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Transmediale – das Festival für Digitale Kultur
Reaktionäre Wende in der Kommunikation

Was kann man heute noch für bare Münze nehmen und wie lässt sich eine hinterfragende Meinungskultur fördern? Bei der diesjährigen Transmediale analysieren Wissenschaftler, Künstler und Politaktivisten, was digitale Kultur inzwischen bedeutet.

Von Oliver Kranz | 01.02.2018
    "Face-Value" ist das Motto der diesjährigen Transmediale im HKW Berlin
    "Face-Value" ist das Motto der diesjährigen Transmediale im HKW Berlin (imago stock&people)
    Selbstverliebte Technikspielerei war gestern. Im diesjährigen Transmediale-Jingle ist ein unheimliches Rattern zu hören. Das Festival betrachtet negative Trends
    "Es geht hier um eine reaktionäre Wende innerhalb der digitalen und der Kommunikationskultur generell."
    Sagt Kristoffer Gansing, der Leiter der Transmediale. Er verweist auf das Motto "Face Value" - auf Deutsch: "Nominalwert".
    "Auf Deutsch würde man sagen: "Dinge für bare Münze zu nehmen". Das ist ein Anlass darüber zu reflektieren, ob wir alles, was wir heute durch Medien erfahren, für bare Münze nehmen sollen oder können. Es ist ein Versuch auch wirklich, eine tiefgehende Diskussion und Reflexion darüber zu haben, wie man auch vielleicht eine mehr hinterfragende Meinungskultur heute fördern kann."
    Fremdenfeindliche Denkmodelle
    Sogenannte "alternative Fakten" kursieren heute überall - in Blogs, sozialen Netzwerken und damit auch in der öffentlichen Diskussion. Die Transmediale hat Künstler eingeladen, die versuchen, diesem Trend etwas entgegenzusetzen. Der Brite Nick Thurston hat im Foyer des Hauses der Kulturen der Welt große Tafeln aufgestellt, auf denen er Chatverläufe rechtsextremer Internetforen protokolliert hat. Auch Bücher mit gesammelten Zitaten liegen bereit - daher der Name des Projekts: Hass-Bibliothek. Nick Thurston:
    "Das Material ist nicht dazu da, um irgendjemanden von etwas zu überzeugen. Das Material wird ausgestellt, so dass man es sich in einer Gruppe anschauen kann. Die Leute können sich untereinander austauschen und nachdenken, wie sie darauf reagieren wollen."
    Von Angesicht zu Angesicht, auch das hat seinen Wert - Face Value. Nick Thurston möchte niemanden manipulieren oder aufhetzen. Seine Bibliothek bietet keine Sammlung drastischster Zitate, sondern repräsentative Ausschnitte. Da wird ganz unaufgeregt auf die polnische Methode zum Umgang mit Flüchtlingen verwiesen oder gefragt, ob der Islam oder das Judentum die größere Bedrohung für Europa seien - Rassismus pur, aber nicht strafrechtlich verfolgbar. Das deutsche Gesetz gegen Hasskommentare in sozialen Netzwerken hält Nick Thurston für wirkungslos. Er wird bei der Transmediale-Konferenz am Samstag über Sprache als Waffe sprechen, über Strategien, wie man fremdenfeindlichen Denkmodellen begegnet.
    Wie politisch das Festival in diesem Jahr ist, wurde gestern bei der Eröffnung klar. Redner, die in den kommenden Tagen Vorträge halten und bei Diskussionen auftreten, plädierten für Wahrhaftigkeit in der digitalen Kommunikation und eine demokratische Kontrolle großer Netzbetreiber. Der italienische Politologe Alex Foti rief sogar zum Kampf gegen den Kapitalismus auf:
    "Nationalism is back, and the left is held in check, so we need a whole new anticapitalist hack."
    Alles ist alles
    Doch was hat das mit digitaler Kultur zu tun? Der Festivalleiter Kristoffer Gansing erklärt:
    "Ich sage immer, dass die Transmediale schon ein postdigitales Festival ist, in dem Sinn, dass wir eigentlich nicht die Trennung zwischen analog und digital fast nicht mehr wahrnehmen. Wir sind überall eigentlich mit Netzwerken verbunden und wenn wir heute über Digitalisierung sprechen, ist es nicht mehr ein Nischending."
    Das Themenfeld der Transmediale ist in diesem Jahr derart breit, dass die Konturen verloren gehen. Eine der Ausstellungen, die im Rahmen des Festivals zu sehen sind, präsentiert nicht Kunst, sondern erklärt das Konzept eines Freihafens, eine andere zeigt eine Installation der US-Amerikanerin Heather Dewey-Hagborg. Die Künstlerin hat eine DNA-Probe der Whistleblowerin Chelsea Manning analysiert und auf der Grundlage der gewonnenen Daten Porträts erstellt. Einige haben dunklere Haut, andere ganz helle. Und auch die Haar- und Augenfarben unterscheiden sich.
    "Das Projekt richtet sich gegen die Klischeevorstellung, dass man genetische Daten eindeutig interpretieren kann. Die 30 Porträts, die ich hier zeige, sind nur ein kleiner Ausschnitt der vielen Möglichkeiten, wie man Chelsea Mannings DNA interpretieren kann. Es gibt keine Eindeutigkeit - weder bei der DNA, noch bei anderen Daten, die Menschen hinterlassen. Jeder von uns hinterlässt ja ständig Spuren."
    Heather Dewey-Hagborgs Installation passt wunderbar ins Konzept der diesjährigen Transmediale, die unter dem Motto "Face Value" nach eindeutigen Werten fragt und überall nur Unsicherheit findet.