Archiv


Tradition versus Moderne

Winterthur, nordöstlich von Zürich gelegen, besitzt bedeutende Kunstsammlungen. Diese verdankt sie wohlhabenden Mäzenen aus der Zeit, als die Stadt ein wichtiger Industriestandort war. In letzter Zeit hat nun eine Diskussion über die Zukunft von Winterthur als Museumsstadt eingesetzt. Beispielhaft zeigt dies der Streit um die Sammlung des 1965 gestorbenen Industriellen Oskar Reinhart.

Von Christian Gampert |
    Es gibt Streit in Winterthur. Die Villa "Am Römerholz" des 1965 gestorbenen Industriellen Oskar Reinhart, die dessen unvergleichliche Impressionisten- und Altmeistersammlung beherbergt, muss renoviert werden. Für die 18 Monate des Umbaus hat man rund 130 Werke von Weltgeltung, darunter Cranach, Breughel, Renoir, ins Depot getan, also aus der Öffentlichkeit verbannt. Offenbar konnte man für sie keinen anderen Spielort finden. 77 Werke der Sammlung werden derzeit im "Museum Oskar Reinhart am Stadtgarten" gezeigt, dem zweiten Reinhart-Museum in Winterthur, das der deutschen und der Schweizer Kunst des 18. bis 20. Jahrhunderts gewidmet ist.

    Zu diesem Zweck mussten Teile der ständigen Ausstellung am Stadtgarten ab- oder umgehängt werden, um Platz zu schaffen. Das klingt einfach, ist aber kompliziert. Denn der 1965 gestorbene Oskar Reinhart hat, als er seine Sammlung deutscher Kunst der Stadt Winterthur in einer Stiftung vermachte, sich ausbedungen, dass die Sammlung in der von ihm gewünschten Präsentationsform verbleibt. Das wurde von den Winterthurer Bürgern in einer Volksabstimmung bestätigt. Man baute ein altes Schulhaus aus dem 19.Jahrhundert zum Museum um. Seit seiner Eröffnung 1951 ist dieses "Museum Oskar Reinhart am Stadtgarten" ein Mausoleum, wo die Zeit auf sympathische Weise stillzustehen scheint, ein Weiheort mit Biedermeiermöbeln, von Oskar Reinhart noch selber eingerichtet und mit Caspar David Friedrichs "Kreidefelsen auf Rügen" als Altar für alle, die auf den Spuren der Romantik nach Winterthur pilgern.

    Das ist der Stadt Winterthur jedoch nicht genug. Man vermisst die internationale Ausstrahlung der Winterthurer Museen. Insbesondere ist die historisierende Präsentation im "Museum am Stadtgarten" dem Stadtpräsidenten Oskar Wohlwend ein Dorn im Auge: Am liebsten würde man die ganze Winterthurer Museumslandschaft umkrempeln. Da kommt die Stadtgarten-Ausstellung, die kurioserweise "Im Dialog" heißt und die der wahrscheinlich wohlmeinende Lukas Gloor kuratiert hat, wie gerufen. Gloor hat 77 der nun obdachlosen Gemälde aus dem Römerholz mit den Werken aus dem Stadtgarten zusammengebracht. Der Stifter Oskar Reinhart wollte genau das nicht, er wollte die Innerlichkeit der deutschen Romantik und die französischen Impressionisten auseinanderhalten.

    Nun kann man fragen, ob der Wille des Stifters für alle Ewigkeit Bestand haben muss und ob man nicht, behutsam, mit der Zeit gehen und Neues ausprobieren sollte. Das Ergebnis der neuen Ausstellung ist jedoch niederschmetternd: Der Direktor des "Museums am Stadtgarten", Peter Wegmann, schäumt vor Wut. Man habe ihm das ganze Haus durcheinandergebracht, klagt er, Unvereinbares nebeneinander gehängt, von Dialog könne keine Rede sein.

    In der Tat sind manche der Korrespondenzen, die Lukas Gloor herstellt, nur mit viel gutem Willen zu verstehen - wenngleich vieles ganz konventionell gehängt und nachvollziehbar ist. Aber in dem Saal mit dem merkwürdigen Titel "Religion und Repräsentation" hängt Gloor Jacopo da Pontes "Anbetung der Hirten" von 1562 neben Anselm Feuerbachs "Die Versuchung des heiligen Antonius" von 1855 und Nicolas Poussins "Die heilige Familie" mit ihren fliegenden Putten von 1630. Als Kontrapunkt fungieren vier großformatige Familienporträts von Anton Graff von 1780. Also von der heiligen zur bürgerlichen Familie, von den Poussins-Putten zum Familienpatriarchen, quer durch die Stile und Epochen. Bei den Porträts hängt eine prall erotische "Modistin" von Renoir neben Ferdinand Hodlers bleicher "Genesender" - außer der Kopfhaltung gibt es da kaum Gemeinsamkeiten.

    Nun, vielleicht kann man ja auch so vergleichendes Sehen lernen. Gloor hängt auch van Goghs "Krankensaal von Arles" neben Stillleben oder verknüpft Max Liebermanns "Schulweg" mit Aert van der Neers "Winterlandschaft mit Eisläufern" von 1660. Wirklich zwingend ist das nicht. Das Problem liegt darin, dass hier nicht, wie etwa in der neuen Hängung der Stuttgarter Staatsgalerie, über weite Zeiträume Sujets und Stilistiken kontrastierend verglichen werden können, sondern dass die Verbindungen konstruiert wirken.

    Der Dialog scheint also eher misslungen, vor allem mit dem derzeit quasi entmachteten Direktor des "Museums am Stadtgarten", Peter Wegmann. Der leidet unter Multipler Sklerose und sitzt im Rollstuhl. Als Oskar Reinharts Lordsiegelbewahrer hat er eine wohl eher schwache Position, wenngleich ein Verein der "Freunde des Stadtgartens" sich für den Erhalt des Museums in ursprünglicher Gestalt ausspricht. Was nach Ende der "Dialog"-Ausstellung im August 2010 passiert, ist offen. Klar ist nur: In Winterthur droht eine Art Kulturkampf zwischen Konservativen und Neuerern - mit schwer einschätzbaren Folgen für die Museen des Oskar Reinhart.