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Touristen als Vandalen

In Italien bereitet der Diebstahl antiker Fundstücke den Behörden inzwischen enorme Probleme. Dabei nehmen Touristen nicht nur mit, was sie finden. Um an ein Souvenir zu kommen, werden sie gern auch selbst aktiv.

Von Thomas Migge |
    Der Reiseführer begleitet die Touristen aus Tokio in den, wie er ihn nennt, Rotlichtdistrikt der antiken Stadt Pompeji und verweist auf Fresken mit phallischen Symbolen. Beschädigte Darstellungen. Man sieht deutlich, dass kleine und kleinste Stücke der Fresken mit Gewalt aus der Wand entfernt wurden.

    Das Klauen antiker Fundstücke ist keine Schwierigkeit in Pompeji. Die meisten der in den ausgegrabenen Villen befindlichen Wandmalereien und Fresken sind relativ ungeschützt. Nur in den seltensten Fällen befinden sie sich hinter Plexiglas. Wo das nicht der Fall ist, reicht es aus, einen niedrigen hölzernen Zaun zu übersteigen, und schon kann man, zum Beispiel mit einer Nagelfeile, Fresken- und auch Mosaikstücke von der porösen Wandoberfläche abtrennen.

    Salvatore Settis, Kunsthistoriker an der Universität Pisa und bis vor wenigen Monaten Berater des italienischen Kulturministers, fordert einen besseren Schutz:

    "Man müsste eine ganz Reihe von Vorsichtsmaßnahmen treffen, für die die archäologischen Behörden aber kein Geld haben. Und so wird massenweise geklaut. Das ist kein echter Kunstdiebstahl durch Banden, die mit Kunsthändlern zusammenarbeiten, sondern eine Form von Vandalismus, der in Italien seit einiger Zeit immer öfter anzutreffen ist. Die Leute nehmen einfach Sachen mit, bröckeln ab und sind sich gar nicht bewusst, was sie da anrichten. Unsere Kunstgüter werden nicht ausreichend kontrolliert."
    Italiens Medien sprechen bereit vom Phänomen der "Vandali dell'arte", der zu deutsch Kunstwandalen. Italiens Kunstpolizei, mit Sitz in Rom, ist aufgrund eigener Ermittlungen davon überzeugt, dass diese Delikte seit einigen Jahren zugenommen haben, um rund 400 Prozent.

    Ermittelt wird immer öfter gegen einfache Bürger, Italiener und auch Touristen, die beim Besuch von Museen, Kirchen und archäologischen Grabungsstätten kleine Dinge mitgehen lassen, als Souvenir gewissermaßen. Diesen Leuten gehe es nicht um Kunstdiebstahl, weiß der römische Kunsthistoriker Claudio Strinati:

    "Die Ermittlungen ergaben, dass sie keine großen Stücke mitgehen lassen wollen, sondern nur kleine Erinnerungen an ihren Besuch eines kunsthistorisch wichtigen Ortes. Dadurch wird langsam aber sicher vieles zerstört. Darunter auch die Mosaiken des romanischen Domes im sizilianischen Monreale. Mit Gold bedeckte Mosaiksteine, die massenweise verschwinden. Wie denen das immer wieder gelingt, ist unklar."

    Zugenommen hat in Italien auch der pure Vandalismus, die reine Lust am Beschädigen. Immer mehr historische Gebäude werden durch Aufschriften mit Hilfe von Sprühdosen verunstaltet. Diese Graffiti müssen zeit- und kostenaufwendig entfernt werden. Der Polizei zufolge hat diese Form der Beschädigung historischer Gebäudefassaden in den letzten fünf Jahren um 300 Prozent zugenommen.

    Auf dem historischen Friedhof von Genua mit zahllosen alten Grabmälern werden fast jeden Tag Skulpturen geköpft. In Rom schlugen Unbekannte den Büsten auf dem Pinciohügel, die die Helden der nationalen Staatseinigung, des Risorgimento, darstellen, die Nasen ab. Bronzeskulpturen von Botero, die im Mailänder Zentrum stehen, wurden mit Stahlstangen oder ähnlichen Gegenständen beschädigt.

    Ein für Italien neues Phänomen sind antiklerikale Graffitti auf den Außenwänden von Kirchen, fast immer Bauten aus Renaissance und Barock. Seit auch in Italien immer öfter Fälle pädophiler Geistlicher bekannt werden, nutzt man wichtige Sakralbauten als Sprühfläche.

    Angela Mazzolini von der römischen Behörde für Kulturgüter:

    "Man hat den Eindruck, dass hier in Italien immer mehr Menschen ganz bewusst historische Bauten für ihre Protestgraffiti benutzen, um auf sich aufmerksam zu machen. Das heißt: Immer mehr Italiener scheinen den Wert ihrer Geschichte und ihrer Kunst nicht mehr zu begreifen, sonst würde es diesen Vandalismus ja nicht geben."