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Tour de France der Häftlinge

Rund 200 Häftlinge nehmen bei der diesjährigen "Tour de France Penitentiaire" teil. Ihr Ziel: Ehre und Selbstbewusstsein. Mit dem Projekt wollen die Behörden die Sträflinge resozialisieren - und ihnen ein Stückchen Freiheit gönnen.

Von Burkhard Birke |
    "Wir trainieren schon eine Weile, haben schon 400 Kilometer absolviert - später denken wir dann an die Etappen."

    Auf dem Hometrainer tritt dieser Häftling aus Lille in die Pedale. Auch draußen durfte er schon radeln für die Tour de France Penitentiaire, die Radrundfahrt für Insassen und Bedienstete von Haftanstalten.

    "Die Häftlinge wollen stolz sein, stolz darauf einen Augenblick Anerkennung zu bekommen, sie wollen sich selbst und den anderen etwas beweisen","

    ... meint Jean-Paul Chapu. Diese Version der Tour de France war die Idee des Direktors der Haftanstalt Lille. Vor zwei Jahren organisierte er eine kleine Tour in seinem Haftverwaltungsbezirk im Norden. Dieses Jahr geht es vom 4. bis 19. Juni auf 14 Etappen 2200 Kilometer durch sämtliche Gefängnisverwaltungsregionen: Sogar auf Korsika wird geradelt. 500 Fahrer gehen an den Start, darunter 200 Insassen, keine ganz schweren Jungs, aber ein halbes Dutzend Frauen und Minderjährige aus 62 Anstalten. Nur sechs besonders fitte und auserwählte Sträflinge fahren die ganze Strecke.

    Hat die Gefängnisverwaltung doch Angst, einige könnten während der Hotelübernachtungen auf dumme Gedanken kommen? Die sind doch schon längst entkommen - meint Jean Paul Chapu - durch Training und diesen Freigang - den man wohl eigentlich Freiradeln nennen müsste!
    Die meisten Häftlinge werden zwar nur eine oder zwei der bis zu 220 Kilometer langen Einzeletappen absolvieren, aber:
    ""Wir wollen uns selbst beweisen, dass wir Erfolg haben können, wenn wir uns dahinterklemmen, wir wollen den anderen auch zeigen, dass wir die Probleme der Haft hinter uns lassen und ans Ziel kommen."

    Ein paar Etappen oder gar eine ganze Tour Frischluft: Das ist in der Tat eine willkommene Abwechslung. Frankreichs Gefängnis sind nämlich mit 60.000 Insassen hoffnungslos überfüllt und die Zustände alles andere als einladend.

    Nicht von ungefähr gab es unlängst heftige Proteste der Gefängniswärter. Auch um das Klima zwischen Wärtern und Insassen zu entspannen radeln sie jetzt gemeinsam: rein rechnerisch kommen eineinhalb Begleiter auf einen Häftling.

    Das sei nicht die Angst vor Ausbrüchen, heißt es offiziell natürlich! Auch wenn Radfahren ein Individualsport ist, geht es doch um den Teamgeist. Wie bei der offiziellen Tour wird das Feld um jeden Preis versuchen, Ausreißer wieder einzufangen. Jean-Paul Chapu:

    "Die Häftlinge haben gesehen, dass es besser ist, sich an das Hinterrad eines anderen zu klemmen. Wenn man allein vielleicht 25 km pro Stunde schafft, packt man 30 im Feld. Und wenn man zu 20 oder 30 am Ziel einfährt, ist das anders als wenn man allein ankommt. Deshalb ist das auch ein Lernprozess, eine Resozialisierung!"

    Dabei versucht doch bei der echten Tour jeder auszureißen, um allein und als erster durchs Ziel zu radeln. Das ist wohl der kleine Unterschied zur Häftlingstour, die circa 350.000 Euro kostet, deren Großteil fünf private Sponsoren übernehmen. Um Dopingskandale brauchen die sich bei dieser Tour wohl nicht sorgen: Die Häftlinge dürften nur geringe Lust verspüren, erneut straffällig zu werden und länger einzusitzen. Strafminderung für den Sieger, dieser Wunschtraum geht freilich auch nicht in Erfüllung: Offiziell geht es nur um Resozialisierung und um die Ehre!