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Transparenz als Grundpfeiler der Demokratie

Ab 1. Juli dieses Jahres soll jeder Bundesbürger eine Identifikationsnummer erhalten. Mit dieser will die Regierung Steuerhinterziehungen und den Missbrauch von Sozialleistungen erschweren. Vor allem aus den Reihen der Datenschützer gibt es jedoch Bedenken. Da lohnt der Blick über die Grenze nach Schweden, denn das skandinavische Land hat dieses Zentralregister bereits 1947 eingeführt. Ein Bericht von Alexander Budde.

16.05.2007
    Anruf bei der Steuerbehörde in Stockholm: Seine Personenkennziffer muss der Anrufer parat haben, wenn er mit der Obrigkeit in Verbindung tritt. Per Knopfdruck sind alle Daten des Bürgers abrufbar: wo er wohnt, welches Einkommen er hat, mit wem er zusammenlebt, welches Auto er fährt und welche Kredite er genommen hat.

    Ohne die zwölfstellige Zahlenfolge geht nichts: Man kann keine Steuern erklären, kein Konto eröffnen, keine Wohnung mieten, keine Brille kaufen und nicht zum Arzt gehen. Lars Tegenfeldt ist Rechtsexperte der schwedischen Steuerbehörde, dem Skatteverket. Was manch einem wie eine Schreckensvision des "gläsernen Bürgers" vorkommen mag, hält er für die größte Errungenschaft des fürsorglichen Staates:

    "Die Nummer bleibt uns ein Leben lang erhalten und ihr Nutzen im Alltag ist für alle offensichtlich: Die Steuererklärung ist in Schweden ein Kinderspiel. Wer krank ist, dem wird ganz unbürokratisch geholfen. Denn wir als Beamte wissen immer, mit wem wir es zu tun haben. Vorausgesetzt, es wird kein Schindluder mit den Daten getrieben. "

    Lars Tegenfeldt beunruhigen Berichte über Ganoven, in denen von Unterschlagung und krummen Geschäften unter dem Tarnmantel einer falschen Identität die Rede ist. Doch das Vertrauen der Bürger in die Weisheit ihrer Behörden vermochten solcherlei kriminelle Machenschaften bislang kaum zu erschüttern. Heute können sich die allermeisten Schweden ein Leben ohne Personnummer kaum mehr vorstellen:

    "Bei uns in Schweden haben viele den gleichen Namen. Aber die Nummer ist einzigartig. Und wer nichts zu verbergen hat, der braucht sich auch keine Sorgen machen."

    Versicherungen, Sozialleistungen, die Zulassungsstelle für das Auto: Durch die Personenkennziffer kommt man gleich an den Richtigen und es gibt kaum Fehler und Missverständnisse. Ich meine, das hat nichts Gutes. Es ist unanständig, den Menschen zur Nummer zu degradieren. Wir Schweden sind so angepasst. Wir lassen uns eben alles gefallen.

    Manchmal allerdings ist die Sammelwut ihrer Behörden selbst den Schweden unheimlich. Für heftige Kontroversen sorgt ein Gesetzesvorschlag der bürgerlichen Regierung, der es dem militärischen Geheimdienst FRA erlauben würde, künftig ohne richterlichen Beschluss Telefongespräche zu belauschen und E-Mails zu lesen, die über Glasfaserkabel mit dem Ausland abgewickelt werden. Grüne und Linkspartei sehen in dem Gesetz einen weiteren Schritt hin zum Überwachungsstaat. Von einer angemessenen Reaktion auf die weltweit zunehmende Terrorgefahr spricht hingegen Verteidigungsminister Mikael Odenberg:

    "Niemand wird mit dem Kopfhörer dasitzen und Gespräche belauschen. Wir wollen mit automatischen Suchbegriffen einen sehr kleinen Teil der Informationen aus dem netz herausfiltern. Da geht es nicht um "Al-Qaida", "Bin Laden" und "Dynamit". Wir suchen vielmehr ganz gezielt nach Decknamen, Codewörtern und anderen Aktivitäten, auf die uns befreundete Dienste hinweisen. Kein unbescholtener Bürger muss Sorge haben, dass der Geheimdienst seine E-Mails liest. "

    Technisch wäre die lückenlose Kontrolle der Bürger schon heute möglich, fürchtet Göran Gräslund. Und der Datenschützer verweist auf die auch in Schweden weit verbreitete Videoüberwachung an öffentlichen Plätzen sowie ausgefeilte Pläne zur Einführung biometrischer Systeme. Beunruhigend sei überdies, dass private Unternehmen zunehmend im Internet Daten aus öffentlichen Registern austauschen oder gar damit Handel treiben.

    "Die Gefahr ist groß, dass man keine Arbeit bekommt, keinen Kredit oder sonst etwas, weil man auf irgendwelche Art als belastet gilt. Das aber hat nicht mehr viel mit der ursprünglichen Absicht zu tun, dem Fiskus einfach nur die Übersicht zu erleichtern."

    Der Finanzbeamte Lars Tegenfeldt hält solche Bedenken für übertrieben. Transparenz werde im Norden eben großgeschrieben. Seit 1766 gilt im Königreich das in der Verfassung verankerte Öffentlichkeitsprinzip, das den Bürgern bis heute Zugang und Einsicht in sämtliche Verwaltungsdokumente ermöglicht. Offenheit ist die Grundregel, Geheimhaltung die Ausnahme. Überdies ließen sich viele Alltagsprobleme in einem kurzen Telefongespräch klären, lobt Tegenfeldt den Pragmatismus schwedischer Beamter.

    "Grundsätzlich gibt es das Bestreben, den elektronischen Kontakt mit den Bürgern zu erleichtern. Niemand will die Leute hier am Schalter haben. Es ist doch besser, die sitzen zu Hause am Computer oder rufen uns an. Wir Schweden sind zu einigen Zugeständnissen bereit, um die Dinge zu vereinfachen, zu automatisieren und somit die Kontrolle zu behalten. "