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Totgesagte leben länger

Typ-2-Diabetes ist die häufigste Form dieser Krankheit - bei ihr gerät der Insulin-Haushalt aus dem Gleichgewicht. Eine wichtige Rolle spielen dabei Betazellen, die Insulin produzieren. Ein internationales Forscherteam hat sie genauer untersucht und einen möglichen neuen Therapieansatz entdeckt.

Von Jochen Steiner | 09.01.2013
    "Seit 20, 30 Jahren glauben die Leute, dass die Insulin produzierenden Zellen in der Bauchspeicheldrüse absterben. Dann hat man zu wenige gesunde Zellen und erkrankt an Diabetes."

    Aber ist das wirklich immer so? Das fragte sich vor ein paar Jahren die thailändische Forscherin Chutima Talchai, als sie mit ihrer Doktorarbeit am Columbia University Medical Center in New York begann. Sie und ihre Kollegen wollten mehr über die Ursachen von Typ-2-Diabetes herausfinden. Talchai schaute sich die Insulin produzierenden Zellen, die Betazellen, bei einem bestimmten Mäusestamm genauer an:

    "Das Überraschendste ist, dass diese Zellen nicht absterben, das war in unserer Studie sehr deutlich."

    Vorangegangene Studien mit anderen Mäusestämmen stellten sehr wohl fest, dass Betazellen absterben können. Nun scheint es aber so zu sein, dass dies nicht bei jeder Diabetes-Erkrankung eintritt.

    Die Forscher um Talchai hatten ein Gen für ein grün leuchtendes Protein in die Betazellen ihrer Mäuse eingeschleust. Dann lösten die Mediziner bei den Versuchstieren Diabetes aus und zählten mit einer neuen Methode die grün schimmernden Zellen.

    "Die Anzahl der Betazellen vor und nach Ausbruch der Krankheit ist gleich. Aber nach dem Ausbruch produzieren sie kein Insulin mehr und sie befinden sich in einem früheren, unausgereiften Stadium."

    Während der Diabetes-Erkrankung verwandelten sich die Betazellen der Mäuse also zurück zu Zellen, die sie einmal waren - und beim Menschen? Annette Schürmann:

    "Ob das jetzt auch beim Menschen eine Rolle spielt - würde ich vermuten, weil sehr viele Mechanismen, die in den Inseln, also in den Organellen in der Bauchspeicheldrüse, sehr ähnlich ablaufen zwischen Mensch und Maus. Also viele Erkenntnisse, die bisher in Mausmodellen gewonnen wurden, sind dann auch tatsächlich beim Menschen bestätigt worden."

    Professorin Annette Schürmann arbeitet in der Abteilung für experimentelle Diabetologie am Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke. Auch sie beschäftigt sich mit den Betazellen. Schürmann sieht in der Studie von Chutima Talchai einen von mehreren Wegen, neue Therapieansätze zu finden.

    Zurzeit sucht Talchai nach geeigneten Stoffen, die die Verwandlung der Betazellen wieder rückgängig machen können. Damit sollen die Vorläuferzellen wieder zu voll funktionsfähigen, Insulin produzierenden Zellen werden. Und das nicht nur bei Mäusen, hofft Talchai:

    "Hoffentlich können wir in wenigen Jahren einige Stoffe präsentieren, die das auch beim Menschen hinbekommen."

    Zeiträume von fünf bis zehn Jahren seien realistisch, so Annette Schürmann. Die Forschung mit Betazellen hält sie insgesamt für aussichtsreich:

    "Ich würde denken, dass das sicherlich der vielversprechendste Ansatz ist. Was wir ja vermeiden möchten, bei den Patienten, ist, dass sie irgendwann insulinpflichtig werden wie ein Typ-1-Diabetiker. Und deshalb ist es sicherlich immer sinnvoll, auch die Funktion der Betazelle aufrecht zu erhalten oder wiederherzustellen."