Niemczyk: Nach dem ersten Eindruck des Messerundgangs, wo so ein gewisser Mehltau über allem lag oder auch vielleicht so eine gewisse Wehmutsstimmung hatte man so den Eindruck, mit dem Umzug nach Berlin wird eine letzte Chance auch für diesen Handelsplatz genutzt. Also, man bezieht ein neues Haus und hofft da seine Probleme lösen zu können. Also, dieser Eindruck ist so: Es muss was von außen kommen, weil von innen her scheint dieser Stimmungsniedergang, den man heute hauptsächlich beobachten konnte, irgendwie nicht mehr zu kitten oder zu retten.
Fischer: Die Schlagworte sind ja bekannt, die Wirtschaftslage am Rande der Rezession, wie es immer so schön heißt und vor allem das Runterladen von Musik aus dem Internet, aber Universal-Chef Tim Renner hat heute in der Süddeutschen Zeitung auch gleich mehrere hausgemachte Kardinalfehler eingestanden. Darunter: Die Verflachung des gesamten Radio-Marktes und den mangelnden Aufbau von eigenen jungen Künstlern. Inwiefern ist die Krise denn hausgemacht und inwiefern ist sie eine Krise der Popmusik selber?
Niemczyk: Also, ich würde sagen, die großen Firmen haben eben dieses amerikanische Buchungssystem, wo man immer Viertelsjahreszahlen liefern muss und schnell gemachte Superstars, also Platten drehen sich eben schnell. Die machen kurzfristigen Umsatz, aber es ist nicht mehr der Back-Katalog, wovon die auch noch leben - sagen wir mal eine Band, wie die Doors oder irgendetwas aus den 70er Jahren -, was teilweise über Jahrzehnte eben aufgebaut wurde. Dazu hat heute kaum noch einer die Energie und das sehen die eben auch. Man kann nicht mehr so lange von diesen Produkten leben. Also, es ist so ein Torten-Diagramm der Gründe, die dann zum Niedergang des gesamten Segments geführt haben.
Fischer: Und wie sieht das Torten-Diagramm aus?
Niemczyk: Ich würde sagen: Einerseits der Konsument, der ja hauptsächlich aus den berühmten 14-25-Jährigen besteht. Da hat sich meines Erachtens eine Generation umsonst herauskristallisiert, die einfach nicht mehr in den Plattenladen rennt, was kauft und darauf total stolz ist. Man hat fast den Eindruck, dass sich diese 50 oder 60 Jahre Popmusik seit Elvis so langsam dem Ende des Produkt-Lebenszyklus nähern. Es ist so: Die Warenförmigkeit verschwindet. Musik gibt es ja irre viel, nur man kann damit kein Geschäft mehr mit machen.
Fischer: Wo liegen denn die inhaltlichen Entwicklungsmöglichkeiten in der Branche? Sie haben gesagt: Deutschland sucht den Superstar. Das ist im Moment sozusagen der deutschsprachige Megaseller. Auf der anderen Seite ist von einem Revival von deutschen Independent-Gruppen zu lesen.
Niemczyk: Das stimmt zwar, aber das sind alles Ideen, wo man sozusagen das Wasser noch mal durch den Kaffeefilter gießt. Also, Bands wie "Wir sind Helden", das ist eine nette Entwicklung, aber die massive Entwicklung hat es damals zu Zeiten der Neuen Deutschen Welle gegeben. Und ich würde sagen: So sind auch die Umsatzzahlen. Wenn eine Nena seinerzeit eine Millionen verkauft hat, reden wir jetzt noch von 300.000 oder noch weniger. Die ganze Substanz wird einfach immer dünner, und das Problem ist, dass sie auch nicht mehr haltbar ist. Es zeigt sich eben auch, dass viele Leute jenseits der 25 oder 27 dann ganz aussteigen.
Fischer: Was die Branchenkrise durchs Downloaden von illegaler Musik aus dem Netz betrifft soll ja jetzt Phonoline helfen, ein Projekt, an dem schon sehr lange gearbeitet wird und dass jetzt auf dieser Popkomm vorgestellt wurde. Worum geht´s?
Niemczyk: Es geht darum, dass einzelne Titel für 99 Cent legal von einer großen Datenbank runtergeladen werden können. Meines Erachtens ist das ein recht verzweifelter Versuch gegen diese Umsonst-Kultur, die sich schon sehr stark ausgebildet hat, dass man einfach Musik im Internet sucht und die sich über Tauschbörsen umsonst austauscht. Das Ding ist, man bezahlt einen Euro für einen Song und alle Majors machen mit, und somit werden sich auch die Indies anschließen, das heißt, man hat also theoretisch den gesamten Musik-Katalog vorliegen. Aber ich glaube, dass der Vorsprung der illegalen Tauschbörsen fast ein Jahrfünft in technischer Hinsicht und Kataloghinsicht ist, und ob die da noch mal nachkommen? Also, ich glaube nicht, dass das kurzfristig der Branche helfen wird. Vielleicht wird es einen Marktanteil von fünf Prozent einnehmen.
Fischer: Heißt das denn nicht, dass sich sozusagen die Branche ihr eigenes Grab gegraben hat?
Niemczyk: Hat sie eigentlich gemacht. Man kann fast sagen, mit der Digitalisierung des Tonträgers, also mit der Umstellung von Vinyl auf CD, wo Musik sozusagen in 0 und 1 aufgelöst worden ist. Das war ein irrer Boom, weil die meisten Leute ihren Vinyl-Katalog noch mal nachgekauft haben, aber gleichzeitig hat man auch die technische Voraussetzung geschaffen, dass Musik einfach reproduzierbar ist und somit durchs Netz einfach fließen kann.
Fischer: Ich höre aus dem, was Sie erzählen, die Verzweiflungstaten einer Branche heraus. Wo gibt es Hoffnung? Was wäre zu tun?
Niemczyk: Ich glaube, für die Branche an sich gibt es keine Hoffnung, aber ich habe mit vielen Leuten geredet, die sozusagen aus der Branche aussortiert worden sind, und die machen im Endeffekt um eine Band herum Miniprojekte. Aber ob diese Vermarktungsform noch klassische Messeplätze und all das braucht, worüber wir jetzt reden, das ist zu bezweifeln.
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Fischer: Die Schlagworte sind ja bekannt, die Wirtschaftslage am Rande der Rezession, wie es immer so schön heißt und vor allem das Runterladen von Musik aus dem Internet, aber Universal-Chef Tim Renner hat heute in der Süddeutschen Zeitung auch gleich mehrere hausgemachte Kardinalfehler eingestanden. Darunter: Die Verflachung des gesamten Radio-Marktes und den mangelnden Aufbau von eigenen jungen Künstlern. Inwiefern ist die Krise denn hausgemacht und inwiefern ist sie eine Krise der Popmusik selber?
Niemczyk: Also, ich würde sagen, die großen Firmen haben eben dieses amerikanische Buchungssystem, wo man immer Viertelsjahreszahlen liefern muss und schnell gemachte Superstars, also Platten drehen sich eben schnell. Die machen kurzfristigen Umsatz, aber es ist nicht mehr der Back-Katalog, wovon die auch noch leben - sagen wir mal eine Band, wie die Doors oder irgendetwas aus den 70er Jahren -, was teilweise über Jahrzehnte eben aufgebaut wurde. Dazu hat heute kaum noch einer die Energie und das sehen die eben auch. Man kann nicht mehr so lange von diesen Produkten leben. Also, es ist so ein Torten-Diagramm der Gründe, die dann zum Niedergang des gesamten Segments geführt haben.
Fischer: Und wie sieht das Torten-Diagramm aus?
Niemczyk: Ich würde sagen: Einerseits der Konsument, der ja hauptsächlich aus den berühmten 14-25-Jährigen besteht. Da hat sich meines Erachtens eine Generation umsonst herauskristallisiert, die einfach nicht mehr in den Plattenladen rennt, was kauft und darauf total stolz ist. Man hat fast den Eindruck, dass sich diese 50 oder 60 Jahre Popmusik seit Elvis so langsam dem Ende des Produkt-Lebenszyklus nähern. Es ist so: Die Warenförmigkeit verschwindet. Musik gibt es ja irre viel, nur man kann damit kein Geschäft mehr mit machen.
Fischer: Wo liegen denn die inhaltlichen Entwicklungsmöglichkeiten in der Branche? Sie haben gesagt: Deutschland sucht den Superstar. Das ist im Moment sozusagen der deutschsprachige Megaseller. Auf der anderen Seite ist von einem Revival von deutschen Independent-Gruppen zu lesen.
Niemczyk: Das stimmt zwar, aber das sind alles Ideen, wo man sozusagen das Wasser noch mal durch den Kaffeefilter gießt. Also, Bands wie "Wir sind Helden", das ist eine nette Entwicklung, aber die massive Entwicklung hat es damals zu Zeiten der Neuen Deutschen Welle gegeben. Und ich würde sagen: So sind auch die Umsatzzahlen. Wenn eine Nena seinerzeit eine Millionen verkauft hat, reden wir jetzt noch von 300.000 oder noch weniger. Die ganze Substanz wird einfach immer dünner, und das Problem ist, dass sie auch nicht mehr haltbar ist. Es zeigt sich eben auch, dass viele Leute jenseits der 25 oder 27 dann ganz aussteigen.
Fischer: Was die Branchenkrise durchs Downloaden von illegaler Musik aus dem Netz betrifft soll ja jetzt Phonoline helfen, ein Projekt, an dem schon sehr lange gearbeitet wird und dass jetzt auf dieser Popkomm vorgestellt wurde. Worum geht´s?
Niemczyk: Es geht darum, dass einzelne Titel für 99 Cent legal von einer großen Datenbank runtergeladen werden können. Meines Erachtens ist das ein recht verzweifelter Versuch gegen diese Umsonst-Kultur, die sich schon sehr stark ausgebildet hat, dass man einfach Musik im Internet sucht und die sich über Tauschbörsen umsonst austauscht. Das Ding ist, man bezahlt einen Euro für einen Song und alle Majors machen mit, und somit werden sich auch die Indies anschließen, das heißt, man hat also theoretisch den gesamten Musik-Katalog vorliegen. Aber ich glaube, dass der Vorsprung der illegalen Tauschbörsen fast ein Jahrfünft in technischer Hinsicht und Kataloghinsicht ist, und ob die da noch mal nachkommen? Also, ich glaube nicht, dass das kurzfristig der Branche helfen wird. Vielleicht wird es einen Marktanteil von fünf Prozent einnehmen.
Fischer: Heißt das denn nicht, dass sich sozusagen die Branche ihr eigenes Grab gegraben hat?
Niemczyk: Hat sie eigentlich gemacht. Man kann fast sagen, mit der Digitalisierung des Tonträgers, also mit der Umstellung von Vinyl auf CD, wo Musik sozusagen in 0 und 1 aufgelöst worden ist. Das war ein irrer Boom, weil die meisten Leute ihren Vinyl-Katalog noch mal nachgekauft haben, aber gleichzeitig hat man auch die technische Voraussetzung geschaffen, dass Musik einfach reproduzierbar ist und somit durchs Netz einfach fließen kann.
Fischer: Ich höre aus dem, was Sie erzählen, die Verzweiflungstaten einer Branche heraus. Wo gibt es Hoffnung? Was wäre zu tun?
Niemczyk: Ich glaube, für die Branche an sich gibt es keine Hoffnung, aber ich habe mit vielen Leuten geredet, die sozusagen aus der Branche aussortiert worden sind, und die machen im Endeffekt um eine Band herum Miniprojekte. Aber ob diese Vermarktungsform noch klassische Messeplätze und all das braucht, worüber wir jetzt reden, das ist zu bezweifeln.
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