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Tourismusforschung
Eine kleine Kulturgeschichte des Urlaubs

Urlaub - das bedeutet, die Erlaubnis, sich für eine gewisse Zeit aus dem Arbeitsalltag, aus der heimischen Umgebung, aus gesellschaftlichen Konventionen zu entfernen. Urlaub ist ein wichtiger Aspekt der Tourismusforschung und ein Stück Kulturgeschichte: mal Horizonterweiterung, mal Kulturschock.

Von Andrea und Justin Westhoff | 15.08.2019
Liegen und Sonnenschirme stehen für Touristen am Anthony Quinn Bay auf Rhodos bereit.
Ob am Meer, in den Bergen oder in der Stadt: Urlaub bedeutet für viele eine Auszeit (imago images / Westend61)
Hinweis: Die Erstausstrahlung dieses Beitrags war am 05.07.2018.
"Keine Termine haben, einfach in den Tag rein leben, ein gutes Buch lesen."
"Mit der Familie Zeit verbringen."
"Urlaub heißt ja: 'raus aus dem Alltag."
"Sonne, Strand und glasklares Wasser."
"Urlaub kommt von erlauben: 
Man erlaubt sich zu träumen, 
und man träumt von dem, was man sich erlauben kann", schreibt der Aphoristiker Gerhard Uhlenbruck.
"Ich war noch nie im Urlaub."
"Ich bin Rentner, wir fahren nicht mehr in Urlaub."
Tatsächlich gab es Urlaub ursprünglich nur für denjenigen, der "in Diensten" stand. Es war die "Erlaubnis", sich für eine gewisse Zeit zu entfernen: von der Truppe, vom Fürsten- oder Königshof – um Geschäfte zu erledigen oder Familienangelegenheiten zu regeln. Einfach mal "Freizeit" haben zu wollen, war kein akzeptabler Grund.
"Das schönste Beispiel ist Goethe, der Angst hatte, sein Herzog würde ihn nicht nach Italien lassen, und dann heimlich bei einer Kur, um sechs Uhr morgens, wie er schreibt, hat er sich davon geschlichen, weil er immer Angst hatte, er würde zurückbeordert."
Der Urlaub im heutigen Sinne, als "bezahlte Freizeit zum Zwecke der Erholung", ist eine europäische Erfindung aus der Zeit der Industrialisierung. Dabei spielten die Beamten eine entscheidende Rolle, erzählt der Leiter des Historischen Archivs zum Tourismus der TU Berlin, Professor Hasso Spode.
"So um 1850 fing diese Mode an, da sind die zu einem Arzt gegangen, haben sich ein Attest besorgt und gesagt, oh, wir sind krank, wir müssen uns irgendwie erholen. Und sind aufgrund dieses Attestes dann eben in den Urlaub gefahren."
Nur Geistesarbeiter brauchen Erholung
Es ging um die "Regeneration der Arbeitskraft" - aber an die Masse der Fabrikarbeiter dachte noch niemand, fügt der Historiker Spode hinzu: "Die Welt im Kaiserreich war eben eine Klassengesellschaft, und die war strikt getrennt in die Leute, die mit der Hand arbeiteten, die den blauen Kragen trugen, und die, die irgendwie geistig arbeiteten, das waren die mit dem weißen Kragen; der argumentative Trick war, dass eigentlich nur der Geistesarbeiter an der Auszehrung der Kräfte leidet, dessen Nerven werden irgendwie zerrüttet, es gab extra eine Krankheit, die heute verschwunden ist, die hieß Neurasthenie, und die könne man eben durch Erholung im Urlaub heilen. Arbeiter, deren Beschäftigung ist ja eigentlich eine ganz gesunde, die sind ja draußen an der frischen Luft oder in dieser schönen Fabrik, die hätten das nicht nötig."
Am Ende des Kaiserreichs, 1914, hatten dann alle Beamten und die meisten Angestellten einen Anspruch auf bezahlte Erholungszeit, je nach Platz in der Hierarchie von drei Tagen bis zu sechs Wochen. Für Arbeiter gab es so gut wie keinen Urlaub. Wenn, dann nicht von den Gewerkschaften erstritten. Nur ein paar philanthropische Unternehmer haben ihn als eine Art Bonus gewährt.
"Das war an erster Stelle Carl Zeiss in Jena, es war die Schultheiss-Brauerei in Berlin, und es war das grafische Gewerbe", sagt Hasso Spode. Und erst in der Weimarer Republik gab es für die Mehrheit der Arbeitnehmer tarifliche Urlaubsregelungen, aber oft auch nur auf dem Papier: "Also erstens war der sehr kurz, der bemaß sich nämlich nach der Dauer der Betriebszugehörigkeit, zweitens weiß ja jeder, dass die Weimarer Republik eine Zeit ständiger Wirtschaftskrisen gewesen ist, also das Geld war extrem knapp. Was haben die dann gemacht? Die haben sich das auszahlen lassen und haben dann für diese Zeit doppelten Lohn bekommen."
"Ich bin dann mal weg"
Nach 1945 wird schließlich gesetzlich festgelegt, dass jedem Arbeitnehmer zuerst zwei, seit den 60er Jahren drei Wochen Urlaub pro Jahr zustehen. Und das haben die Deutschen dann schnell wörtlich genommen, wie Umfragen zeigen, als "Erlaubnis, sich zu entfernen":
"An die Ostsee / Nach Russland / Es wird 'ne Rundreise / In London Stadturlaub / Mit dem Schiff nach Norwegen / Ausflug in die Natur / Balkonien/ Irgendwo am Wasser mit viel Sonne."
Urlaub machen, bedeutet heute für die Meisten: reisen. Historisch war das anders. Wer früher sein Zuhause verließ, ging auf die Walz oder auf Pilgerfahrt, um etwas zu entdecken oder um sich Bildung anzueignen. Erst seit dem 18. Jahrhundert gibt es den "Tourismus", das Reisen einfach als Freizeitvergnügen.
Es entstehen die ersten Seebäder und Kurorte. Die ermöglichen den Oberschichten auch eine Auszeit von den strengen gesellschaftlichen Regeln – mit Glücksspiel, Pferderennen, frivolen Bekanntschaften. Andererseits wird beim Baden streng auf Anstand und Sitte geachtet: Neben züchtiger Kleidung sollen Badehütten und Strandzelte die Urlauber vor fremden Blicken schützen. Seit 1882 sieht man die berühmten Strandkörbe an Ost- und Nordsee.
"Fontane sagt: 'Alle Welt reist'. Unter "alle Welt" versteht er natürlich nur seine eigenen Schichten. Manche fuhren ein, zwei Wochen an die Ostsee, oder von Hamburg aus nach Cuxhaven", sagt der Historiker und Soziologe Hasso Spode. "Aber innerhalb dieser Elite gab es noch eine Elite, die konnten schon die irresten Fernreisen machen. Also die so genannten Nordlandfahrten, mit dem Schiff bis Spitzbergen und Grönland sind die gefahren."
Thomas Cook: Urlaubsreisen für die Massen
Mitte des 19. Jahrhunderts beginnt dann der "Pauschaltourismus" – die Eisenbahn-Erfindung machts möglich. Nicht der erste und einzige, aber der berühmteste Organisator war der Engländer Thomas Cook, sagt Hasso Spode:
"Die Eisenbahngesellschaften haben natürlich gesagt, wenn ihr uns den Zug hier voll macht, dann kriegt ihr dafür einen Rabatt. Und dadurch konnte er diese Reisen billiger anbieten, wenn da auf einen Schlag 500 bis tausend Leute ans Meer fuhren. Und da, muss man sagen, stand auch eine philanthropische Idee dahinter, er wollte die Arbeiter aus den Mietkasernen und vor allen Dingen aus den Kneipen – er war ein ganz strikter Antialkoholiker – ins Grüne holen, damit sie sich da erholen, da hat Thomas Cook und andere Veranstalter sehr viel Wert drauf gelegt, die sprachen von vernünftiger Erholung, das sollte den Arbeitermassen damals schon – in England wohlgemerkt – zu Gute kommen, in Deutschland gab es so was in der Art nicht."
Aber auch hierzulande entwickelt sich seit Ende des 19. Jahrhunderts eine Art Sozialtourismus, getragen von Wohltätigkeitsvereinen, den "Naturfreunden" oder auch von Gewerkschaften: Sie organisieren für Arbeiter Wander- oder Radtouren und sogar Bildungsreisen, etwa zu den großen Weltausstellungen nach Paris oder London.
Auch die Nationalsozialisten erkennen schnell die politisch-ideologische Bedeutung des Urlaubs, wie ein Zitat von Adolf Hitler zeigt: "Ich will, dass dem Arbeiter ein ausreichender Urlaub gewährt wird, denn nur allein mit einem Volk, das seine Nerven behält, kann man wahrhaft große Politik machen." und Mitte der 30er Jahre berichtet eine "Wochenschau" stolz: "Auf der Insel Rügen entsteht das größte und schönste Seebad der Welt. Reichs-Organisationsleiter Dr. Ley besichtigt die Bauarbeiten für das KdF-Bad".
Mit der 1933 gegründeten Organisation "Kraft durch Freude" haben sie ein riesiges Tourismusunternehmen und gleichzeitig Kontrolle über die Freizeitgestaltung der Bürger, sagt der Leiter des Historischen Archivs zum Tourismus der TU Berlin, Hasso Spode: "Es waren über 43 Millionen Reisen, die die bis zum Kriegsbeginn 1939 veranstaltet hatten, davon waren allerdings nur gute sieben Millionen richtige Reisen, das meiste waren dann eher Wochenendfahrten, also es gab billige Touren, eine Woche im bayerischen Wald oder so, kriegte man für 16 Mark. Aber man konnte eben auch eine Woche nach Madeira fahren mit dem Kreuzfahrtschiff, das kostete dann schon 60, 80 Mark. Das konnten sich Arbeiter eigentlich nicht leisten."
"Bella Italia" und Spanien als "Teutonengrill"
Auch nach 1945 ist an Urlaub erstmal gar nicht zu denken, nur die Kinder werden in die Sommerferien geschickt, meist aufs Land. Aber mit dem Wirtschaftswunder boomt dann der Tourismus: "Dreieinhalb Millionen fuhren nach Italien. Wer das noch nicht gewusst hat, der sieht es hier: Das Automobil gehört für seine Besitzer schon sozusagen zur Familie. Das verhilft auch zu einem Platz an der Sonne", heißt es in einem Fernsehbericht.
Flugreisen dagegen waren nur etwas für ganz Reiche - so kam der Begriff "Jetset" auf.
Bis Ende der 60er-Jahre verdoppelt sich aber das durchschnittliche Einkommen, außerdem gibt es nun ein kleines Urlaubsgeld. Langsam entsteht der Massentourismus, sagt Dr. Sina Fabian, Historikerin und Kulturwissenschaftlerin an der HU Berlin: "Massentourismus ist dann eigentlich immer auf die Reiseart bezogen, man bucht das bei einem Reiseveranstalter und organisiert das eben nicht selbst."
Der Begriff wird zunehmend abwertend benutzt von Menschen aus höheren Bildungsschichten. Wichtige Bausteine sind: Die vielen neu entstehenden Reiseunternehmen und die Entwicklungen im Flugverkehr. "Durch die Düsenjets können jetzt viel mehr Leute mitfliegen, dadurch wird das wesentlich billiger, und der zweite Aspekt ist: Da werden tatsächlich durch die Reiseveranstalter diese Orte aufgebaut, die dann eben auch diese ganzen Orte eigentlich reservierten, für den ganzen Urlaub."
Das passiert vor allem an der spanischen Mittelmeer-Küste und auf Mallorca, spöttisch "Teutonengrill" genannt. Denn die bis 1975 herrschende Franco-Diktatur rollt den Reiseveranstaltern einen roten Teppich aus, um Devisen zu bekommen. Die riesigen Hotelkomplexe und die fließbandartige Urlaubsorganisation sind allerdings auch genau das, was Pauschaltouristen ab den 60er Jahren erwarten, sagt Sina Fabian: "Gerade immer, wenn man ins Ausland fuhr und man sich nicht auskannte, dann war das so diese Garantie dafür, dass es eben auf der einen Seite bezahlbar ist und auf der anderen Seite wirklich auch funktioniert." Denn Urlaub macht der durchschnittliche deutsche Arbeitnehmer in dieser Zeit nur einmal im Jahr.
DDR - Urlaub mit und von dem Staat
Aus der DDR-Wochenschau "Der Augenzeuge": "Süßes Nichtstun am Rande des Salzwassers. Glückliche Menschen, die morgen schon wieder an ihren Arbeitsplatz zurückkehren, um mit neuer Kraft an unserem gemeinsamen Werk tätig zu sein."
In der DDR war Recht auf Urlaub 1949 in die Verfassung geschrieben worden, als "Erholungszeit" für die Werktätigen. Auch die verstanden darunter vor allem: reisen. Das war zwar für jedermann erschwinglich, die Ortsauswahl aber beschränkt. Der schon 1947 gegründete "Feriendienst des Freien Deutschen Gewerkschaftsbundes" hatte im ganzen Land die alten Kur- und Ferienanlagen verstaatlicht und neue riesige Urlaubsheime errichten lassen. Die "Wochenschau" berichtet: "Besuchen wir Heringsdorf. Ferienparadies für tausende von Werktätigen, der Feriendienst des FDGB hat über 240.000 Ostseeplätze belegt."
So konnte der Staat auch im Urlaub ein Auge auf seine Bürger haben, was von den Meisten so aber gar nicht empfunden wurde, sagt Dr. Stefan Wolle, wissenschaftlicher Leiter des DDR-Museums in Berlin: "Es war schon eingebettet in bestimmte Regularien, also man musste zu den Essenszeiten anwesend sein, wenn man was bekommen wollte, es wurden da auch einige kulturelle Veranstaltungen gemacht, aber da konnte man hingehen oder es bleiben lassen. Die waren in der Regel auch nicht allzu politisch. Eine wirkliche gesellschaftliche Kontrolle fand da nicht mehr oder weniger statt als 365 Tage im Jahr."
Es konnte allerdings vorkommen, dass man neben seinem Brigadeleiter am Strand lag oder mit dem Vorarbeiter am Abendbrottisch saß. Außerdem gab es wenig andere Möglichkeiten, Urlaub zu machen in der DDR, sagt der Historiker Wolle:
"Ein Großteil der privaten Pensionen sind in den 50er Jahren enteignet und verstaatlicht und dann dem FDGB übertragen worden, und die, die noch übrig geblieben waren, waren natürlich sehr begehrt. Und dann gab es so Zimmervermietungen, an der Ostsee haben das Manche auch ausgenutzt, und wirklich die schäbigsten Buden noch vermietet, also das gab es auch noch."
Nudeln mit karamellisierten Tomaten, Knoblauch und Basilikum auf einem Teller, fotografiert am 11.08.2013 in Berlin.
Spaghetti: "Die Dinger sind entsetzlich lang, aber bitte, legen Sie das Messer weg", schreibt der Baedeker von 1955. (picture alliance / dpa / Jens Kalaene )
Viele Ostdeutsche machten deshalb Camping, obwohl die Vorschriften hier streng waren: Aus Angst vor Republikflucht durften etwa die Ostseestrände ab 20:00 Uhr nicht mehr betreten werden. Gehalten hat sich allerdings kaum jemand daran. Es gab auch Fernreisen – in die "sozialistischen Bruderländer". Am Schwarzen Meer oder am Plattensee, in Warschau oder Prag konnte man sogar Westverwandte oder -freunde treffen.
"Reisefreiheit" wurde zum Wort des Jahres 1989. Sie wurde auch wörtlich genommen, ein Startsignal für eine, vielleicht die einzig vollkommene, Ost-West-Angleichung. "Mein Eindruck ist, da haben sich die DDR-Leute sehr schnell assimiliert, und wollten sehr schnell eben auch nach Kreta, Zypern, Algarve, Sonnenküste in Spanien, Türkei jetzt viel fahren", sagt der Historiker Stefan Wolle. Aber ein bisschen verlorengegangen sei vielleicht das typische Urlaubsgefühl der DDR-Bürger:
"Das bedurfte ja damals monatelanger Vorbereitung, deswegen war es auch mehr etwas Besonderes, man hat sich vielleicht auch mehr darauf gefreut, und obwohl die sozialistischen Länder eine ökonomische und politische Einheit bildeten, waren doch die Unterschiedlichkeiten größer, als sie heute sind."
"Land und Leute kennenlernen"
Urlaub bedeutet erlaubte Entfernung vom Alltag, "Tapetenwechsel", die Begegnung mit dem Fremden, etwa beim Spaghettiessen. "Die Dinger sind entsetzlich lang – aber bitte, legen Sie das Messer weg! Wir wollen nicht auffallen", schreibt der Baedeker von 1955.
"Land und Leute kennenlernen", das ist in Umfragen über Jahrzehnte immer ein wichtiger Reiseaspekt für Deutsche. Aber stimmt das wirklich? Fernreisen bedeuten damals oft einen "Kulturschock": das ungewohnte Klima, die Hygieneverhältnisse – und das Essen.
"Was man immer wieder in den Reiseberichten liest, ist dieser Schock, wenn die Reisenden zum ersten Mal Knoblauch oder Olivenöl probieren", erzählt Sina Fabian. Sie hat die Anfänge des Massentourismus untersucht: "Am Anfang ist es tatsächlich so, noch bis in die 70er Jahre, dass erstmal das "in der Fremde sein" auch trotzdem immer noch bedeuten sollte, man hat aber noch das Bekannte dabei, dass man da immer sicher gehen konnte, man hat dann eigentlich trotzdem noch das Essen, das man kennt."
Die deutschen Urlauber tragen ihren Filterkaffee über die Alpen. Und besonders in Spanien passen sich viele Urlaubsregionen ihren Bedürfnissen an: Sie servieren deutsches Bier und Bratwurst in Gaststätten, die etwa "Bei Heinz" heißen.
Sina Fabian: "Und dann sieht man aber in den 70er Jahren eine Verschiebung, dass plötzlich doch auch so landestypische Spezialitäten in den Prospekten vorkommen. Wo eben vorher der deutsche Filterkaffee und Wurst und Käse zum Frühstück beworben wurden, wird plötzlich die Paella und Sangria beworben. "
Die exotischen Speisen werden schließlich auch in Deutschland heimisch. Das gilt allerdings nicht für die Menschen aus fernen Ländern: Reisen macht nicht generell weltoffener. Man will das Fremde in der Fremde genießen, nicht bei sich zuhause haben. Meist lernen Urlauber auch gar nicht wirklich Land und Leuten kennen, sagt die Historikerin Sina Fabian:
"Tatsächlich muss es immer eine Art von touristifizierter Version des Fremden sein. Man hat einen vermeintlich ganz traditionell typischen spanischen, griechischen, italienischen Abend verbracht, in dem es dann ganz viel gegrilltes Fleisch gibt, ganz viel Alkohol, und dann tritt noch 'ne Flamenco-Tanzgruppe auf. Also es musste schon immer an die Erwartungen, die man hatte, angepasst sein."
Doch: Was heißt schon "echt"? meint der Soziologe und Tourismusforscher Hasso Spode: "Das ist die klassische Kritik der bürgerlichen Reisenden an den "blöden Touristenmassen". Die fallen darauf rein, ihnen wird irgendetwas für echt vorgegaukelt, und die konsumieren das dann auch noch. Ich bin da sehr, sehr skeptisch. Der Echtheitsbegriff, das ist überwiegend eine Zuschreibung, erstens. Zweitens ist das eine Idee, viel älter als der Tourismus. Denken Sie an die Reliquien. So ein bisschen Staub von der Erde, wo Jesus lang gelaufen ist, zu besitzen oder zu berühren – natürlich ist das eine konstruierte Echtheit."
Das gilt zum Beispiel auch für "die archaische Lebensweise der stolzen Massai" in Kenia, die den gebildeten Mittelschichtlern vorgeführt wird. Niemand will im Urlaub das wirkliche Leben der Anderen kennenlernen, sagt Spode: "Das ganze Schreckliche, was es in diesen Ländern so gibt. Also viele fahren ja nach Dubai, aber die möchten bitte nicht sehen, wie die Hausfrauen ihre philippinischen Sklaven prügeln, das wollen sie ja gar nicht wissen.
Urlaub – Alles ist erlaubt?
"Der Tourist zerstört, was er sucht, in dem Moment, wo er es findet", schreibt Hans Magnus Enzensberger schon 1957. Urlaub ist ein Kulturphänomen mit langer Geschichte – seit eh und je auch kritisch beäugt, sagt die Historikerin Dr. Sina Fabian von der HU Berlin: "Genau die gleichen Kritikpunkte eigentlich wie in den 1970er Jahren gab es schon 1830. Also da wurde auch schon von Massen, von Horden, die jetzt in Urlaub fahren, gesprochen. "
Inzwischen aber haben der Tourismus und seine Probleme ganz neue Dimensionen erreicht: Klassische Urlaubsländer wie Griechenland, Frankreich, Portugal oder Spanien werden jährlich von mehr Fremden besucht, als sie Einwohner haben, ganze Dörfer werden zu "Menschenzoos", Touristeneinrichtungen verdrängen die einheimische Bevölkerung, die Umwelt nimmt irreparabel Schaden.
"Malle nur einmal im Jahr, Ole, Ole, Ole", grölen die "Ballermann-Touristen". "Das ist die Stimmung hier, das Freibier, die Leute, das ist einfach super."
Alles scheint erlaubt im Urlaub: Selbst passionierte Anzugträger ziehen beim ersten Sonnenstrahl fast blank und müssen durch Schilder an Kirchenportalen daran erinnert werden, sich "dem Ort angemessen zu bedecken". Tourismusforscher Hasso Spode meint, eine Art Urlaubs-Leitkultur wäre vielleicht nicht schlecht:
"Es gab in den fünfziger Jahren eine Riesendebatte, die ging bis in den Bundestag hinein, ob man nicht in den Schulen Tourismusunterricht machen sollte, weil jeder Deutsche – und das ist gar nicht so falsch gedacht – ist gleichzeitig ein Botschafter des Landes, wenn er im Ausland sich bewegt."