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Totschweigen statt aufwerten

Die Bundeskanzlerin versucht sich im Weichspül-Wahlkampf: Die Partei der Euro-Gegner, Alternative für Deutschland (AfD) erwähnt sie in Reden mit keinem Wort. So will sie die Partei wohl nicht mit Aufmerksamkeit aufwerten. Innerhalb der Union erntet sie dafür Verständnis.

Von Michael Watzke | 16.05.2013
    Michael Weinzierl, zweiter Vorstand der Original Truderinger Böllerschützen, hat einen Traum: die Kanzlerin in Tracht:

    "Würde ich mir sehr wünschen. Das würde ihr gut stehen. Vielleicht kommt sie ja im Dirndl. Die Hoffnung stirbt zuletzt."

    Die Hoffnung stirbt, als die Kanzlerin aus der Limousine steigt - wie üblich im Blazer. Diesmal in Türkis. Die Böllerschützen böllern sogleich zum Salut.

    16 Schuss sollen es werden, so viel wie Deutschland Bundesländer hat – aber es sind einige Fehlzündungen dabei. Dabei kann sich Merkel im beginnenden Wahlkampf keine Fehlzündungen leisten – vor allem nicht im Süden der Republik, wo die meisten konservativen Stimmen zu holen sind. Im Truderinger Bierzelt lobt Merkel die Bayern besonders ausführlich:

    "Weil Sie hier abends um sechs schon längere Zeit gemütlich bei Bier und Brot zusammensitzen. Und trotzdem das Bundesland sind mit den besten Wirtschaftsleistungen und den besten Schulabschlüssen. Ich weiß nicht, wie Sie das alles machen. In Bayern lernt es sich vielleicht schneller, oder Sie stehen früher auf, ich weiß es nicht. Es muss jedenfalls so bleiben, wie es ist."

    Damit es so bleibt, braucht es aus Merkels Sicht eine starke Union im Süden. Und keine zerstrittenen Loser. Als solche hat CSU-Chef Horst Seehofer gerade die baden-württembergische CDU bezeichnet. Nachdem der dortige Landeschef Strobl dem CSU-Nachbarn öffentlich Vorwürfe wegen der Abgeordneten-Affäre im bayerischen Landtag gemacht hatte. Die Kanzlerin wiegelt ab. Mit der ihr eigenen, feinen Ironie, die in bierseliger Stimmung nicht immer zündet.

    "Streiten tun Sie hier unten ja gern mal. Sogar im bayerischen Landtag. Aber wissen Sie, worüber wir nicht streiten? Wir streiten in Europa nicht mehr darüber, ob wir Demokratie haben. Oder freie Wahlen. Das ist für uns selbstverständlich geworden. Das müssen wir bewahren in Europa. Das ist unser gemeinsamer Schatz von 500 Millionen Menschen."

    Es ist eine Harmonie-Rede, die Angela Merkel in Trudering hält. Die Themen Europa und Euro streift sie nur kurz, ohne Kritik an Griechenland oder Italien - wie sie CSU-Generalsekretär Dobrindt immer wieder mal äußert. Der sitzt in der ersten Bierbankreihe und wippt so unruhig mit den Füßen, als wünschte er sich ein wenig mehr Aggressivität in Merkels Rede. Und mehr Offensive. Einen rechten Haken vielleicht gegen die "Alternative für Deutschland". Aber die Kanzlerin erwähnt die neue Partei mit keinem Wort, totschweigen statt herbeireden lautet die Devise. Die CDU-Chefin lobt stattdessen die Europäische Gemeinschaft.

    "Und Europa, das war nach dem Zweiten Weltkrieg die Antwort darauf, dass wir in Zukunft nicht mehr Krieg gegeneinander führen. Sondern dass unsere Söhne und Töchter friedlich und in Frieden aufwachsen können."

    Bei den meisten der 3000 Gäste im Bierzelt scheint Merkels Weichspül-Wahlkampf gut anzukommen. Der Applaus ist nicht überschwänglich, aber die Zustimmung spürbar:

    "Der Euro wird doch totgeredet. Und dass man diese neu gegründete Partei aufwertet, das finde ich als idealistischer Schwarzer nicht gut. Die kann man auch ignorieren. Ich glaube, sie hat ihren Standpunkt klargemacht: Sie will den Euro behalten. Was anderes muss sie nicht sagen. Das war allen klar, die da sind."

    Bei der Landtagswahl in Bayern tritt die "Alternative für Deutschland" gar nicht erst an. Die Euro-Gegner fürchten, am 15. September deutlich unter fünf Prozent zu bleiben. Das wäre für die eine Woche später stattfindende Bundestagswahl eine schwere Hypothek. CSU-Generalsekretär Dobrindt führt die Schwäche der AfD im Freistaat auch auf den harten Kurs der CSU zurück. Zumal Euro-Skeptiker wie Dobrindt oder Peter Gauweiler viele Wähler an die CSU binden, die anderswo vielleicht die AfD unterstützen würden. Gauweiler, der schwarze Peter, poltert bei seinen Bierzelt-Reden gewaltig gegen Griechen und die sogenannten Finanzgangster der EU:

    "Ich habe gegen den Griechenland-Kredit gestimmt. Der ermutigt die Kredit-Junkies doch nur, dass es Stoff ohne Ende gibt. Das ist wie Schokolade für Zuckerkranke."

    Diese deftig-bayerische Art des Bierzelt-Wahlkampfs ist nicht Merkels Sache. Sie konzentriert sich in Trudering lieber auf jenes Thema, das die Union als Wahlkampf-Schlager ausgemacht hat: Familie und Bildung. Ihr erstes und einziges Prosit bringt die Kanzlerin bei ihrer Rede auf jene Männer aus, die sich die Haushalts- und Erziehungsarbeit gerecht mit ihren Ehefrauen teilen.

    "Einen Bierschluck auf die jungen Väter in Bayern! … Die Begeisterung scheint noch nicht ganz so stark zu sein. Aber das entwickelt sich noch!"

    Darauf hofft die Kanzlerin – ebenso wie die CSU. Aber wie diese Begeisterung zu erzeugen ist – davon haben die beiden Schwester-Parteien durchaus ihre eigenen Vorstellungen. Kuschelkurs oder Haudrauf-Wahlkampf? Derzeit zumindest kann die CSU froh sein, Merkel an ihrer Seite zu haben. Denn in Sachen Glaubwürdigkeit stellt sie CSU-Chef Seehofer locker in den Schatten.

    "Für mich ist sie die glaubhafteste Politikerin in Deutschland. Sie hat so einen Merkel-Effekt, der schwer zu erklären ist."

    Bisweilen scheint es, als müsse die sonst so selbstbewusste CSU im Wahlkampf stärker auf Merkel setzen – und nicht umgekehrt. Wer weiß – vielleicht kommt die Kanzlerin beim nächsten Auftritt ja sogar im Dirndl.