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Träume für Piloten

Abheben und losfliegen, wann immer es einem passt - für Segelflieger ein Problem, es sei denn, ihr Flugzeug hat auch einen Motor. Ein Brandenburger Unternehmen sorgt mit seinen Motorseglern seit den 80ern dafür, dass Segelflieger auch dann ans Ziel kommen, wenn Wind und Thermik einmal nicht stimmen. Mit einem neuen Modell will das Luftfahrtunternehmen nun auch in den Markt der kleineren Flugzeuge vorstoßen.

Von Jörg Münchenberg |
    Angefangen hat alles Ende der 70er, Anfang der 80er Jahre. Rainer Stemme, erfolgreicher Physiker, beschließt, eine Idee, die den Hobbysegelflieger schon lange beschäftigt, in die Tat umzusetzen: Einen Segelflieger mit einem Motor auszustatten, um selbst starten und bei Bedarf auch das Fliegen aus eigener Kraft verlängern zu können. 1985 wurde daraus eine eigene Firma, angesiedelt in den Weddinger Werkshallen der einstigen AEG:

    "Wir haben die erste Genehmigung überhaupt bekommen von den Alliierten in Berlin, überhaupt Teile für Flugzeuge zu bauen, und waren gezwungen, für Probeflüge nach Westdeutschland zu gehen. Aber ich weiß nicht genau, ich hatte so ein Gefühl, es wird etwas passieren in Berlin. Es wird sich was tun, dass wir auch in Berlin fliegen können. Gut, es kam dann die Wiedervereinigung. Und nach der Wiedervereinigung sind wir dann von Wedding hier raus nach Strausberg gezogen. Das war ein früherer Platz der nationalen Volksarmee."

    Und hier fand der Flugzeugbauer alles, was er für sein junges Unternehmen brauchte. Ein paar leere Hallen, und natürlich ein Flugfeld. Heute genießt Stemme mit dem Motorsegler S10 vor allem bei Hochleistungsseglern einen geradezu legendären Ruf:

    "Es ist die Unabhängigkeit, die unsere Piloten schätzen. Es ist ein Segelflug in der Spitzenklasse. Segelflug in der Spitzenklasse heißt: Sie können, wie zum Beispiel mit diesem Segelflugzeug gemacht, einen Weltrekord fliegen mit 2500 Kilometer Strecke innerhalb von 14 Stunden. Pur Segelflug. Zur gleichen Zeit aber können sie sich wie in ein Motorflug reinsetzen - steht draußen vor der Halle - Sie können die Haube aufmachen, setzen sich rein, starten das Triebwerk und fliegen los. Sie können mit Motor - da könnten wir heute noch reinsteigen und nach Rom fliegen."

    Doch die Stemme AG, die in diesem Jahr mit ihren Tochterunternehmen einen Gesamtumsatz von insgesamt 5,4 Millionen Euro erreichen soll, setzt längst nicht mehr nur auf Hochleistungsmotorsegler. Mit der neuen Flugzeugklasse S6 zielt das Unternehmen mit seinen bislang rund 50 Mitarbeitern auf den breiteren Markt in Europa und den USA, wo die meisten Kunden sitzen. Kostet die S10 stolze 300.000 Euro, wird das neue Flugzeug bei rund 200.000 Euro liegen - für Rainer Stemme der Einstieg in ein völlig neues Konzept, von dem sich der Flugzeugentwickler viel erhofft:

    "Es ist ähnlich wie bei Autos die sogenannte Plattformstrategie. Sie haben ein Chassis mit vier Rädern. Und da können sie dann einen Sportwagen draufbauen oder eine Limousine oder ein Familienauto draufbauen. Ähnlich ist das Konzept, so wie wir es hier haben. Es gibt ein Chassis, ein Basisflugzeug und daraus machen wir die verschiedensten Varianten. Und das ist auch die Chance im Markt, der ja in jedem dieser Segmente nicht besonders groß ist, durch eine Verknüpfung, eine Plattformstrategie ein rentables Geschäft zu machen."

    Rentabel auch deshalb, weil die neue S6 auch als unbemanntes Fluggerät sowohl im militärischen als auch zivilen Bereich eingesetzt werden könnte, etwa zur Waldbrandüberwachung. Ein neuer Geschäftszweig, der in den nächsten Jahren rasant wachsen soll. Gut acht Jahre Entwicklungsarbeit stecken hinter der Basisplattform S6, für die jetzt die Zulassung vorliegt. Die Investoren der Stemme AG, 20 an der Zahl, darunter auch das Land Brandenburg und leidenschaftliche Flieger, haben allein für dieses Projekt zwischen 10 und 20 Millionen Euro bereit gestellt.

    Vier Flugzeuge stehen heute in der Halle, die Stimmung konzentriert, aber entspannt. Das könnte sich im kommenden Jahr, wenn die Produktion für die neue Plattformfamilie S6 anläuft, ändern, meint Karen Stemme, Tochter des Chefs und zuständig für den Bereich Marketing:

    "Bei der S6 werden zwischen 25 und 30 geplant, bei der S10 ist die Planung auch ein wenig vom Bestelleingang abhängig. Wir würden jetzt gerne für die Umstellung der Serienfertigung oder den Aufbau der Serienfertigung der S6 S10 weniger bauen, um dort die Kapazitäten zu konzentrieren. Es werden aber im nächsten Jahr aber vermutlich fünf bis acht S10 zusätzlich gebaut."

    Und das in Handarbeit, während mit der S6 der Einstieg auch in die industrielle Herstellung erfolgen soll. Hauptzulieferer für beide Flugzeugfamilien sind zwei Unternehmen in Polen, die zum Beispiel die Flügel nach der Vorlage von Stemme liefern und mit denen die Firma seit 15 Jahren zusammenarbeitet. Auf eine Produktionsverlagerung in den Dollarraum hat der Flugzeugbauer trotz des hohen Wechselkursdruckes verzichtet - die finanziellen Risiken, so Rainer Stemme, seien letztlich zu hoch.

    So klingen die 115 PS des turbogeladenen Rotax-Motors der S10 - der ganze Stolz des Unternehmens Stemme. Längst ein Klassiker, setzt der Motorsegler noch immer die Maßstäbe im Hochleistungsegelsport. Und obwohl auch Stemme Finanzmarktkrise und Abschwung zu spüren bekommt, ist er zuversichtlich. Was auch daran liegen mag, dass das Strausberger Unternehmen der Konkurrenz bislang stets vorausgeflogen ist:

    "Wir werden die Spitzenflugzeuge, die wir haben, weiter verbessern. Wir werden das gesamte, das ist ja eine Herausforderung, dieses gesamte Mittelklasseprogramm in den Markt einbringen, sodass wir in Strausberg einmal 100 Flugzeuge bauen werden. Das Aufklärungsgeschäft - ach, das ist soviel Stoff. Was ich mir wünsche, ist, mit meiner Tochter einmal um die Welt zu fliegen."