhin eine wirkliche Darstellerin aufbieten, neben der sich seine Lieblingsdiseuse Kathrin Angerer wie ein quängelndes Gör ausnimmt.

    Auch musikalisch hält sich das Niveau dieses Abends arg in Grenzen. Markus Poschner am Pult bemüht sich zwar um einen nervigen Orchester-Ton. Aber der Chor, am Anfang und am Ende der Aufführung im Parkett in den beiden ersten Reihen mal stehend mal sitzend und mehr donnernd als singend, klingt undifferenziert, das Solo-Quartett oft unsauber.

    Wer mit dieser "Totenmesse", die stolz als "Uraufführung" firmiert, zu Grabe gesungen wird, bleibe dahin gestellt. Der Applaus des überwiegend jüngeren Premieren-Publikums war buh-frei aber kurz. Die Theaterleitung ließ den Decker ziemlich schnell herunter. Ihr war das Ganze wohl letztlich auch eher peinlich.

    Auf Rudimente dieses Abends könnten sich aber vielleicht die Bayreuth-Pilger freuen, wenn Baumgarten dort bei den Festspielen den Tannhäuser zu Grabe bettet. Oder vielleicht ist dies Spektakel ja auch überhaupt als fürsorgliche Hommage an Bayern gedacht, wo ja nun auch viele krause Totenmessen gesungen werden.