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Tradition im Aufwind der Moderne

Der nationale Mühlentag, der morgen in den Niederlanden gefeiert wird, hat ausnahmsweise einmal nichts zu tun mit der Diskussion um Klimaschutz und alternative Energiequellen - es geht um die Erhaltung dieser historischen Bauwerke, die zum Nationalsymbol geworden sind wie Tulpen oder Holzschuhe: 600 Jahre ist es her, dass die erste Windmühle in den Niederlanden in Betrieb ging. Kerstin Schweighöfer berichtet.

    Eine typisch holländische Polderlandschaft bei Alkmaar, rund 40 Kilometer nördlich von Amsterdam. Mit einer weitausholenden Handbewegung dreht sich Fred Oudejans einmal um die eigene Achse und deutet auf die vielen alten Mühlen, die zwischen schwarzweissgefleckten Kühen in den hohen Himmel ragen.

    "Ohne sie würden wir hier nasse Füsse bekommen", erklärt der 45jährige Müller. "Denn eigentlich befinden wir uns hier dreieinhalb Meter unter dem Meeresspiegel."

    Doch die Mühlen haben dieses Gebiet vor 400 Jahren trockengepumpt und dafür gesorgt, dass aus dem Schermersee der Schermerpolder wurde - und der steht inzwischen auf der UN-Liste des geschützten Weltkulturerbes. 11 von den einst 52 Mühlen im Schermerpolder sind übriggeblieben. Sie funktionieren noch immer, erklärt Oudejans. Bei Stromausfall, wenn ihre modernen elektrischen Nachfahren den Dienst versagen sollten, können sie eingesetzt werden.

    Denn unter jeder Mühle befindet sich eine riesige Wasserschraube. Sie wird von den Flügeln angetrieben und kann das Wasser bis zu einen Meter 30 nach oben pumpen.

    Kariertes Hemd, Stoppelbart, Holzschuhe - Fred Oudejans ist das lebende Klischeebild eines holländischen Müllers. Seit 20 Jahren wohnt er mit seiner Familie in einer der 11 Schermermühlen. In einer weiteren, die als Museumsmühle eingerichtet wurde, arbeitet er als Vollerwerbs-Müller. Ein anderes Leben kann er sich nicht vorstellen:

    "Ich habe keine Nachbarn, die mich ärgern", sagt er. "Und ich sehe die Sonne auf- und untergehen." Auf diese Freiheit will er nicht mehr verzichten. Ein Müller lebe mit den Elementen, er müsse immer etwas schneller sein als das Wetter - voraussehen, wann es zu stürmen beginnt oder wann der Wind sich dreht. Das mache ihn zum Fachmann.

    Insgesamt gibt es in den Niederlanden noch 50 Berufsmüller, die Korn mahlen, Öl pressen oder - so wie Oudejans - eine Museumsmühle verwalten. Ausgebildet werden sie von der holländischen Mühlenvereinigung, die sich den Erhalt der Mühlen zum Ziel gesetzt hat. Denn von den einst 10.000 Windmühlen in den Niederlanden sind nur rund 1.000 übriggeblieben. Sie stehen unter Denkmalschutz, doch von diesen 1.000 sind mehr als 300 vom Verfall bedroht. Sie müssen dringend restauriert werden, sagt Fred van Zon, Sekretär der Schermer-Mühlen-Stiftung:

    "Wir sind ein Mühlenland", klagt er, "doch wir haben diesen Teil unseres Kulturerbes schwer verwahrlost. Die Regierungen der letzten Jahre wollten das traditionelle Holzschuh- und Windmühlen-Image ablegen, das war ihnen nicht modern genug, das passte nicht zum Zeitgeist."

    Doch inzwischen besinnen sich auch die Niederländer mehr und mehr auf Traditionen und die eigene Geschichte. Um den alten Handwerksberuf des Mühlenbauers zu retten und gleichzeitig Arbeitsplätze für Jugendliche zu schaffen, sollen im Schermerpolder 40 Mühlen originalgetreu rekonsturiert werden. Der Staat hat versprochen, die Zahl der vom Verfall bedrohten Mühlen innerhalb der nächsten fünf Jahre von 330 auf unter 100 zu senken. Kosten: rund 40 Millionen Euro. Auch finden im Jahr der Mühle viele Veranstaltungen speziell für Jugendliche statt: Sie dürfen Mühlen-Rapsongs komponieren oder Mühlenflügel mit selbstgesprühten Graffity-Kunstwerken bespannen:

    "Unsere Müller werden immer älter", so van Zon. "Wir brauchen junges Blut, junge Leute müssen wieder Interesse am Müllersberuf finden."

    Ist der Funke einmal übergesprungen, wird das Müllerdasein in der Regel zu einer lebenslangen Leidenschaft. Trotz aller Nachteile. Denn bei aller Freiheit draussen: Drinnen geht es ziemlich beengt zu. Auch Fred Oudejans lebt mit seiner Frau und den drei Kindern zwischen acht Wänden mit winzigen Fenstern auf knapp 50 Quadratmetern: Wohnzimmer und Küche unten, zwei kleine Schlafzimmer mit Bettschränken und Dusche oben:

    Alles kein Problem, meint er, man müsse einfach kreativ sein. So etwa steht der Computer im Bettschrank - zum Internetbanking müsse man halt die Türen aufmachen.

    Zum Glück stehe seine Frau voll hinter ihm. Denn ein Müller sei in erster Linie mit seiner Mühle verheiratet:

    "Wenn mein Frau hier weg wollte", so Oudejans, "ich glaube nicht, dass ich ihr folgen würde. Ich würde bleiben."