Doch Snyders Figuren haben fast nichts von Boyles satirischer Überzeichnung, und ihnen fehlt auch durchweg der sichere Grund eines verbindlichen Realitätszusammenhangs. Bei Snyder ist der Vorhang zwischen Realität und Absurdität sehr fadenscheinig, und der Autor interessiert sich besonders für jene Stellen, an denen von der anderen, fremden Seite etwas aufscheint und durchleuchtet, etwas, das dem so genannten gesunden Menschenverstand rätselhaft bleibt oder entgeht.
Es gibt Träume, die unserem Wachbewusstsein so dicht aufliegen, von tatsächlichen Ereignissen unseres Lebens sich nur so minimal abheben, dass wir später nicht mehr unterscheiden können, was Traum war und was Wirklichkeit. Snyders Stories funktionieren wie diese wirklichkeitsnahen Träume. "Treibgut", die beste Geschichte des Bandes, in der die amour fou zwischen entstelltem Hollywoodstar und bescheidenem Jedermann beschrieben wird, entwickelt diese Erzählstrategie am subtilsten.
"Ich stellte mir vor", heißt es da etwa, "wie sie mit den Händen in den Gesäßtaschen ihrer Jeans den Waldweg zu meinem Haus heraufkam. Ich sah sie tatsächlich durch das flirrende Sonnenlicht auf mich zukommen." In diesen beiden unscheinbaren Sätzen wird unauflösbar kurzgeschlossen, was die Energie dieser Texte ausmacht: Die Schwellenlandschaft zwischen Sein und Schein, Vorstellungen als phantasierte Möglichkeiten in ständig fluktuierender Beziehung zur Tatsachenwelt, gesunder Menschenverstand als Illusion.
Scott Snyder
Happy Fish. Stories
dtv premium, 220 S., EUR 14,-