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Transatlantische Beziehungen
"Grundlage für engere Zusammenarbeit ist gegeben"

Der Machtwechsel in den USA biete für die EU riesige Chancen, sagte Bundesaußenminister Heiko Maas im Dlf. Wichtig sei nun, die gemeinsamen Interessen zu bündeln, um diese in der Welt durchzusetzen. Man müsse den USA ein Angebot machen, um Streitpunkte in Wirtschafts- oder sicherheitspolitischen Fragen auszuräumen.

Heiko Maas im Gespräch mit Jasper Barenberg | 07.12.2020
Bundesaußenminister Heiko Maas spricht während einer Pressekonferenz.
Bundesaußenminister Heiko Maas (dpa-news / Kay Nietfeld)
Die EU-Außenminister kommen heute (7. Dezember) in Brüssel zu ihrem letzten Treffen in diesem Jahr zusammen. Dabei wollen sie unter anderem über die künftige Zusammenarbeit mit dem gewählten US-Präsidenten Joe Biden beraten. Die Europäische Union will nach dem Ende der Amtszeit von US-Präsident Trump mit der Regierung in Washington eine neue Allianz schmieden. Mit dem Bündnis soll auch dem Machtbewusstsein Chinas entgegengetreten werden. Auch Handelsfragen und der Klimaschutz sind Themen, bei denen EU-Ratspräsident Charles Michel eine gemeinsame Linie mit den USA finden will. Das soll den EU-Staats- und Regierungschefs bei einem Treffen am 10. und 11. Dezember vorgelegt werden. Für das erste Halbjahr 2021 ist dann ein Gipfel zwischen EU und den USA vorgesehen, bei dem eine neue transatlantische Agenda ins Leben gerufen werden soll.
Maas: In Wirtschafts- und Handelsfragen "komplett neu aufstellen"
Bundesaußenminister Heiko Maas betonte im Dlf, dass mit einem neuen Präsidenten im Weißen Haus zwar nicht alle Streitpunkte vom Tisch seien, doch das Verhältnis werde sich enorm verbessern. "In der Vergangenheit hörten wir aus Washington, dass die EU neben China und Russland einer der Gegner der USA sind. Das ist jetzt vorbei". Man wolle vor allem an einer Agenda in Wirtschafts- und Handelsfragen arbeiten. An dieser Stelle müsse man sich "komplett neu aufstellen". In außen- und sicherheitspolitischen Fragen müsse die EU jedoch mehr Verantwortung übernehmen. Die USA werde nicht zur ihrer früheren Rolle als "Weltpolizist" zurückkehren, sagte Maas. Europa müsse sich dehalb zusammenschließen und eigene Strategien entwickeln - und diese dann gemeinsam mit den USA umsetzen.
Die Fahnen der Vereinigten Staaten und der Europäischen Union wehen nebeneinander am 04.03.2017 in Nizza (Frankreich) im Wind. Foto: Jens Kalaene/dpa | Verwendung weltweit
EU und USA - Zeit für eine neue transatlantische Agenda
Die transatlantischen Beziehungen stehen nach der Wahl von Joe Biden zum US-Präsidenten vor einem Neuanfang. Die EU-Außenminister beraten deshalb über eine neue transatlantische Agenda. Im Fokus steht unter anderem der Kampf gegen den Klimawandel sowie die Stärkung von Demokratie und Multilateralismus in der Welt.

Das Interview im Wortlaut:
Jasper Barenberg: Herr Maas, es ist in diesen Tagen oft zu hören und zu lesen: Der Umgangston wird angenehmer werden, aber es gibt kein Zurück zu den alten Zeiten. Woran liegt das, mal abgesehen davon, dass Joe Biden in der Tat den Eindruck eines zivilisierten Politikers macht?
Heiko Maas: Zunächst einmal, glaube ich, wird sicherlich nicht alles anders werden. Aber ich glaube, vieles wird besser werden. Wenn die Europäische Union und die Vereinigten Staaten wieder auf der gleichen Seite stehen und in wichtigen außen- und sicherheitspolitischen Dossiers, aber auch in Wirtschafts- und Handelsfragen ihre Interessen bündeln, dann, glaube ich, wird es auch viel mehr möglich sein, die gemeinsamen Interessen, die man hat, auf der Welt durchzusetzen. In der Vergangenheit war es so, dass wir aus Washington hörten, dass die Europäische Union neben China und Russland einer der Gegner der USA sind. Das ist jetzt, glaube ich, vorbei. Das wird nicht dazu führen, dass alle Streitpunkte, die es gibt, jetzt vom Tisch geweht sind. Darüber wird man mit der neuen Regierung in Washington sprechen müssen. Aber ich glaube, die Grundlage für eine engere Zusammenarbeit, die ist mit Joe Biden als neuem Präsidenten gegeben.
"Die USA werden nicht zurückkehren in ihre Rolle als Weltpolizist"
Barenberg: Und wenn Sie sagen, man wird nicht alle Streitpunkte vom Tisch wischen können, die bestehen weiter, sagen Sie dann auch, in dieser Frage sollte Europa die Initiative ergreifen, wie das die EU-Kommissionspräsidentin, wie das Ursula von der Leyen sagt, und ein Angebot machen?
Maas: Natürlich! Und das ist ja das, worüber wir heute auch mit den Außenministern sprechen. Das ist das, worüber wir mit unseren französischen Partnern schon gesprochen haben. Wir wollen eine gemeinsame Agenda in Wirtschafts- und Handelsfragen. Im Moment ist es so, dass die USA Strafzölle gegen Europa verhängt und Europa gegen die USA. Ich dachte immer, wir sind die freie Welt und damit auch die Vertreter des freien Handels. Da müssen wir uns, glaube ich, komplett neu aufstellen, und auch in außen- und sicherheitspolitischen Fragen. Alle sagen ja, Europa muss mehr Verantwortung übernehmen, und das wird so sein. Die USA werden nicht zurückkehren in ihre Rolle als Weltpolizist, wie man das vielleicht aus den letzten Jahrzehnten kannte. Das heißt, in unserer unmittelbaren und mittelbaren Nachbarschaft, in Afrika, auf dem westlichen Balkan, in Osteuropa, wird es wichtig sein, dass Europa sich zusammenschließt und eigene Strategien hat und wir die zusammen mit den Vereinigten Staaten auch umsetzen. Das ist jetzt alles möglich und insofern ist das eine riesige Chance, die wir haben. Die müssen wir jetzt auch nutzen und dafür ist es richtig, dass wir in Europa das auch sehr offensiv angehen.
Barenberg: Wenn der frühere Botschafter Wolfgang Ischinger, jetzt Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, das so formuliert, dass Europa bedeutsamer sein muss, fähiger und nützlicher in der Partnerschaft mit den USA, können Sie uns ein Beispiel dafür nennen, wo Europa, wo auch die Bundesregierung nützlicher sein sollte für die USA?
Maas: Es geht erst mal darum, glaube ich, dass beide Seiten ihren Teil dazu beitragen. Das ist kein einseitiges Geschäft. Nur Europa muss sich darüber klar sein, wenn wir es nicht schaffen, in den wichtigsten Fragen uns europäisch aufzustellen, dann werden wir in der Großmächte-Konkurrenz, in der wir leben, zwischen den USA, Russland und China zum Spielball derselben werden. Das wollen wir nicht und darüber wollen wir auch mit den Vereinigten Staaten reden. Wir wollen auch darüber reden, wie wir den europäischen Pfeiler innerhalb der NATO stärken, also auch in Sicherheitsfragen bereit sind, mehr Verantwortung zu übernehmen, und ich glaube, das ist auch die Erwartung, die es in Washington gibt. Daraus ein gemeinsames konzeptionelles Vorgehen zu finden für die großen Krisenkonflikte dieser Welt, in Afghanistan, im Irak, im Iran, in Syrien, auch in der Ukraine, das sollte eigentlich nicht so schwer sein, wenn alle das machen, was sie im Moment in Reden und Interviews sagen, nämlich dass sie wieder die USA und Europa enger zusammenführen wollen.
Höhere Verteidigungsausgaben: "Diese Bereitschaft ist da"
Barenberg: Wenn Sie sagen, dass die Bundesregierung durchaus bereit ist, dass Sie bereit sind, mehr Verantwortung zu übernehmen, gilt das zum Beispiel für die NATO, wo es ja schon lange vor Trump den Streit um die Lastenverteilung gab? Wir wissen, 75 Prozent der Leistungen und 70 Prozent der Mittel kommen aus den USA. Sie haben angedeutet, dass auf Dauer Europa da einen größeren Anteil wird tragen müssen. Und gilt das auch innenpolitisch bei der Debatte mit Blick auf die Verteidigungsausgaben, wo es ja gerade in der SPD starke Stimmen gibt, dass man da nicht über die Stränge schlagen will?
Maas: Ja, die Stimmen gibt es, glaube ich, nicht nur in der SPD. Aber wir haben uns dazu verabredet, unsere Verteidigungsausgaben bis 2024 auf 1,5 Prozent zunächst einmal anzuheben, um dem Zwei-Prozent-Ziel näherzukommen. Diese Bereitschaft ist da. Es ist allerdings auch notwendig, dass auf der anderen Seite wir nicht wieder mit Situationen konfrontiert werden, wie wir das hatten mit dem unabgestimmten Truppenabzug der Amerikaner in Afghanistan. Dort sind auch deutsche Soldatinnen und Soldaten. Wir hatten das im Irak ähnlich und auch der Abzug amerikanischer Soldaten aus Deutschland ist eine Entscheidung, die ja mit Deutschland nie abgestimmt wurde. Man muss über diese Dinge sprechen. Wir müssen bereit sein, der Verantwortung, die wir haben, gerecht zu werden. Aber wir gehen auch davon aus, dass das, was wir aus den letzten vier Jahren aus Washington gewohnt waren, dass das jetzt auch mal der Vergangenheit angehört.
"Wir glauben, es muss auch ein Mindestmaß an Dialog geben mit China"
Barenberg: Sprechen wir über China. Das wird ein Schwerpunkt sein der amerikanischen Außenpolitik. Die ganze Energie verlagert sich mehr und mehr auf den pazifischen Raum, ebenfalls eine Entwicklung seit mehreren Jahren. Jetzt sagt Joe Biden, die Strafzölle und den Handelskrieg, das will er sich erst mal in Ruhe angucken. Das wirkt ein bisschen, als wenn die harte Haltung gegen China bleiben würde in dem Versuch, sich mit diesem Rivalen auf der Bühne der Weltpolitik auseinanderzusetzen. Über Deutschland heißt es ja, man hofft, dass man an China vor allem als Handelspartner interessiert ist und dem alles andere unterordnet. Wird die Bundesregierung da ihre Haltung verändern und stärker an der Seite der Vereinigten Staaten stehen?
Maas: Erst mal ist es nicht so, dass wir, weil China mittlerweile unser Handelspartner Nummer eins ist, dem alles unterordnen. Das geht auch nicht. Wir haben bei wichtigen Themen, auch bei Menschenrechtsfragen, bei Freiheits- und Demokratiefragen etwa in Hongkong in den letzten Monaten eine sehr klare Sprache nicht nur gewählt, sondern haben auch Entscheidungen getroffen, haben Abkommen gekündigt als Konsequenz aus dem für uns nicht nachvollziehbaren Vorgehen der Chinesen in Hongkong. Aber auch da wird es wichtig sein, dass es eine gemeinsame Strategie gibt in Europa und bei den Vereinigten Staaten. Ich glaube nicht, dass es gelingen wird, China komplett abzukoppeln vom Welthandel. Wir haben daran kein Interesse. Deshalb, glaube ich, ist es sehr klug, wenn Joe Biden sich das erst einmal sehr intensiv anschaut, wie er damit umgehen wird. Wir glauben, es muss auch ein Mindestmaß an Dialog geben mit China, und ich glaube, wenn Europa und die Vereinigten Staaten etwa in Menschenrechtsfragen den Druck auf China erhöhen, dann wird das deutlich vielversprechender sein, als es bisher der Fall gewesen ist, wo man lediglich Strafzölle verhängt hat und wo es auch überhaupt keine gemeinsame Linie zwischen den USA und Europa gegeben hat mit Blick auf China.
Barenberg: Sie bleiben bei der Hoffnung, die man gelegentlich spüren kann, dass man China doch zu mehr Offenheit und Demokratie bewegen wird, während man diese Hoffnung in Washington ja nicht zu haben scheint?
Maas: Das ist das Prinzip der Diplomatie. Ich glaube nicht, dass irgendetwas besser wird mit Blick auf Menschenrechte, Demokratie und Freiheit, wenn man den Dialog mit China einstellt oder wenn man eine Strategie hat, die nur auf maximalen Druck setzt. Dafür ist China mittlerweile zu groß. Deshalb muss es diplomatische Initiativen geben. Auch beim Klimawandel werden wir, wenn wir die Ziele erreichen wollen, diese Ziele global nicht erreichen, wenn wir China nicht mit an Bord haben. Wir wollen, dass es bei den großen Abrüstungsfragen, die es gibt – wir leben in einer Phase, in der eher wieder aufgerüstet wird -, auch da muss es Lösungen geben, die international mit China besprochen werden. Das alles zu lassen, nur weil man sagt, das macht keinen Sinn, das ist, glaube ich, weder klug, noch besonders diplomatisch. Aber wichtig wäre vor allen Dingen, dass die USA und Europa gemeinsam diese Initiativen verfolgen, denn gemeinsam sind wir deutlich stärker, als wenn das jeder für sich tut oder wenn, so wie das in der Vergangenheit der Fall gewesen ist, wir das auch noch eher gegeneinander tun als miteinander.
"Es wüde die Welt sicherer machen, wenn die USA in das Atomabkommen mit dem Iran zurückkehren"
Barenberg: Das gilt auch für das letzte Thema, das ich ansprechen möchte, die Zukunft des Atomabkommens mit dem Iran. Gilt auch hier, es gibt kein Zurück zu dem Stand vor der Aufkündigung durch die Vereinigten Staaten?
Maas: Mittlerweile hat ja Joe Biden auch relativ deutlich gesagt, dass er ein großes Interesse daran hat, in das Atomabkommen mit dem Iran zurückzukehren. Das wäre auch außerordentlich wichtig, denn ohne die USA ist dieses Abkommen nur wenig wert. Wichtig ist allerdings, dass der Iran auch zu seinen Verpflichtungen zurückkehrt aus diesem Abkommen. Das ist gegenwärtig nicht der Fall. Wenn dieses Abkommen scheitern würde, dann müssten wir uns mit der Frage auseinandersetzen, dass der Iran in absehbarer Zeit auch über Nuklearwaffen verfügt. Das macht die Welt nicht sicherer, sondern vor allen Dingen wird das Auswirkungen haben auf die komplette Region dort. Und deshalb ja, wir müssen uns dem stellen. Ich glaube, es gibt Dinge, die wir mit dem Iran besprechen müssen. Ich glaube, dass das Atomabkommen ergänzt werden sollte mit Fragen der regionalen Rolle des Irans, ballistischer Mittelstrecken-Raketenprogramme, die es gibt. Diese Gesprächsbereitschaft, die Joe Biden bei den Themen schon mal öffentlich gemacht hat, die muss man jetzt nutzen, und deshalb würde es die Welt sicherer machen, wenn die USA in das Atomabkommen mit dem Iran zurückkehren.
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.