Dass der Towutisee etwas ganz Besonderes ist, fiel Forschern schon im 19. Jahrhundert auf. Statt Algen wachsen darin Bakterienmatten, über die sich bizarre Schnecken hermachen und winzige, bunte Süßwassergarnelen. Die Fische sind nicht weniger bunt, aber höchstens fingerlang. Der Grund: Das Ökosystem ist extrem nährstoffarm, erklärt Jens Kallmeyer vom Geoforschungszentrum Potsdam.
"Der See ist umringt vom primären Regenwald, und der Regenwald geht bis an die Wasserkante heran. Das heißt, wir haben einen Eintrag von organischem Material, aber nur als Holz oder Blätter."
Auffallend geringe Phosphatgehalte
Außerdem wächst dieser Urwald auf einem extrem eisenreichen Gestein, das im Tropenklima zu Laterit verwittert, einem Boden, der durch Eisenoxid - also Rost - dunkelrot gefärbt ist. Und die eisenoxidhaltigen Minerale schwemmt der Regen in den See:
"Diese Eisenoxide sind die allerbesten Phosphatfänger, die wir eigentlich kennen. Das wird in der Trinkwasserindustrie eingesetzt. Wenn man hohe Phosphatgehalte hat, wird das Wasser über Eisenoxide verrieselt und das Phosphat wird dann gebunden. Das passiert in diesem See. D.h. im See selber, im Wasser, haben wir mit die geringsten Phosphatgehalte, die irgendwo auf der Erde zu finden sind in einem Wasserkörper."
Phosphat ist jedoch ein essenzieller Nährstoff: Im Towutisee können deshalb nur absolute Spezialisten überleben. Jens Kallmeyer interessiert sich nun für die Frage, wie sich solche extremen Bedingungen auf die geochemischen und biologischen Abläufe im Wasser und im Sediment auswirken.
"Der See ist also maximal 200-und-ein-paar-Meter tief, und ungefähr bei 120 m wird der See anoxisch. Im oberen Bereich haben wir natürlich Sauerstoff, aber unter dieser Tiefe hat er es nicht. Es sieht danach aus - von den Daten, die wir haben aus der Wassersäule -, dass wir direkt an der Stelle, wo Sauerstoff verschwindet, dass wir direkt darunter einen Anstieg der Produktivität in der Wassersäule sehen. Das heißt, dort finden wir plötzlich mehr Bakterien."
Denn wo der Sauerstoff verschwindet, wird das Eisenoxid chemisch reduziert und Phosphat wieder freigesetzt. Das macht das sauerstofflose Tiefenwasser und auch das Seesediment zum Paradies für Mikroorganismen.
Hohe Zelldichten wie im Schlickwatt
"Das ist das Irre. Wir haben Zelldichten, die entsprechen ungefähr dem, was man in einem wirklich sehr sehr organisch reichen Küstensediment finden würde, so ein Schlickwatt in der Nordsee. Wir waren halt völlig erstaunt über die wahnsinnig hohen Zellzahlen. Ich konnte die erst nicht glauben, als mein Doktorand mir die zeigte, ich habe gedacht, der hat sich verrechnet. Aber ich habe mich noch einmal selber hingesetzt, und die Rechnung stimmt."
Das war nicht die einzige Überraschung, die die Forscher bei der Auswertung ihrer Daten erlebten. So ist das Gestein, das den Towutisee umgibt, nicht nur extrem eisenreich, sondern auch extrem schwefelarm - und damit gilt das auch für das Wasser. Trotzdem ist im obersten Meter des Seesediments eine Gemeinschaft schwefelliebender Mikroorganismen höchst aktiv. Das bisschen Schwefel, das vorhanden ist, muss also ständig recycelt werden. Dabei ergänzen sich wahrscheinlich zwei Mikrobengemeinschaften: Das Abfallprodukt der einen ist die Energiequelle der anderen. Im Sediment steckt noch ein anderes Rätsel: Vivianit, ein Mineral aus Phosphat und Eisen, und zwar in mehrere Zentimeter großen Kristallen
"Nun haben wir einerseits ein System, das extremst phosphatlimitiert ist, andererseits finden wir phosphathaltige Minerale, in denen grammweise Phosphat gebunden ist."
Noch habe man keine Ahnung, wie diese Kristalle entstünden und warum sie sich in ganz bestimmten Lagen massiv anreicherten, erklärt Jens Kallmeyer. Und so hoffen die Forscher die Antworten auf ihre Fragen durch Metagenomanalysen zu finden – also die Analyse des gesamten Genoms der Mikroorganismen im Sediment. So wollen sie herausfinden, wie die Mikroben eigentlich leben.