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Tränen des Teufels. Eine Weltgeschichte des

Noah hat die Fugen seiner Arche damit abgedichtet. Die Sumerer haben ihre Straßen damit befestigt, die Azteken es auf Wunden gestrichen und als Brennstoff genutzt: Der seltsame, zähflüssige und übelriechende Stoff war schon den frühesten Kulturen bekannt. Aber erst im letzten Jahrhundert wurde er zum Schmiermittel der Zivilisation. Eine Gesellschaft ohne Erdöl und die aus ihm gewonnenen Produkte ist uns heute unvorstellbar - auch wenn die Zukunft zwar nicht ohne, so doch mit sehr viel weniger Öl auskommen muss.

Martin Ebel | 24.05.2002
    "Wenn wir das Öl von Baku nicht kriegen, ist der Krieg verloren", soll Hitler 1942 zu seinem Feldmarschall von Manstein gesagt haben. Beide Weltkriege, behauptet Günter Barudio in seinem Buch "Tränen des Teufels", sind durch die mangelnden Ölreserven Deutschlands entschieden worden. Gewiss eine einseitige, aber keine ganz falsche Sichtweise. Öl war und ist Kriegsauslöser, Kriegsziel und Kriegsmittel; die Sicherung strategischer Reserven und die Sicherheit von Tankerrouten und Pipelines gehören heute zu den vorrangigen Zielen der US-amerikanischen Politik. Ölprodukte treiben nicht nur Panzer und Flugzeuge an, sie heizen nicht nur Häuser und Schwimmbäder; aus ihnen werden auch Kosmetika und Arzneimittel gewonnen, Farbstoffe und Kunstfasern, überhaupt Kunststoffe aller Art. Dass das Benzin, mit dem unser Auto fährt, aus Erdöl gewonnen wird, wissen wir; nicht anders verhält es sich aber auch mit dem Armaturenbrett und der Kunstgummifußmatte; selbst im Verbundglas ist ein Ölderivat enthalten.

    Was für ein Stoff! Und welch ein Stoff für ein Sachbuch! Günter Barudio hat die "Tränen des Teufels" allerdings gründlich in den Sand gesetzt. Und das hat einen ganz einfachen Grund. Der gelernte Öltechniker, dann studierte Jurist, Historiker und Philosoph weiß nicht zuwenig über sein Thema, sondern zuviel. Jedenfalls viel mehr, als er vermitteln und das Buch verkraften kann. Barudio kann das Wichtige nicht vom Unwichtigen unterscheiden, und deshalb bringt er beides, meist in lange, umständlich aufgebaute Sätze verpackt, die keine zwei Gedanken hintereinander schalten können, ohne zwischendrin zu einem dritten, vierten, fünften abzuschweifen, die allesamt dort nichts zu suchen haben. Man kann darauf wetten, dass die entscheidende Information jedesmal in einem Nebensatz versteckt ist.

    Natürlich ist Barudios Buch voll von spannenden Geschichten um das "schwarze Gold", das auch "Teufelsdreck" genannt wird. Es zeichnet die Besonderheiten einzelner Länder nach und lässt eine Galerie imposanter Pioniere auftreten, von den beiden Gebrüdern Nobel, die das Kaukasus-Öl erschlossen, über den amerikanischen Tycoon Rockefeller und den saudischen Ölminister Yamani bis zum Ölfeuerlöscher Red Adair. Der Leser erfährt, wie der kostbare Stoff entsteht, wie er sich in sogenannten "Ölfallen" sammelt, wie man ihn aufspürt und ans Tageslicht befördert. Barudio berichtet über die Kartellbildung der Produzenten wie der Vermarkter und die Machtkämpfe zwischen der OPEC und den "Sieben Schwestern" Shell, Exxon und Co. Er verweist auch auf die Faktoren, die den Ölpreis beeinflussen. Viel Material also, hochinteressantes Material: aber es wird nicht aufbereitet, nicht raffiniert, wie man unter Ölmännern sagt; es bleibt im Rohzustand, vermischt mit Sand, Gestein und Schlacke, also ziemlich unbrauchbar. Geradezu abschreckend sind die Passagen über die Bohrtechnik ausgefallen.

    Mindestens ebenso schwer wiegt ein zweiter Vorwurf: Barudio geht allzu unkritisch mit den Ölfirmen und ihren Protagonisten um. Ausgesprochen gut kommt zum Beispiel der frühere Bohrkopfverkäufer und spätere US-Präsident Bush (senior) weg; für den Welt-Eröl-Kongress WPC reklamiert der Autor gar den Friedensnobelpreis! Merkwürdig auch, wie beiläufig die katastrophalen Schäden behandelt werden, die die Ölzivilisation anrichtet.

    Die Gier der Förderer, Vermarkter und Verbraucher führt dazu, dass nach und nach auch die letzten unberührten Regionen der Erde mit Fördertürmen bestückt werden. Und Ölförderung bedeutet unweigerlich Verschmutzung der Umgebung. 6000 Ölplattformen stehen oder schwimmen inzwischen auf den Weltmeeren, davon allein 416 in der Nordsee; die Abfallprodukte der Bohrungen vergiften das Wasser. In Russland sickern aus defekten Pipelines und Altanlagen jährlich 15 Millionen Tonnen Öl in den Boden, das ist, so hat Greenpeace ausgerechnet, täglich die Menge, die beim Exxon-Valdez-Unfall ausgetreten ist. Wären alle Lecks geschlossen, so Greenpeace weiter, könnte man alle russischen Atomkraftwerke abschalten. Die Verbrennung von Ölprodukten (durch Autos, Heizungen und die Industrie) trägt ganz erheblich zum Treibhauseffekt bei.

    Schließlich ist der Vorrat an "schwarzem Gold" begrenzt, ein Ende absehbar. Auf 120 Milliarden Tonnen wird das bereits geförderte, also auf Nimmerwiedersehen verschwundene Öl geschätzt, auf 100 Milliarden die vorhandenen Reserven: Das langt, bei unvermindertem Konsum von 3,5 Milliarden Tonnen jährlich, noch knapp 30 Jahre. Optimisten schwärmen von noch unentdeckten riesigen Lagerstätten, die diese Frist auf 100 Jahre strecken könnten - aber wenigstens dann muss sich die Menschheit neue Wege überlegt haben, woher sie die Energie für Heizung und Fortbewegung gewinnen will.