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"Tough Love" von Jessie Ware
"Es soll nicht anstrengend sein, meine Stücke zu hören"

Jessie Ware sang zuerst im Hintergrund, zum Beispiel für Jack Peñate. Ihr erstes Soloalbum vor zwei Jahren wurde aber ein riesiger Erfolg. Jetzt hat die 30-Jährige den Nachfolger "Tough Love" veröffentlicht. Doch dem Album hätte etwas mehr musikalische Reibung gut getan.

Von Dennis Kastrup | 30.10.2014
    "Beim Arbeiten an dem Album habe ich Erleichterung gespürt. Es hat wirklich sehr viel Spaß gemacht. Ich habe das sehr genossen. Hoffentlich hört man das auch."
    Jessie Ware wirkt in diesen Tagen äußerst gelöst. Die Engländerin hat vor kurzem geheiratet und lässt keine Gelegenheit aus, in der Öffentlichkeit darüber zu sprechen. Dazu kommt ihr zweites Soloalbum. Es wirkt wie eine Befreiung vom Debüt, mit dem sie ausgiebig touren musste. Sie ist an ihre Grenzen gestoßen.
    "Ungefähr sechs Monate nach meinem ersten Album gab es eine Zeit, in der ich mich gefragt habe: "Was mache ich hier eigentlich? Ich sehe immer so ängstlich aus, wie eine Kuh oder eine Zicke! Das bin ich aber nicht!" Ich musste anfangen, das zu genießen. Es geht ja nun mal so weiter. Anders hätte ich mir dann einfach die ganze Zeit Sorgen gemacht, weil ich grundsätzlich ein besorgter Mensch bin. Es veränderte sich also etwas. Das Touren und das Bewusstsein, vor Leuten zu spielen, die nur für mich da waren, stärkten dann auf jeden Fall mein Selbstbewusstsein."
    Damit ausgestattet wagte sie sich an die neuen Stücke heran. Zusammen mit dem Produzentenduo BenZel gelang ihr ein Update des ersten Albums. Die Stimmung ist ähnlich wie auf dem Vorgänger: Es dreht sich alles um die Liebe, mit all ihren Facetten. Empfindsame Songs in einem R&B-Pop-Bett. Und erneut erinnert das an manchen Stellen an ihr großes Vorbild Sade. "Schwierige Liebe" hat sie all das genannt. Ein Thema, das sich nun schon seit Jahrzehnten durch die Musik zieht, auch wenn im Pop darüber schon alles gesagt scheint.
    "Die Leute wollen das aber immer noch hören, weil es sich ständig bewegt und verändert. Der eine Song kann von einem Aspekt der Liebe handeln, ein anderer von einem anderem. Meine Songs drehen sich um verschiedene Seiten der Liebe: Ablehnung, Flirts oder Fantasien. Das sind menschliche Instinkte. Und: es gibt doch kein besseres Gefühl als Liebe, oder? Musik kann doch mit Geschichten das Drumherum begleiten. Das ist wundervoll."
    Ware sucht den Mittelweg
    Ware entdeckt dieses Mal außerdem neue Stimmlagen. Sie traut sich in neue Höhen. Das mit Ed Sheeran geschriebene Stück "Say You Love Me" zum Beispiel ist vielleicht ein bisschen zu kitschig geraten, fordert aber ihren Gesang heraus. Dabei hat sie sich erstaunlicherweise nicht an Sängerinnen orientiert.
    "Ich nehme auf dem Album Bezug auf Leute wie Maxwell und Prince. Das sind auf jeden Fall männliche Einflüsse. Auch Fleetwood Mac, das ist aber gemischt. Die großartige Band The Blue Nile ist nur männlich. Paul Buchanans Stimme bei denen ist fantastisch. Also viele männliche Stimmen."
    An der Auswahl ihrer Referenzen lässt sich erkennen, wohin der Weg von Jessie Ware geht: Sie sucht den Mittelweg. Der Kern ihrer Musik orientiert sich an den Einflüssen der Vergangenheit. Die Produktion übernimmt den aktuellen Status Quo. Ähnliches gilt für die visuelle Umsetzung. Auf dem Coverbild zu "Tough Love" schaut sie nachdenklich aus einem Fenster über Manhattan. Es ist schwarz-weiß gehalten.
    Ich versuche Sachen zu machen, die sich nicht zu augenblicklich anfühlen. Ich wollte mit der Ästhetik erreichen, dass es ein Foto aus den 80ern hätte sein können, wenn nicht sogar aus den 50ern, 90ern oder den kommenden Jahren.
    Das neue Jessie Ware Album besitzt nicht die prickelnde Sexyness des Debütalbums, auf dem sie das Spiel zwischen Verlangen und Verlieren perfekt in Szene gesetzt hat. Dieses Mal heißt es: weniger Jessie Ware, mehr BenZel. Das Produzentenduo hat sich mit seiner Arbeit heimlich in den Vordergrund gedrängt. Dabei hätte "Tough Love" mehr musikalische Reibung gut getan.
    Bei diesem Album wollte ich, dass die Songs in den Wohnzimmern, Autos und in der U-Bahn atmen können. Ruhe von außen ist dabei unnötig. Es soll nicht anstrengend sein, meine Stücke zu hören.