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Toxische Männlichkeit
Die popkulturellen Wurzeln des Incel-Movements

Incels sind Männer, die keinen Erfolg bei Frauen haben und im Feminismus den Grund für ihre Einsamkeit sehen. Online hat sich diese Bewegung radikalisiert. Ihre Ursprünge stecken auch in popkulturellen Serien wie "Friends" oder "The Big Bang Theory".

Von Benjamin Weber | 24.08.2020
Mayim Bialik, Jim Parsons, Johnny Galecki und Kaley Cuoco (v.l.) in einer Szene der Sitcom "The Big Bang Theory".
Ausschnitt aus der Serie "The Big Bang Theory" (picture alliance / AP Photo / CBS / Darren Michaels)
Als im vergangenen Herbst die ersten Trailer für den Blockbuster "Joker" zu sehen waren, wurde sofort die Frage diskutiert: Ist "Joker" ein Incel? Verherrlicht diese Figur, dieser verbitterter Außenseiter, der weiße, einsame und von Frauen zurückgewiesene Mann eine Art gerechtfertigte Gewalt? In der Realität gingen diese Sorgen so weit, dass in vielen amerikanischen Kinos bei den Premieren Zivilpolizisten saßen, um Anschläge zu verhindern.
Ungewollt zölibatär lebende Männer radikalisieren sich
Denn: Der Frauenhass der Incel-Bewegung hat Menschenleben gefordert. 2014 zum Beispiel starben bei einem Incel-Anschlag in Santa Barbara, USA sechs Menschen, 2018 in Toronto wurden von einem bekennenden Incel zehn Menschen getötet. Und auch der antisemitische Attentäter von Halle ließ während seines livegestreamten Attentats ein frauenfeindliches Lied aus der Incel-Szene laufen.
Incels, das sind meist junge Männer zwischen 15 und 30, die keine romantischen oder sexuellen Beziehung zu Frauen haben. Sie sind unfreiwillig zölibatär, involuntary celibates, kurz: Incels. Sie organisieren sich online und suchen die Schuld für ihre Situation beim globalen Feminismus und hassen daher Frauen. Das sagt die Soziologin und Publizistin Veronika Kracher, die sich auf die Incel-Ideologie spezialisiert hat und Ende September das Buch "Incels - Geschichte, Sprache und Ideologie eines Online-Kults" veröffentlicht.
Attentäter von Halle und Santa Barbara Incel-Anhänger
"Es ist auf jeden Fall eine inhärente anti-feministische, frauenfeindliche, patriarchale Ideologie, weil sie ja davon ausgeht, aufgrund meines Geschlechts, aufgrund meines Phallus steht mir quasi die Herrschaft über eine Frau zu."
Das Internet und die Popkultur spielen bei der Radikalisierung eine große Rolle – nicht nur im Blockbuster "Joker". Die Reality Show "The Pickup-Artist" zum Beispiel lief Ende der Nuller Jahre auf VH1. Sexuell nicht erfolgreiche Männer versuchen mit Flirt-Techniken, Pick Up-Artists, also Verführungskünstler zu werden. Diese erlernbaren Techniken, so die Idee, muss man nur richtig anwenden, damit die als Zielobjekte bezeichneten Frauen sich quasi automatisch verführen lassen. Dass dieser frauenfeindliche Ansatz massenweise nicht zu dem gewünschten Ergebnis geführt hat, zeigt sich an dem Internetforum Pick Up Artist Hate, in dem Mitte der Nuller Jahre viele enttäuschte Männer zusammenfinden, sagt die Publizistin Veronika Kracher.
"Also anstatt zu der logischen Erkenntnis zu kommen, dass vielleicht das Problem diese Pick Up Artist-Techniken sind, kam dann der Gedanke auf, dass man selbst zu unattraktiv sei, dass diese Techniken bei einem selber wirken würden."
Popkultur spielt große Rolle bei Radikalisierung
Auch der Attentäter von Santa Barbara war bei Pick Up Artist Hate angemeldet, sagt Kracher. Von dort aus zog die Bewegung weiter zu Foren wie 4chan, wo sie noch heute einen starken Frauenhass pflegt. Für die Publizistin Veronika Kracher sind aber nicht nur die offensichtlichen Popkultur-Phänomene relevant.
"Ich glaube, eine große Rolle spielen aber auch generell so popkulturelle Tropen, die einfach suggerieren, dass man der Richtige für eine Frau sei, obwohl sie anfangs nein sagt. So klassische Beispiele dafür sind Serien wie "Friends" oder meine persönliche Hass-Serie "The Big Bang Theory". Das sind alles so popkulturelle Produktionen, in denen es darum geht, dass der männliche Protagonist das Projekt der Begierde hat, sie weiß das halt nicht, sie sagt anfangs nein, aber er lässt nicht locker, weil es ist ja seine Traumfrau, und das Narrativ gibt ihm Recht."
Die Darstellungen von männlichem Begehren, das ein mögliches Nein der Frau im Prinzip ignoriert, sind bei genauerem Hinsehen in der Popkultur in der Vergangenheit omnipräsent. Sie prägen eine weitverbreitete toxische Männlichkeit, in der Männer zum Beispiel nicht mit Frauen befreundet sein können, oder nicht über ihre Gefühle reden, und die überhaupt die Grundlage bildet für eine spätere Radikalisierung hin zum Incel.
Neue Serien zeigen vielschichtigeres Gesellschaftsbild
Aber es tut sich etwas, meint Veronika Kracher. Sie sagt: Viele aktuelle Serien wie beispielsweise "Adventure Time" zeigen ein viel diverseres und vielschichtigeres Gesellschaftsbild und damit auch eine andere Sicht auf Männlichkeit. Neue männliche Protagonisten wie in den Serien "Sex Education" oder "The End of the fucking world" sind keine Übermänner, sondern sie zeigen ihre Unsicherheiten, sie sprechen über ihre Gefühle und zeigen damit, dass auch nicht-toxische Männlichkeit möglich und erzählenswert ist.
Veronika Kracher: "Incels - Geschichte, Sprache und Ideologie eines Online-Kults"
Ventil-Verlag, 128 Seiten, 14 Euro