Mittwoch, 01. Mai 2024

Archiv

Tour de France
Der Fluchtgruppenkiller mit der roten Laterne

Cheng Ji ist der erste chinesische Radprofi bei der Tour der France. Der 27-Jährige wurde einst aus Marketinggründen geholt und soll Sponsor Shimano helfen, den asiatischen Werbemarkt zu erobern. Mittlerweile macht er auch sportlich Schlagzeilen.

Von Tom Mustroph | 19.07.2014
    Der chinesische Radsportprofi Cheng Ji bei einer Etappe der Tour de France 2014
    Der chinesische Radsportprofi Cheng Ji bei der Tour de France 2014 (picture alliance / dpa / Nicolas Bouvy)
    Cheng Ji schreibt Radsportgeschichte. Nicht nur, weil er als erster Chinese an der Tour de France teilnimmt und dort zuverlässige Arbeit als Helfer des dreifachen Etappensiegers Marcel Kittel verrichtet. Er hat gegenwärtig auch die symbolische rote Laterne inne. Sie wird traditionell dem Letzten des Klassements verliehen. Cheng Ji weiß um diese Bedeutung. "Ja, ich habe von meinen Mannschaftskameraden davon erfahren."
    Und er hat sie durchaus auf seiner Agenda. "Ich weiß noch nicht genau. Ich werde es leicht nehmen. Ich werde Energien sparen, wenn es nötig ist, wenn sie mich brauchen."
    "Rote Laterne" - das löste in der Radsportpresse gleich Assoziationen aus: Zum "Roten Buch" von Mao Zedong etwa oder zum Film "Die rote Laterne". Dort rebelliert eine junge Frau gegen Machtsysteme. Solch ein Aufmüpfiger ist Cheng Ji aber nicht. Er sieht sich vielmehr als einen Radsportsoldaten, der immer im Dienst ist. Und er ist der Einzige, der von neun asiatischen Talenten übrig geblieben ist, die einmal versuchten im Profizirkus Fuß zu fassen.
    Begonnen hat alles im Jahr 2008. Da rekrutierte das holländische Team Skil Shimano auf Betreiben seines japanischen Sponsors die hoffnungsvollen asiatischen Talente.
    "Da war unserem Sponsor Shimano auch der asiatische Markt sehr wichtig. Und auch Cheng war einer dieser asiatischen Fahrer", erzählt Marc Reef, sportlicher Leiter des Rennstalls. Ganz einfach war dieses Entwicklungsprojekt asiatischer Radprofis aber nicht. "Es war dann so, dass jedes Jahr ein, zwei von den Jungs rausflogen, weil sie nicht gut genug waren. Er war dann der, der übrig blieb und das beste Niveau hatte."
    Zu Anfang noch ein Fliegengewicht
    Für Cheng Ji begann das Radsportabenteuer bereits 2002. Da empfahl ihm sein Trainer, von der Leichtathletik doch zum Radsport zu wechseln. Keine leichte Angelegenheit.
    "Am Anfang war ich sehr dünn. Ich kam ja vom Laufen. Ich wog nur 52 kg. Mein Trainer sagte: 'Du bist so dünn. Für den Radsport ist es vielleicht besser, du fängst auf der Bahn an und machst etwas Krafttraining, damit du die Muskeln ausbildest, um das Rad beherrschen zu können."
    Etwas Krafttraining war leicht untertrieben. Zweieinhalb bis drei Jahre dauerte das Aufbautraining. Und ein weiteres Problem kam hinzu.
    Als Cheng Ji anfing, gab es in ganz China nur zwei Radrennen pro Jahr auf der Straße und zwei auf der Bahn.
    "Wenn du an diesem einen Tag nicht gut in Form bist oder verlierst, dann musst du bis zum nächsten Jahr warten. Jeden Tag hartes Training, nur um sich auf zwei Rennen vorzubereiten. Wenn du die nicht gewinnst, dann ist das wirklich Mist."
    Kein eigenes Rad
    Noch eine Schwierigkeit hatte Cheng Ji zu überwinden. In seinem Sportklub hatte nicht einmal jeder ein eigenes Fahrrad. Das bedeutete: Vor jedem Training mussten Sattel- und Lenkerpositionen neu eingestellt werden. Nach Hause nehmen konnte ohnehin niemand das Rad.
    Das alles mag Cheng Ji hart gemacht haben. Als er 2012 mit der Spanienrundfahrt sein erstes großes Rennen bestritt, verdiente er sich sofort den Kampfnamen "Fluchtgruppenkiller".
    "Als ich das erste Mal den Namen hörte, war ich überrascht und auch glücklich. Jetzt kommt aber auch der Druck, den Namen auch weiter zu behalten. Alle nennen mich jetzt Breakaway-Killer, im Team und im Peloton. Nun arbeite ich daran."
    Seine Aufgabe ist, die Ausreißergruppen einzuholen, damit sein Chef Marcel Kittel die Chance auf einen Sieg im Massensprint hat.
    Der junge Sportler, der einst aus Marketinggründen auserwählt wurde, hat nun auch seinen Platz im Sport gefunden. Für ihn persönlich ist dies eine großartige Geschichte.
    Die anderen Asiaten, die zu Werbezwecken einst nach Europa geholt und dann aussortiert wurden, können Cheng Ji nur noch aus der Ferne zuschauen. Das chinesische Fernsehen überträgt die Tour erstmals live.