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Totenstille in Stuttgart

Um den Sinn für manche Facette deutscher Wirklichkeit zu schärfen, bedarf es wohl eines von Gewohnheit unverstellten, fremden Blicks. Beqё Cufaj, geboren 1970 in Deçan, einer Kleinstadt im Kosovo, verfügt über diesen Blick. Seinen Roman lässt er in einer Einöde der besonderen Art beginnen. Im September 1996 sitzt sein Protagonist Arben Duka als einziger Gast in einem bosnischen Lokal, trinkt Kaffee, raucht Kette und schaut auf die Straße, in der nichts geschieht, außer dass Menschen schweigend, ohne den Kopf nach rechts oder links zu wenden, die Fahrbahn überqueren. Es herrscht Ordnung und nachgerade Totenstille in einer Großstadt namens Stuttgart.

Von Martin Sander |
    " Die alten Häuser, fast alle fünf Stockwerke hoch und ineinander verschachtelt, hatten graue Fassaden. Auf beiden Seiten begrenzten breite, mit Natursteinplatten belegte, sauber gefegte Trottoirs die Sackgasse. Darauf befanden sich Inseln aus schwarzer Erde, aus denen Bäume in die Höhe ragten. Ihre grün belaubten Kronen reihten sich parallel zur Front der Häuser. Sie starrten auf die vier merkwürdigen Wesen herab, die unter ihnen vorbeigingen.
    Arben Duka schaute bloß. "

    "Der Glanz der Fremde" lautet der Titel von Cufajs Roman, der - aus dem Albanischen übersetzt von Joachim Röhm - jetzt bei Zsolnay erschienen ist. Der Titel ist Ironie, denn Beqë Cufajs deutsche Fremde erscheint zwar in scharfen Konturen, bleibt aber letztlich so glanzlos wie die Heimat Kosovo. Cufajs Roman erzählt vom Leben zweier junger Albaner, Arben und Rifat, genannt Ricky. Beide verbringen, ohne sich zu kennen, Kindheit und Jugend - nicht weit voneinander entfernt - in der jugoslawischen Provinz und treffen als Erwachsene in einem Vorort von Stuttgart, aufeinander. Die Herkunft und das Migrantenschicksal ist ihnen gemeinsam. Abgesehen davon könnten diese beiden Hauptfiguren kaum unterschiedlicher sein. Arben Duka, der Sohn eines armen, um die Zukunft seines Kindes besorgten Feuerwehrmanns, ist ein wissensdurstiger und lesehungriger Schüler. Später studiert er Philologie an der albanischen Untergrunduniversität von Prishtina und flieht dann, zu Beginn der Jugoslawienkriege, mit dem letzten Groschen seines Vaters im Gepäck und dank der Dienste einer Schlepperbande nach Deutschland. Arben Duka flieht aus einem Land, in dem es für eine albanische Elite schon lange keinen Platz mehr gibt. Willkür und Repression hatte er bereits während der Schulzeit erfahren.

    " Der Gedichtband schien den Polizisten zu interessieren. Er fing an, darin zu blättern. "Seit wann schreibt Rambo denn Gedichte?" fragte er mich dann und zog an seiner Zigarette. "Also, das heißt nicht Rambo, sondern Rembo", verbesserte ich ihn mit einer Stimme, die genauso unsicher war wie mein Serbisch. "Das war ein Franzose, der im letzten Jahrhundert gelebt habt." Wenigstens wusste ich die richtige Antwort. "Rambo, Rembo, das ist doch alles die gleiche Scheiße! Ihr Albaner wollt immer bloß Rambos oder Rembos sein", gab der Polizist zurück. Er warf seinen Zigarettenstummel auf den Boden und trat ihn mit dem Stiefelabsatz aus. Dann schlug er mir das Buch um die Ohren.
    Mit gesenktem Kopf ging ich zum Bus zurück, damit man die Tränen nicht sah, die ich in den Augen hatte. "

    Das Gegenbild zu Arben liefert Ricky: Ein Aufschneider, Schläger und selbsternannter Frauenheld von Jugend an, der nach dem Tod der Mutter kein Zuhause mehr hat. Der Vater hat sich bereits Jahre zuvor nach Deutschland verabschiedet, und es gibt von ihm seither weder Geld noch andere Lebenszeichen. Ricky macht sich auf den Weg nach Italien, um von dort nach Amerika auszuwandern. Doch seine Flucht ist mit unverhofften Schwierigkeiten gepflastert und führt ihn schließlich doch in die triste Gastarbeiterunterkunft seines Vaters in einem Dorf bei Stuttgart. Ricky, der Draufgänger und Gelegenheitsarbeiter, ist bald schon von einer albanischen Frau - der Vater hat sie aus dem Kosovo geholt - und auch einigen Kindern umgeben. Um ihn herum schwirren außerdem - vorwiegend - deutsche Geliebte. Als der einsame, vergeistigte Arben in Deutschland eintrifft, ist Ricky schon eine Zeit lang da. Er stürzt sich geradezu auf seinen neuen, gebildeten Kumpan, um mit ihm, den er stets als Schriftsteller vorstellt, in Kneipen anzugeben und ihm dabei unentwegt und ungefragt die Welt aus seiner Underdog-Sicht zu erklären.

    ""Und was glaubst du, weshalb die Deutschen uns Kosova-Albaner nicht leiden können? Weil immer mehr von uns in ihr Land kommen und ihre Frauen ficken, so dass am Ende ihr Blut und ihre Rasse nicht mehr rein sind. Der Mann von der Straße begreift das vielleicht nicht, aber die Großen ganz oben, die studieren diese Dinge und wissen ganz genau Bescheid. Das kannst du mir glauben."
    Sie waren an der Diskothek angekommen, die Ricky für diesen Abend ausgesucht hatte. Er begrüßte den Türsteher mit einem Schulterklopfen und ging gefolgt von Arben Duka hinein. "

    Beqë Cufaj teilt seine traurig-witzige Geschichte in unterschiedliche Perspektiven. Mal lässt er den Erzähler sprechen und ein wenig über seinen Helden schweben, mal leiht er den ungleichen Protagonisten die Stimme. Arbens Reflexionen kommen überdies durch gelegentliche Einschübe eines Tagebuchs zur Geltung. Die Vielfalt der Erzählperspektive schärft den Blick des Lesers für eine Welt in Grautönen, komponiert aus der Tristesse von Armut, Gewalt und Bedrückung, aus einem Leben in der Zweiten Klasse, im ehemaligen Jugoslawien ebenso wie im zeitgenössischen Deutschland. Arben Duka kann dieser Welt am Ende entrinnen. Er wird Korrespondent einer kosovarischen Zeitung in der deutschen Hauptstadt - und bricht so aus seinem Flüchtlingsdasein aus, während Ricky, der Schicksalsgefährte auf Zeit, wegen Totschlags von der Polizei gesucht wird.

    In dem Roman " Der Glanz der Fremde" ist es Beqë Cufaj gelungen, den Leser in den Bann zu ziehen - durch eine ebenso schlicht wie überzeugend inszenierte Tragikomödie, durch einen Roman zwischen Depression und Lebenslust.