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Transavantguardia

Er suchte immer wieder das Meer darzustellen, kleine Boote, mit denen er in seiner Kindheit gefahren ist. Das Meer ist sein Sujet. Seine Farben sind intensiv und manchmal auch kitschig. Als ich zum ersten Mal eines seiner Bilder sah, das war in den 70er Jahren, da begriff ich sofort: das wird Aufsehen erregen. Auch wenn sich diese Faszination damals noch schwer erklären ließ.

17.11.2002
    Heute fällt es Maurizio Calvesio nicht mehr schwer seine Begeisterung vor über 30 Jahren für die ersten Gemälde von Francesco Clementi zu erklären. Heute nämlich, so der römische Kunsthistoriker lässt sich der Stil des neapolitanischen Malers einordnen und somit definieren. Als Mitte der 70er Jahre die wie auf die Leinwand geschmierten Bilder ausgestellt wurden - Bilder, auf denen immer wieder junge nackte Männer zu sehen sind, gut erkennbar, weil realistisch gemalt - da wusste niemand so genau, was er denn da vor sich hat. Eine neue Malerei war geboren - aber das hatte man noch nicht begriffen. Eine Malerei, die heute unter dem Begriff der Transavanguardia bekannt ist. Dazu Maurizio Calvesi:

    Clementi ging von seiner Heimatstadt Neapel aus. Von ihren Farben, von dem bunten Leben und den starken Eindrücken, die diese Stadt immer wieder vermittelt. Und weil diese Eindrücke so stark sind, liess er sich von den vorgegebenen Tendenzen in der Gegenwartskunst nicht beeindrucken. Er malte etwas anderes. Genauso 'anders' malten auch vier anderen Maler, die sich bald schon kennen lernen sollten

    Diesen fünf Malern der Transavanguardia - es sind neben Clemente Sandro Chia, Enzo Cucchi, Nicola De Maria und Mimmo Paladino - wird jetzt in Italien zum ersten Mal überhaupt eine große Retrospektive gewidmet - rund 30 Jahre nach dem Entstehen dieses Maltrends in Italien. Die Transavanguardia - als Begriff von dem Kunstkritiker Achille Bonito Oliva definiert - war eine Reaktion junger wilder Maler. Eine Reaktion gegen die damals vorherrschende Konzept-Art und die ebenfalls italienische Arte Povera. Beides Kunstrichtungen, die von dem Quintett Clementi-Cucchi-Chia-De Maria-Paladino entschieden als "viel zu traurig und grau" verworfen wurde. Die jetzt im Castello di Rivoli bei Turin - das vielleicht wichtigste Museum für zeitgenössische Kunst in Italien - zu sehenden Bilder wirken wie ein Bombardement der Farben und Formen, der Lust am Bunten, am Üppigen und, meint Maurizio Calvesi, am Undogmatischen:

    Der Zusammenschluss dieser Maler löste in der Kunstszene einen Tumult aus. Ihre Malerei ist durchsetzt mit künstlerischen Zitaten der Vergangenheit. Sie vollzogen nicht den radikalen Bruch wie andere zeitgenössische Maler. Sie waren darin, wenn man so will, postmodern. Wer so malte, nahmen viele damals an, verurteilt sich selbst zum künstlerischen Tod.

    Eine Fehleinschätzung. Die Bilder von Sandro Chia zum Beispiel: sie werden heute auf dem internationalen Kunstmarkt zu schwindelerregenden Preisen gehandelt. Die Ausstellung im Castello di Rivola macht auch noch heute - angesichts einer, wenn man so will, immer unpersönlicher, immer technologischer wirkenden Kunst - ungemeint sinnlich und lustvoll. Enzo Cucchis "Heiliger von Loreto" ist eine Farbexplosion in Knallrot, in gleißendem Geld und mit intensiven Schwarztönen. Zu sehen ist - und auf allen Bilder der Transavanguardisten kann man die Figuren deutlich erkennen, denn das abstrakte Malen lehnen diese Künstler entschieden ab - eine Art Salamander vor roten Hügeln. Sandro Chias "Sun of Son" - das Bild zeigt einen jungen Mann, der mit einem Bündel auf den Schultern durch eine sonnendurchflutete Landschaft geht - erinnert in seiner Formensprache an Maler der faschistischen Epoche. Clementes "Ring" - die Darstellung eines naiv gemalten Boxers vor dem römischen Pantheon - wirkt wie eine Anspielung an den Futurismus. Mimmo Paladinos "Der große Kabalist" hingegen greift die Malerei der australischen Ureinwohner auf. Maurizio Calvesi:

    Die Kunstrichtung der Transavanguardia ist von vielen nicht richtig studiert worden. Ein Fehler, denn sie ist eine Explosion der Mallust in einer Zeit, in der fast alle Künstler nur noch intellektuell überhöhte aber keine sinnliche Kunst anbieten. Die Maler der Transavanguardia hingegen appellieren an unsere Lust zu sehen und deshalb wurden diese Abenteurer der Malerei auch so erfolgreich.

    Die Kunstschau in Rivoli bei Turin kommt in ihrem Katalog auch auf die Neuen Wilden in Deutschland zu sprechen. Auf Maler, die man nicht der Transavanguardia zuordnet - die aber wie Chia und Clemente, wie De Maria, wie Cucchi und Paladino die Lust am Malen und die Kraft der Farben ausleben wollen.

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