Das übergreifende Thema des Soziologentages stand schon fest, da zeigte sich, wie aktuell es ist: In Deutschland kritisiert Thilo Sarrazin den Islam, in den Niederlanden fährt die rechtspopulistische Partei von Geert Wilders hohe Wählerstimmen ein, und der französische Präsident Nicolas Sarkozy will einen Teil der im Lande lebenden Roma abschieben. Der Multikulturalismus hat längst aufgehört, ein Sonntagsthema zu sein. Stattdessen treibt er die Emotionen hoch wie kaum ein anderes Thema. Für Soziologen ist das nicht erstaunlich, meint Hans-Georg Soeffner, der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Soziologie. In modernen Einwanderungsgesellschaften wird es immer wieder Konflikte der unterschiedlichen Bevölkerungsgruppen geben, und zwar vor allem aus einem Grund.
"Weil die unterschiedlichen Kulturen - natürlich im Wesentlichen auch Religionen - darauf beharren, dass die von ihnen zu Teilen über Jahrhunderte vertretenen Werte nicht einfach von heute auf morgen aufgegeben werden. Das ist ganz unglaubwürdig, dass so etwas stattfinden könnten. Aber was natürlich möglich ist - und das ist eine Frage der Erziehungssysteme - dass die Kulturen einander kennenlernen. Solange die zwar in einem Land nebeneinander her leben, entweder ghettoisiert oder mit eigenen Wertmaßstäben in eigenen Familiensystemen, und keine Möglichkeit besteht, sowohl die rituellen Differenzen als auch die Wertdifferenzen wechselseitig kennenzulernen, das muss gelehrt werden - oder gelebt werden - gibt es keine Chance für ein gedeihliches Zusammenleben."
Wer guten Willens ist und bereit, die Chancen einer multikulturellen Gesellschaft zu nutzen, der kann ungeheuer von ihr profitieren. Er kommt in Kontakt mit neuen Sprachen, er lernt neue Mentalitäten, Standpunkte, Argumente kennen. Das Problem ist nur, dass ein so verstandener Multikulturalismus vor allem ein Elitenphänomen ist, eben jene Art des offenen Miteinanders, wie man sie auf internationalen Konferenzen findet - in einem ziemlich elitären Umfeld also. Im Grunde weist das Phänomen in die richtige Richtung, meint Hans-Georg Soeffner. Denn grundsätzlich treffe es ja zu,
"dass die Kontaktzwänge, die wir heute haben in den unterschiedlichen Kulturen, dazu führen, dass wir Möglichkeiten kennenlernen - auch in unserer eigenen Kultur - die wir früher nicht hatten. Das ist eine ungeheure Chance. Ich habe ein Wort von Plessner benutzt, wir müssen denken im kategorischen Konjunktiv. Das heißt, in Möglichkeitsräumen. Diese Chance ist aber andererseits dadurch belastet, dass Möglichkeiten, die sich als geschlossenen bieten, also als alternativlos - beispielsweise die Übernahme einer anderen Religion, einer fundamentalistischen Weltanschauung, dass solche Möglichkeiten eigentlich keinen sind. Sie fordern zu entschiedenen Wahlen auf, und damit fordern sie auch zu Konflikten letzten Endes auf, die irgendwie gelöst werden müssen. Also der Freiheitsraum wird in vielen Fällen als Bedrohung - und nicht mal zu Unrecht - empfunden."
Ähnlich sieht es auch der Soziologe Hartmut Esser. Er hat sich in einer ausgiebigen Studie mit der Frage auseinandergesetzt, wie Migranten die Sprache ihres Gastlandes lernen. Dabei hat er vor allem eines festgestellt: Wie schnell jemand die fremde Sprache lernt, hängt vor allem von den Voraussetzungen des Elternhauses ab. Die Möglichkeiten des Staates zur Sprachförderung - und damit zur Integration seien dagegen bescheiden.
"Wenn Integrationspolitik irgendetwas ändert, dann kommt das nur über tausend Umwege an und vermag gegen die alltäglichen Zwänge aus der Familien- und Migrationsbiografie heraus eigentlich relativ wenig auszurichten. Was sich immer wieder zeigt, dass etwas drei Viertel der erklärten Varianz - so nennen wir das - auf die individuellen Faktoren zurückzuführen ist, und das restliche Viertel auf irgendetwas an der Aufnahmegesellschaft. Das muss keine spezifische Politik sein, das kann alles möglich sein. Ob es traditionelle Einwanderungsgesellschaften sind oder so. Aber nur ein Viertel. Sodass also, wenn man jetzt guckt, wo drehe ich dran, an welcher Schraube, man sagen muss, an der Familienangelegenheit, das heißt Alltag, Stadtteil, Schule, Kindergarten vor allen Dingen und so weiter. Und das andere zur Unterstützung - wenn das nichts kostet, kann man das ja machen, auch Symbolpolitik kann man ruhig machen. Aber man sollte sich nicht allzu viel davon versprechen."
Essers Studie ist mitsamt den empirischen Daten, die sie liefert, ein Hinweis darauf, dass moderne Einwanderungsgesellschaften, humanitäre Erwägungen einmal beiseitegelassen, eine aktive Einwanderungspolitik betreiben sollten. Zu der zählt auch die Frage, wie viele Migranten sie ins Land lässt. Denn je mehr Menschen einer Gruppe in ein Land einwandern, desto schwerer integrieren sie sich. Es käme also darauf an, nicht zu große Gruppen einwandern zu lassen.
"Damit habe ich Assimilation sozusagen strukturell erzwungen. Je größer die Gruppe wird, muss das nicht mehr sein. Und ich vermute, dass es eine ganze Reihe von Phänomen gibt. Ich muss nicht von Parallelgesellschaften sprechen. Aber wenn ich Sprache, Netzwerke, auch Identitäten auch immer wieder im eigenen Bereich bestätigt kriege - und Sprache, Netzwerke, Identitäten helfen mir außerhalb dieses Bereiches beim Aufstieg überhaupt nichts, so wie sich zeigt, also das mit der ethnischen Ressource ist so oder so - es kann eine sein, aber für Unterschichten ist es keine Ressource. Dann ist es eher eine Belastung oder ein Stigma sogar."
Überhaupt nützt die Globalisierung vor allem den gesellschaftlichen Eliten. Doch auch diese sind teilweise überfordert, beobachtet der Soziologe Hartmut Rosa, Autor einer großen Studie über das Phänomen der Beschleunigung. Wo sich Chancen vermehren, wächst auch der Wunsch, sie zu nutzen. Dadurch wachse aber die Versuchung, dem jeweils Naheliegenden zu folgen. Die Zukunft rücke dadurch in die Ferne. Das habe auch Folgen für den Willen, sie zu gestalten.
"Akteure orientieren sich nicht mehr an langfristigen Zielen, die sie sich setzen, so etwas wie Lebensprojekten oder Lebensplänen und Ideen, was sie aus ihrem Leben machen wollen. Sondern sie handeln sehr viel situativer an den gegenwärtigen Möglichkeiten orientiert. Und eigentlich ist die Handlungsmaxime, der wir fast alle folgen, die, die Zahl der Optionen, der Möglichkeiten zu erhöhen und zu vergrößern. Das heißt, wir handeln aus einer Gegenwartsperspektive in einer Richtung, aus der wir hoffen, dass es uns für die Zukunft mehr Möglichkeiten gibt. Aber was uns fehlt, sind langfristige Zielhorizonte, auf die wir zuarbeiten."
Die kurzen Fristen, die sich in den letzten Jahren immer mehr Menschen setzen, erzeugen Stress - Globalisierungsstress, wenn man will. Es gibt so viel zu tun, und nichts soll ausgelassen werden. Ob die Menschen dadurch aber glücklich werden? Wertorientierung in globalisierten Zeiten, auch das war ein Thema des Kongresses. Bislang definierten wir unsere Werte meist materiell. Diese Neigung, so der Tenor, werden die Bürger der westlichen Welt überdenken müssen. Denn wenn sich die Ressourcen der Erde ihrem Ende nähern, unterhöhlt das auch die mit ihnen verbundenen Wertvorstellungen. Am Ende dieser nun begonnenen Diskussion, glaubt Hartmut Rosa, ein eigentlich sehr nüchterner Sozialwissenschaftler, könnte durchaus ein neues Verständnis vom guten Leben entstehen lassen.
"Ich glaube schon, dass wir auch die Hoffnung haben können, eine neue Definition von Fülle zu finden. Das Fülle eben nicht bedeutet, dass wir an Gütern immer reicher werden, sondern dass wir eine andere Form der Welterfahrung auch suchen. Dass wir sagen, das, was ich will, ist nicht ein größeres Auto oder so, sondern eine andere Form, mit der Welt in Kontakt zu treten - nämlich Resonanzerfahrungen zu machen, das Gefühl zu haben, in einer antwortenden oder atmenden oder wie die Romantiker sagen würden, in einer singenden Welt zu leben. Solche Erfahrungen können wir in sozialen Beziehungen machen, in Vereinen zum Beispiel oder in der Natur beim Wandern, aber nicht unbedingt durch die Steigerung von Konsum."
"Weil die unterschiedlichen Kulturen - natürlich im Wesentlichen auch Religionen - darauf beharren, dass die von ihnen zu Teilen über Jahrhunderte vertretenen Werte nicht einfach von heute auf morgen aufgegeben werden. Das ist ganz unglaubwürdig, dass so etwas stattfinden könnten. Aber was natürlich möglich ist - und das ist eine Frage der Erziehungssysteme - dass die Kulturen einander kennenlernen. Solange die zwar in einem Land nebeneinander her leben, entweder ghettoisiert oder mit eigenen Wertmaßstäben in eigenen Familiensystemen, und keine Möglichkeit besteht, sowohl die rituellen Differenzen als auch die Wertdifferenzen wechselseitig kennenzulernen, das muss gelehrt werden - oder gelebt werden - gibt es keine Chance für ein gedeihliches Zusammenleben."
Wer guten Willens ist und bereit, die Chancen einer multikulturellen Gesellschaft zu nutzen, der kann ungeheuer von ihr profitieren. Er kommt in Kontakt mit neuen Sprachen, er lernt neue Mentalitäten, Standpunkte, Argumente kennen. Das Problem ist nur, dass ein so verstandener Multikulturalismus vor allem ein Elitenphänomen ist, eben jene Art des offenen Miteinanders, wie man sie auf internationalen Konferenzen findet - in einem ziemlich elitären Umfeld also. Im Grunde weist das Phänomen in die richtige Richtung, meint Hans-Georg Soeffner. Denn grundsätzlich treffe es ja zu,
"dass die Kontaktzwänge, die wir heute haben in den unterschiedlichen Kulturen, dazu führen, dass wir Möglichkeiten kennenlernen - auch in unserer eigenen Kultur - die wir früher nicht hatten. Das ist eine ungeheure Chance. Ich habe ein Wort von Plessner benutzt, wir müssen denken im kategorischen Konjunktiv. Das heißt, in Möglichkeitsräumen. Diese Chance ist aber andererseits dadurch belastet, dass Möglichkeiten, die sich als geschlossenen bieten, also als alternativlos - beispielsweise die Übernahme einer anderen Religion, einer fundamentalistischen Weltanschauung, dass solche Möglichkeiten eigentlich keinen sind. Sie fordern zu entschiedenen Wahlen auf, und damit fordern sie auch zu Konflikten letzten Endes auf, die irgendwie gelöst werden müssen. Also der Freiheitsraum wird in vielen Fällen als Bedrohung - und nicht mal zu Unrecht - empfunden."
Ähnlich sieht es auch der Soziologe Hartmut Esser. Er hat sich in einer ausgiebigen Studie mit der Frage auseinandergesetzt, wie Migranten die Sprache ihres Gastlandes lernen. Dabei hat er vor allem eines festgestellt: Wie schnell jemand die fremde Sprache lernt, hängt vor allem von den Voraussetzungen des Elternhauses ab. Die Möglichkeiten des Staates zur Sprachförderung - und damit zur Integration seien dagegen bescheiden.
"Wenn Integrationspolitik irgendetwas ändert, dann kommt das nur über tausend Umwege an und vermag gegen die alltäglichen Zwänge aus der Familien- und Migrationsbiografie heraus eigentlich relativ wenig auszurichten. Was sich immer wieder zeigt, dass etwas drei Viertel der erklärten Varianz - so nennen wir das - auf die individuellen Faktoren zurückzuführen ist, und das restliche Viertel auf irgendetwas an der Aufnahmegesellschaft. Das muss keine spezifische Politik sein, das kann alles möglich sein. Ob es traditionelle Einwanderungsgesellschaften sind oder so. Aber nur ein Viertel. Sodass also, wenn man jetzt guckt, wo drehe ich dran, an welcher Schraube, man sagen muss, an der Familienangelegenheit, das heißt Alltag, Stadtteil, Schule, Kindergarten vor allen Dingen und so weiter. Und das andere zur Unterstützung - wenn das nichts kostet, kann man das ja machen, auch Symbolpolitik kann man ruhig machen. Aber man sollte sich nicht allzu viel davon versprechen."
Essers Studie ist mitsamt den empirischen Daten, die sie liefert, ein Hinweis darauf, dass moderne Einwanderungsgesellschaften, humanitäre Erwägungen einmal beiseitegelassen, eine aktive Einwanderungspolitik betreiben sollten. Zu der zählt auch die Frage, wie viele Migranten sie ins Land lässt. Denn je mehr Menschen einer Gruppe in ein Land einwandern, desto schwerer integrieren sie sich. Es käme also darauf an, nicht zu große Gruppen einwandern zu lassen.
"Damit habe ich Assimilation sozusagen strukturell erzwungen. Je größer die Gruppe wird, muss das nicht mehr sein. Und ich vermute, dass es eine ganze Reihe von Phänomen gibt. Ich muss nicht von Parallelgesellschaften sprechen. Aber wenn ich Sprache, Netzwerke, auch Identitäten auch immer wieder im eigenen Bereich bestätigt kriege - und Sprache, Netzwerke, Identitäten helfen mir außerhalb dieses Bereiches beim Aufstieg überhaupt nichts, so wie sich zeigt, also das mit der ethnischen Ressource ist so oder so - es kann eine sein, aber für Unterschichten ist es keine Ressource. Dann ist es eher eine Belastung oder ein Stigma sogar."
Überhaupt nützt die Globalisierung vor allem den gesellschaftlichen Eliten. Doch auch diese sind teilweise überfordert, beobachtet der Soziologe Hartmut Rosa, Autor einer großen Studie über das Phänomen der Beschleunigung. Wo sich Chancen vermehren, wächst auch der Wunsch, sie zu nutzen. Dadurch wachse aber die Versuchung, dem jeweils Naheliegenden zu folgen. Die Zukunft rücke dadurch in die Ferne. Das habe auch Folgen für den Willen, sie zu gestalten.
"Akteure orientieren sich nicht mehr an langfristigen Zielen, die sie sich setzen, so etwas wie Lebensprojekten oder Lebensplänen und Ideen, was sie aus ihrem Leben machen wollen. Sondern sie handeln sehr viel situativer an den gegenwärtigen Möglichkeiten orientiert. Und eigentlich ist die Handlungsmaxime, der wir fast alle folgen, die, die Zahl der Optionen, der Möglichkeiten zu erhöhen und zu vergrößern. Das heißt, wir handeln aus einer Gegenwartsperspektive in einer Richtung, aus der wir hoffen, dass es uns für die Zukunft mehr Möglichkeiten gibt. Aber was uns fehlt, sind langfristige Zielhorizonte, auf die wir zuarbeiten."
Die kurzen Fristen, die sich in den letzten Jahren immer mehr Menschen setzen, erzeugen Stress - Globalisierungsstress, wenn man will. Es gibt so viel zu tun, und nichts soll ausgelassen werden. Ob die Menschen dadurch aber glücklich werden? Wertorientierung in globalisierten Zeiten, auch das war ein Thema des Kongresses. Bislang definierten wir unsere Werte meist materiell. Diese Neigung, so der Tenor, werden die Bürger der westlichen Welt überdenken müssen. Denn wenn sich die Ressourcen der Erde ihrem Ende nähern, unterhöhlt das auch die mit ihnen verbundenen Wertvorstellungen. Am Ende dieser nun begonnenen Diskussion, glaubt Hartmut Rosa, ein eigentlich sehr nüchterner Sozialwissenschaftler, könnte durchaus ein neues Verständnis vom guten Leben entstehen lassen.
"Ich glaube schon, dass wir auch die Hoffnung haben können, eine neue Definition von Fülle zu finden. Das Fülle eben nicht bedeutet, dass wir an Gütern immer reicher werden, sondern dass wir eine andere Form der Welterfahrung auch suchen. Dass wir sagen, das, was ich will, ist nicht ein größeres Auto oder so, sondern eine andere Form, mit der Welt in Kontakt zu treten - nämlich Resonanzerfahrungen zu machen, das Gefühl zu haben, in einer antwortenden oder atmenden oder wie die Romantiker sagen würden, in einer singenden Welt zu leben. Solche Erfahrungen können wir in sozialen Beziehungen machen, in Vereinen zum Beispiel oder in der Natur beim Wandern, aber nicht unbedingt durch die Steigerung von Konsum."