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Tracy Letts' "Wheeler" am Berliner Ensemble
Männer in der Midlife-Crisis

Das bekannteste Stück von Tracy Letts heißt "Eine Familie" und wurde unter dem Titel "Im August in Osage County" verfilmt. Letts erhielt dafür den Pulitzer-Preis. Sein neues Drama "Wheeler" feierte nun am Berliner Ensemble seine Deutsche Erstaufführung.

Von Barbara Behrendt | 03.12.2018
    Trang Le Hong und Felix Rech in "Wheeler" von Tracy Letts in der Regie von Oliver Reese am Berliner Ensemble.
    Trang Le Hong und Felix Rech in "Wheeler" von Tracy Letts in der Regie von Oliver Reese am Berliner Ensemble. (Matthias Horn)
    Wheeler hat nach der Trennung endlich eine Wohnung gefunden. Die Kartons stehen herum, ein Sofa, ein noch nicht angeschlossener Fernseher. Sein Freund Paul hat ihm beim Umzug geholfen, nun genehmigen sie sich ein Bier und führen ein Männergespräch, wie man sich das als Frau so vorstellt:
    Paul: "Hast du jemanden öfter gesehen?"
    Wheeler: "Nicht wirklich. Bis auf Anita auf der Arbeit."
    Paul: "Gehst du mit ihr aus?"
    Wheeler: "Wir waren ein paar Mal Mittagessen."
    Paul: "Sie hat riesige Brüste."
    Wheeler: "Ja, sehr große Brüste."
    Paul: "Gewaltige Brüste."
    Wheeler: "Suchen wir gerade verschiedene Begriffe für groß?"
    Paul: "Hast du sie schon mal gesehen?"
    Wheeler: "Paul, wir haben in der Mall Mittag gegessen. Im Lotus Express hat sie ihren Busen nicht rausgeholt."
    Paul: "Okay."
    Wheeler: "Es ist schwer. Schon mit ner Frau zusammen zu sein und mich mit ihr zu unterhalten. Was soll ich sagen, 'Hey, Lust auf Geschlechtsverkehr in der Garage meiner Frau?' Mein Sohn schaut morgens raus. Meine Scheidung ist auch noch im Gange."
    Narzisst voller Selbstmitleid
    Wheeler ist ein Amerikaner Anfang 50, der in der Blüte seiner Midlife-Crises steckt. In seiner Einsamkeit lässt er sich von seinen Freunden Jules vorstellen, eine schöne, empathische Frau, ein Glücksgriff. Sie werden ein Paar, doch Wheeler bleibt unzufrieden – so dass er sich Knall auf Fall von Jules trennt, als er die halb so alte Vietnamesin Minnie ins Bett kriegt, die bei ihm auf der Couch schläft, weil ihr Freund sie geschlagen und geschwängert hat. In sie verliebt er sich über beide Ohren, mit ihr will er das Baby großziehen – klar, dass daraus nichts wird.
    Wheeler soll einer von uns sein, der zeigt, wie schwierig die täglichen Lebensentscheidungen sind. Ein liebenswerter Misanthrop, wie man sie aus Romanen eines Nick Hornby kennt. Doch Tracy Letts zeigt oft bloß einen selbstmitleidigen Narzissten, der sich nicht um seinen Sohn kümmert und die Frauen nur als Erfüllungsgehilfinnen seines Glücks betrachtet. Als Wheeler Jules zurückgewinnen will, nachdem ihm Minnie den Laufpass gegeben hat, lässt sie sich nicht einwickeln.
    Jules: "Ich bin froh, dass du gekommen bist und dich entschuldigt hast. Ich fühl mich besser damit, weniger verrückt. Aber hör mir gut zu: Solange die Erde sich dreht, werde ich mich nicht mehr mit dir treffen. Ich werde mich nie wieder, nach allem, was ich über dich und über die Verwüstungen weiß, die du anrichtest, in eine solche Lage bringen."
    Zu attraktiv für die Midlife-Crisis
    Stephanie Eidt spielt Jules verletzlich und aufrecht. Es ist ganz einfach in diesem Wellmade-Play: Die Frauen sind die klügeren. Warum sie sich (und mit ihnen wir uns) mit Wheelers Selbstwertproblemen herumärgern müssen, wird in Oliver Reeses realistischer Inszenierung zum noch größeren Rätsel. Felix Rech spielt Wheeler als trotteligen Schluffi, der seine Hände kaum aus den Taschen seiner Strickjacke nimmt – eine glatte Fehlbesetzung, wirkt er mit seinen 41 doch noch jugendlich und viel zu attraktiv für die Midlife-Crisis der glatzköpfigen 50-Somethings.
    Die Drehbühne zeigt mal Jules’ Büro, mal eine Sportumkleide, mal einen Schnell-Imbiss. Reese inszeniert konventionell, verfehlt dabei aber oft die Pointen der eigentlich amüsanten Dialoge. Doch das Grundproblem liegt bereits im Text. Während Letts’ Erfolgsstück "Eine Familie" mit bitterbösem Humor brillierte, war das Nachfolgedrama "Eine Frau" ein berührendes, formal interessantes Frauenporträt. "Wheeler" jedoch hat weder inhaltlich noch formal viel zu bieten. Wie gern hätte man hier der Ehrenrettung des alternden weißen Mannes beigewohnt – doch Letts bestätigt nur die schlimmsten Vorurteile.
    Keine neuen Impulse
    Dass diese Deutsche Erstaufführung im Kleinen Haus gezeigt wird, wo Reese inzwischen fast alle Erst- und Uraufführungen versteckt, lässt tief blicken. Angetreten war er vor einem Jahr mit der vollmundigen Ankündigung, das Berliner Ensemble zum Haus für Autoren- und Gegenwartstheater zu machen. Und heute? Das sogenannte "Autorenlabor" ist seit Monaten führungslos, auf der großen Bühne läuft Shakespeare und Brecht, im Wechsel mit Stückentwicklern wie Simon Stone und Kay Voges, die derzeit eben en vogue sind. Wofür Reese brennt, ist völlig unklar. Frische Stimmen, substanzielle neue Stücke, Impulse fürs zeitgenössische Autorentheater sucht man hier vergebens.