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Tragische Lücke im Hitze-Puzzle

Raumfahrt. – Wirklich vollständig kehrten die Raumfähren nur selten aus dem Orbit zurück, denn oft lösten sich unter den Belastungen des Wiedereintritts in die Atmosphäre einzelne Kacheln des Hitzeschildes ab. Dies sei ein normales und unbedenkliches Phänomen, erklärten dann stets die zuständigen Experten der NASA auf Nachfrage. Jetzt aber könnte eben ein solcher Verlust das Auseinanderbrechen des am vergangenen Samstag abgestürzten Space Shuttles ''Columbia'' verursacht haben.

    "Die tragende Struktur des Space Shuttle besteht aus einer Aluminiumkonstruktion, auf der als erste Schicht eine so genannte flexible Isolation aus Silizium-Dioxid-Glasfasermatten aufgeklebt wird. Diese Schicht widersteht Temperaturen bis zu 370 Grad Celsius. Auf diesem Untergrund werden dann die Kacheln des Schutzschildes montiert", erklärt Monika Auweter-Kurtz, Professorin für Raumtransporttechnologie am Institut für Raumfahrtsysteme IRS der Universität Stuttgart. Die Hitzeschutzkacheln selbst bestehen aus einem Keramikschaum auf ebenfalls einer Silizium-Dioxid-Basis. Eine letzte Grenze nach außen bildet schließlich eine Bor-Silikat-Beschichtung, die die Kacheln versteift, um den gewaltigen aerodynamischen Belastungen des Shuttle standhalten zu können.

    Das Kachel-System des Hitzeschildes bringt zwangsläufig - und beabsichtigt - auch Fugen mit sich. "Die Zwischenräume müssen arbeiten können, denn die Kacheln bewegen sich in einem sehr breiten Temperaturspektrum mit Spitzen von rund 1300 Grad Celsius. Dann dehnen sich die Materialien des Schildes aus und benötigen einen Spielraum, den besondere Klebstoffe in den Fugen gewährleisten", so die Expertin. Dabei ruhe nicht auf allen der etwa 2000 Puzzleteile der Shuttlehülle die gleiche Last. "Die Kacheln der unterschiedlich belasteten Areale auf der Außenhaut unterscheiden sich einmal in ihrer Dicke, die von 19 bis 89 Millimeter misst. Daneben wurde auch die Materialdichte bei der Herstellung je nach Anforderung variiert. So isolieren die verschiedenen Teile auch verschieden." Die dünneren Kacheln seien für eine Temperatur von rund 650 Grad Celsius ausgelegt, während die am stärksten beanspruchten Schilde an der Nase der Fähre selbst einem Maximum von 1300 Grad stand hielten. "Entsprechend unterschiedlich sind daher auch die Auswirkungen, wenn ein Shuttle Schutzkacheln verliert."

    Gehen Einzelteile des Hitzeschildes verloren, so könnten diese theoretisch auch individuell ersetzt werden. Allerdings werde schon im Rahmen der herkömmlichen Wartung ein großer Teil bis hin zu dem kompletten Hitzemantel ausgetauscht. Neue Materialien oder Konzepte würden dabei allerdings nicht eingesetzt, da der Schild als Ganzes in das Gesamtsystem der Fähren integriert sei. Andere Materialien besäßen auch andere Eigenschaften wie beispielsweise eine abweichende Oberfläche, die weitreichende Auswirkungen für das gesamte Fahrzeug mit sich brächten und daher aufwändige und kostspielige Tests erfordern würden. Um dies zu vermeiden, wurde das Spaceshuttle in seiner Bauform auf dem technischen Stand von 1974 eingefroren. "Seither wurden, vor allem in Europa, moderne Technologien für den Hitzeschutz entwickelt, die eine höhere Haltbarkeit und damit eine stärkere Wiederverwendbarkeit besitzen. Bei einem künftigen Shuttlesystem würde sicher eine Faserverbundkeramik verwendet werden, die beispielsweise aus mit Siliziumkarbid getränkten Kohlefasern bestehen könnten", so Auweter-Kurtz. Auch würde man sicher nicht mehr auf eine Kachel- und Klebetechnik zurückgreifen.

    [Quelle: Uli Blumenthal]