"Es gibt eine Praxis des historischen Forschens und Lehrens, und die kann man in nationaler Beschränktheit oder in internationaler Öffnung betreiben."
Miteinander über territoriale Grenzen hinweg forschen und arbeiten. Das sei schon mal der erste Schritt, für den die Zunft beim Historikertag ein Signal setzen wolle, meint der Vorsitzende des Verbandes der Historiker und Historikerinnen Deutschlands, Professor Werner Plumpe.
"Diese Öffnung ist weit voran geschritten in der Zwischenzeit. Es gibt viele ausländische Gelehrte, die in Deutschland arbeiten und lehren. Es gibt auch sehr viele deutsche Gelehrte, die im Ausland sind, in Amerika, in England, in der Schweiz, überall, wo man sich dass vorstellen kann, sind die tätig, und das empfinden wir nicht nur in rein menschlicher Hinsicht als eine Bereicherung, sondern das stellt eben auch eine Öffnung unserer wissenschaftlichen Paradigmen dar."
Diese Öffnung wird weit gehen. Geschichtswissenschaft, sagt Werner Plumpe, wurde lange Zeit in Europa und Amerika gemacht.
"Was heute eben ganz zentral und neu für uns ist, ist das, dass die Geschichtswissenschaft selber als Praxis eben nicht mehr nur von Europäern und Amerikanern betrieben wird, sondern auch von Chinesen und von Indern. Dass also die chinesische oder die indische und auch die afrikanische Geschichte nicht als Ergebnis europäischer oder amerikanischer Forschung in diese Prozesse hinein geht, sondern dass wir jetzt die dort sich entwickelnden Geschichtswissenschaften oder die dort bereits etablierten Geschichtswissenschaften als Gesprächspartner gewinnen wollen und da können wir auch sehr viel lernen."
Um sich auszutauschen und miteinander zu arbeiten, um voneinander zu lernen - dafür braucht es noch etwas anderes.
"Das setzt aber wirklich voraus, dass man die Sprachen kennt, dass man die Quellen kennt, also dass das Handwerkszeug des Historikers in dieser Hinsicht auch gekonnt wird. Und insofern würde der verband es sehr begrüßen, wenn es nicht zu einer - sagen wir - einsprachigen Weltgeschichte kommt. Also es sollte nicht alles Englisch sein, sondern die Geschichte ist eben auch etwas, was sich in den Sprachen, durch die Sprachen vollzieht. Von daher sollte die Vielfalt der Sprachen auch schon konstitutives Moment dieser über Grenzen Öffnung sein."
Weg vom zentrierten Blick möchte man also und damit auch inhaltlich weg von der Nabelschau in engen nationalen Grenzen. Mit der Entwicklung der Nationalstaaten konzentrierte sich das Interesse der Historiker lange Zeit auf die Nationalgeschichtsschreibung. Wenn sich heute politische Entwicklungen vom Nationalstaat lösen, wie beispielsweise in Europa, dann erweitert das zugleich die historische Perspektive auf viele nationalstaatliche "Sonderwege."
"Wenn man das in einen größeren internationalen Rahmen stellt, dann sieht man plötzlich, wie die Dinge miteinander zusammenhängen, dass Vieles, was bei einem rein nationalen Blick uns als etwas Besonderes erscheint - wenn man es in eine internationale Perspektive stellt, doch sehr viel von seiner Apartheid verliert, von seiner Besonderheit verliert. Überdies kann man in dieser Perspektive sehen, dass es so etwas wie eine Nationalgeschichte in Isoliertheit eigentlich nie gegeben hat. Das ist bestenfalls eine Konstruktion."
Doch während sich die Geschichtswissenschaft von der Nation lösen und die Perspektive partnerschaftlich im internationalen Kontext erweitern will, finden auf der Ebene der Nationalstaaten neue Kleinkriege um geschichtliche Deutung statt. Eine von vielen Sektionen auf dem Historikertag in Berlin beschäftigte sich mit so genannten "History Wars". Der Historiker Professor Eckhardt Fuchs von der Technischen Universität Braunschweig.
"History Wars sind öffentliche Debatten, also Debatten, die über die Geschichtswissenschaft selbst hinausgehen, Debatten über die Interpretation von Ereignisse von Geschichte, zumeist der Nationalgeschichte. History Wars vollziehen sich in den letzten Jahren insbesondere in zwei Formen, wie man das sagen kann: innerhalb einer Gesellschaft, indem verschiedene politische, soziale oder ethnische Gruppen Auseinandersetzungen über die Interpretation von Geschichte führen, auf der einen Seite. Auf der anderen Seite History Wars zwischen zwei oder auch mehreren Ländern, in dem es also darum geht, dass diese Länder die gemeinsame Geschichte unterschiedlich interpretieren und das zu Konflikten führt."
Nahe Nachbarn hegen meist intensive und lang andauernde Vorurteile gegeneinander, die nicht selten mit unterschiedlichen Geschichtsdeutungen einhergehen. Geschichte zwischen Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft bleibt ein Spannungsfeld nicht nur in Europa. Auch zwischen Japan, Südkorea und China. Dort verursacht der Konflikt über die Deutung der gemeinsamen Vergangenheit regelmäßig politische Krisen.
"Es geht darum, dass China und Südkorea Japan vorwerfen, sich nicht mit der eigenen kolonialen Vergangenheit und vor allem mit den Kriegsverbrechen Japans im Zweiten Weltkrieg auseinandergesetzt zu haben, ein beschönigendes oder revisionistisches Geschichtsbild in Japan nach wie vor in den Schulbüchern propagiert wird, und hier keine Versöhnungspolitik von Japan selbst ausgeht."
Historiker weltweit könnten und wollen dazu beitragen, diese Konflikte abzuschwächen oder Lösungsmöglichkeiten in der öffentlichen Debatte anzustoßen. Eine Möglichkeit sind wiederum Schulbücher. Die Historikerin Simone Lässig, Professorin an der Technischen Universität Braunschweig, bezeichnet sie als Konfliktgegenstand und Hoffnungsträger zugleich.
"Überall da, wo über History Wars gesprochen wird, aber eben auch über Möglichkeiten der Verständigung taucht sofort auch das Stichwort Schulbuch, Geschichtsbuch speziell auf. Das hängt einfach damit zusammen, dass Schulbücher diese ambivalente Rolle haben. Sie werden sehr, sehr schnell zum Politikum, einfach auch, weil sie eine große Reichweite besitzen und für Staaten, für politische Gruppen dadurch sehr interessant sind als deutendes Medium."
Heute möchten Historiker in Schulgeschichtsbüchern gerne transnationale Sichtweisen vermittelt sehen. Deutlich werden soll:
"Es gibt unterschiedliche Deutungen von Geschichte. Die wird es immer geben. Aber die müssen nicht notwendigerweise zu Ausschlussmechanismen führen, die müssen nicht symbolische Grenzen definieren und gleich gar nicht Feindbilder festschreiben und historisch legitimieren."
"Da gibt es ja in der Zwischenzeit - auch das ist eine sehr positive Entwicklung - ja eine breite, breite Vielfalt an Kommissionen der unterschiedlichen europäischen Staaten, die sich gegenseitig in die Geschichtsbücher hineinschauen und sich dann überlegen: Kann man eigentlich so was so machen? Und wo konfligieren unsere Geschichtsbilder in den Schulbüchern in einer Weise, dass das gar nicht geht? Und wie können wir unsere gegenseitige Wahrnehmung besser aufgreifen? Wie werden wir einander besser gerecht? Das sind Dinge, die im Moment in Bewegung sind und da kann man eigentlich ganz optimistisch sein."
Im Übrigen, sagt der Wirtschaftshistoriker Werner Plumpe, führe heute gar kein Weg mehr daran vorbei, zentristische Blicke aufzugeben - ob im Geschichtsbuch oder in der Forschung. Sonst könne man zum Beispiel die globalen Zusammenhänge der modernen Wirtschaftskrise nicht mehr erfassen.
"Während sie im 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts noch von Europa ausgehend und von den USA ausgehend Weltwirtschaftsgeschichte beschreiben konnten und man von daher auch das Krisengeschehen, .... sehr gut aus unserer Perspektive in den Griff bekommen können, sehen sie heute, dass sie ohne die Einbindung einer indischen, einer russischen, einer brasilianischen oder einer chinesischen Dimension diese Krise und ihren Verlauf gar nicht mehr verstehen können. Es ist also nicht rein normativer Wunsch, die Grenzen zu überwinden, sondern es ist auch das Eingeständnis, dass sich die Welt, in der wir leben, bereits so verändert hat, dass wir an diesen alten Zentrismen nicht mehr festhalten können!"
Das kann man auch als Appell verstehen.
"Ich werde allerdings darauf hinweisen, dass in den jeweils nationalen Geschichtspolitiken häufig an alten Klischees festgehalten wird. Und wenn man hier vielleicht ein bisschen für Auflockerung sorgen könnte, dann wäre der Historikertag auch nicht ohne Sinn."
Miteinander über territoriale Grenzen hinweg forschen und arbeiten. Das sei schon mal der erste Schritt, für den die Zunft beim Historikertag ein Signal setzen wolle, meint der Vorsitzende des Verbandes der Historiker und Historikerinnen Deutschlands, Professor Werner Plumpe.
"Diese Öffnung ist weit voran geschritten in der Zwischenzeit. Es gibt viele ausländische Gelehrte, die in Deutschland arbeiten und lehren. Es gibt auch sehr viele deutsche Gelehrte, die im Ausland sind, in Amerika, in England, in der Schweiz, überall, wo man sich dass vorstellen kann, sind die tätig, und das empfinden wir nicht nur in rein menschlicher Hinsicht als eine Bereicherung, sondern das stellt eben auch eine Öffnung unserer wissenschaftlichen Paradigmen dar."
Diese Öffnung wird weit gehen. Geschichtswissenschaft, sagt Werner Plumpe, wurde lange Zeit in Europa und Amerika gemacht.
"Was heute eben ganz zentral und neu für uns ist, ist das, dass die Geschichtswissenschaft selber als Praxis eben nicht mehr nur von Europäern und Amerikanern betrieben wird, sondern auch von Chinesen und von Indern. Dass also die chinesische oder die indische und auch die afrikanische Geschichte nicht als Ergebnis europäischer oder amerikanischer Forschung in diese Prozesse hinein geht, sondern dass wir jetzt die dort sich entwickelnden Geschichtswissenschaften oder die dort bereits etablierten Geschichtswissenschaften als Gesprächspartner gewinnen wollen und da können wir auch sehr viel lernen."
Um sich auszutauschen und miteinander zu arbeiten, um voneinander zu lernen - dafür braucht es noch etwas anderes.
"Das setzt aber wirklich voraus, dass man die Sprachen kennt, dass man die Quellen kennt, also dass das Handwerkszeug des Historikers in dieser Hinsicht auch gekonnt wird. Und insofern würde der verband es sehr begrüßen, wenn es nicht zu einer - sagen wir - einsprachigen Weltgeschichte kommt. Also es sollte nicht alles Englisch sein, sondern die Geschichte ist eben auch etwas, was sich in den Sprachen, durch die Sprachen vollzieht. Von daher sollte die Vielfalt der Sprachen auch schon konstitutives Moment dieser über Grenzen Öffnung sein."
Weg vom zentrierten Blick möchte man also und damit auch inhaltlich weg von der Nabelschau in engen nationalen Grenzen. Mit der Entwicklung der Nationalstaaten konzentrierte sich das Interesse der Historiker lange Zeit auf die Nationalgeschichtsschreibung. Wenn sich heute politische Entwicklungen vom Nationalstaat lösen, wie beispielsweise in Europa, dann erweitert das zugleich die historische Perspektive auf viele nationalstaatliche "Sonderwege."
"Wenn man das in einen größeren internationalen Rahmen stellt, dann sieht man plötzlich, wie die Dinge miteinander zusammenhängen, dass Vieles, was bei einem rein nationalen Blick uns als etwas Besonderes erscheint - wenn man es in eine internationale Perspektive stellt, doch sehr viel von seiner Apartheid verliert, von seiner Besonderheit verliert. Überdies kann man in dieser Perspektive sehen, dass es so etwas wie eine Nationalgeschichte in Isoliertheit eigentlich nie gegeben hat. Das ist bestenfalls eine Konstruktion."
Doch während sich die Geschichtswissenschaft von der Nation lösen und die Perspektive partnerschaftlich im internationalen Kontext erweitern will, finden auf der Ebene der Nationalstaaten neue Kleinkriege um geschichtliche Deutung statt. Eine von vielen Sektionen auf dem Historikertag in Berlin beschäftigte sich mit so genannten "History Wars". Der Historiker Professor Eckhardt Fuchs von der Technischen Universität Braunschweig.
"History Wars sind öffentliche Debatten, also Debatten, die über die Geschichtswissenschaft selbst hinausgehen, Debatten über die Interpretation von Ereignisse von Geschichte, zumeist der Nationalgeschichte. History Wars vollziehen sich in den letzten Jahren insbesondere in zwei Formen, wie man das sagen kann: innerhalb einer Gesellschaft, indem verschiedene politische, soziale oder ethnische Gruppen Auseinandersetzungen über die Interpretation von Geschichte führen, auf der einen Seite. Auf der anderen Seite History Wars zwischen zwei oder auch mehreren Ländern, in dem es also darum geht, dass diese Länder die gemeinsame Geschichte unterschiedlich interpretieren und das zu Konflikten führt."
Nahe Nachbarn hegen meist intensive und lang andauernde Vorurteile gegeneinander, die nicht selten mit unterschiedlichen Geschichtsdeutungen einhergehen. Geschichte zwischen Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft bleibt ein Spannungsfeld nicht nur in Europa. Auch zwischen Japan, Südkorea und China. Dort verursacht der Konflikt über die Deutung der gemeinsamen Vergangenheit regelmäßig politische Krisen.
"Es geht darum, dass China und Südkorea Japan vorwerfen, sich nicht mit der eigenen kolonialen Vergangenheit und vor allem mit den Kriegsverbrechen Japans im Zweiten Weltkrieg auseinandergesetzt zu haben, ein beschönigendes oder revisionistisches Geschichtsbild in Japan nach wie vor in den Schulbüchern propagiert wird, und hier keine Versöhnungspolitik von Japan selbst ausgeht."
Historiker weltweit könnten und wollen dazu beitragen, diese Konflikte abzuschwächen oder Lösungsmöglichkeiten in der öffentlichen Debatte anzustoßen. Eine Möglichkeit sind wiederum Schulbücher. Die Historikerin Simone Lässig, Professorin an der Technischen Universität Braunschweig, bezeichnet sie als Konfliktgegenstand und Hoffnungsträger zugleich.
"Überall da, wo über History Wars gesprochen wird, aber eben auch über Möglichkeiten der Verständigung taucht sofort auch das Stichwort Schulbuch, Geschichtsbuch speziell auf. Das hängt einfach damit zusammen, dass Schulbücher diese ambivalente Rolle haben. Sie werden sehr, sehr schnell zum Politikum, einfach auch, weil sie eine große Reichweite besitzen und für Staaten, für politische Gruppen dadurch sehr interessant sind als deutendes Medium."
Heute möchten Historiker in Schulgeschichtsbüchern gerne transnationale Sichtweisen vermittelt sehen. Deutlich werden soll:
"Es gibt unterschiedliche Deutungen von Geschichte. Die wird es immer geben. Aber die müssen nicht notwendigerweise zu Ausschlussmechanismen führen, die müssen nicht symbolische Grenzen definieren und gleich gar nicht Feindbilder festschreiben und historisch legitimieren."
"Da gibt es ja in der Zwischenzeit - auch das ist eine sehr positive Entwicklung - ja eine breite, breite Vielfalt an Kommissionen der unterschiedlichen europäischen Staaten, die sich gegenseitig in die Geschichtsbücher hineinschauen und sich dann überlegen: Kann man eigentlich so was so machen? Und wo konfligieren unsere Geschichtsbilder in den Schulbüchern in einer Weise, dass das gar nicht geht? Und wie können wir unsere gegenseitige Wahrnehmung besser aufgreifen? Wie werden wir einander besser gerecht? Das sind Dinge, die im Moment in Bewegung sind und da kann man eigentlich ganz optimistisch sein."
Im Übrigen, sagt der Wirtschaftshistoriker Werner Plumpe, führe heute gar kein Weg mehr daran vorbei, zentristische Blicke aufzugeben - ob im Geschichtsbuch oder in der Forschung. Sonst könne man zum Beispiel die globalen Zusammenhänge der modernen Wirtschaftskrise nicht mehr erfassen.
"Während sie im 19. bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts noch von Europa ausgehend und von den USA ausgehend Weltwirtschaftsgeschichte beschreiben konnten und man von daher auch das Krisengeschehen, .... sehr gut aus unserer Perspektive in den Griff bekommen können, sehen sie heute, dass sie ohne die Einbindung einer indischen, einer russischen, einer brasilianischen oder einer chinesischen Dimension diese Krise und ihren Verlauf gar nicht mehr verstehen können. Es ist also nicht rein normativer Wunsch, die Grenzen zu überwinden, sondern es ist auch das Eingeständnis, dass sich die Welt, in der wir leben, bereits so verändert hat, dass wir an diesen alten Zentrismen nicht mehr festhalten können!"
Das kann man auch als Appell verstehen.
"Ich werde allerdings darauf hinweisen, dass in den jeweils nationalen Geschichtspolitiken häufig an alten Klischees festgehalten wird. Und wenn man hier vielleicht ein bisschen für Auflockerung sorgen könnte, dann wäre der Historikertag auch nicht ohne Sinn."