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Transparente Autoentwicklung mit RFID

Fertigungstechnik. - Die Innovationszyklen der Automobilindustrie verkürzen sich zusehends, obwohl die Fahrzeuge selbst immer komplexer und variantenreicher werden. Das macht die Entwicklung von Prototypen komplexer. Nur mit moderner Identifikationstechnologie ist die Vielzahl an Komponenten noch beherrschbar.

Von Maximilian Schönherr | 12.03.2010
    Lassen wir’s einen Ingenieur sagen, Dr. Peyman Merat, Leiter der Forschungsabteilung für die "Digitale Produktion" bei Daimler:

    "Nun, wenn Sie eine Erprobung von einem Fahrzeug vornehmen, mit den vielen Varianten, die wir heute haben, auch wenn Sie an die neuen alternativen Antriebe denken, die wir hier jetzt testen wollen, dann müssen Sie ganz genau wissen, welches Bauteil in welchem Entwicklungsstand verbaut worden ist, damit Sie im Nachhinein die Erprobungsergebnisse sauber zuordnen können."

    Es geht hier nicht um Autos, die wir im Laden kaufen können, sondern um Vorstufen davon, die alle schön geheim im Werk bleiben. Bei diesen Prototypen werden laufend Bauteile – Lichtmaschinen, Querlenker, Fensterheber, Batterien, Motoren – ausgetauscht, um zu sehen, welcher Mix am besten harmoniert. Der Prototyp wird umso besser, je mehr Varianten man ausprobiert, und das bringt die Ingenieure in ein Dilemma, denn sie sind schlechte Buchhalter, sie schreiben nur ungern auf, was sie da gerade eingebaut haben. Merat:

    "Das ganze Buchhalterische soll raus aus der Prozesskette. Es hat keinen Mehrwert. Wenn ich Teile automatisch erfassen kann, kann ich die Mitarbeiter in der Werkstatt von den Tätigkeiten entlasten."

    Es ist jetzt so weit, dass die Mitarbeiter die Bauteile, bevor sie sie in den Prototypen einbauen, mit so genannten RFID-Chips ausstatten. Das sind aufklebbare, oft nur fingernagelgroße Scheiben, die Informationen über das Bauteil enthalten. Man kann diese "Transponder" auf kurze Entfernung anpeilen und ihre Daten auslesen. Zum Auslesen nutzten die Ingenieure zunächst einen an eine Waffe aus einem Science-fiction-Film erinnernden Handdetektor. Man geht damit am Wagen entlang und in ihn hinein, und mit jedem Piepton erkennt das Gerät einen RFID-Chip auf einem der Bauteile. Markus Bräutigam, zuständig für agile und RFID-basierte Prozesse bei Daimler:

    "Letztendlich haben Sie hier einen Auslöser, wie bei einer normalen Pistole, und können entscheiden, ob Sie das Fahrzeug scannen wollen oder nicht."

    "Kann ich jetzt schon scannen?"

    "Ja."

    "Ich gehe dann mal in den Innenraum…"

    "Und ich bin gerade noch mal an der Tür, kann die verschiedenen Steuergerät erfassen, etwas das Steuergerät für die Sitzeinstellung. Wir öffnen die Motorhaube."

    "Sieht aus wie ein normaler Sechszylindermotor."

    "Ja, das ist ein Sechszylinder, der aber nur aussieht, wie ein normaler Motor, denn Sie sehen hier die vielen grünen kleinen Chips oder hier die Smart Labels. Am Computer sehen Sie dann direkt, welches Bauteil es ist. Und von wem es kommt. Genau, und von wem es kommt."

    Das Ziel totaler RFID-Vernetzung nennt sich "Smart Flow", kluger Fluss der Informationen, und das ist keine fixe Idee der Autoindustrie, hier sind Elektronikfirmen wie IBM, Bosch und Siemens mit im Konsortium. Markus Bräutigam:

    "In Zukunft könnte man sich das so vorstellen, dass man mit dem Fahrzeug in die Niederlassung oder Werkstatt fährt, die dann sofort automatisch erkennt: Das ist dieses Fahrzeug, und diese Bauteile sind darin verbaut. Da hat man früher draufgeguckt und gesagt: Das ist ein Fiat 500, und das war’s. Ja, oder man musste erst einmal in das Fahrzeug hineingucken, die Lichtmaschine ausbauen, um zu sehen: Ach, das ist ja die Lichtmaschine, die vom Rückruf betroffen ist. Jetzt kann man die Lichtmaschine einfach so erfassen und dem Kunden sagen, bleiben Sie besser hier, das ist ein sicherheitsrelevantes Bauteil oder auch nicht, und kann es sofort auswechseln. Es ist also möglich, dem Kunden damit mehr Service anzubieten."

    Wobei der Datenschutz hier eine zentrale Rolle spielt. Aber noch sind wir beim Prototypen. Merat und Bräutigam haben neben der zwar lustigen, jedoch nur mäßig effektiven Pistolenauslesung auch die Selbsterkenntnis des Wagens ausprobiert. Dabei bauten sie Antennen überall ins Auto ein, die die Bauteile selbst erkannten und über drahtloses Netz (W-Lan) an das Ingenieurs-Notebook meldeten. Auch diese Methode wurde von ganz oben gekippt, und jetzt funktioniert es ähnlich wie bei einer Waschstraße: Der Wagen steht mit seinen 200 RFID-bestückten Bauteilen da, und über ihn fährt hautnah ein mit RFID-Antennen bestückter Bügel wie ein Tor hinweg, und wenige Sekunden später ist die Dokumentation fertig, neue Teile können eingebaut und auf Testfahrt geschickt werden. Danach ein erneuter Scan.